Interview mit Shepard Fairey

Merkel ist weder noch

An einer Häuserwand in der Berliner Bülowstraße prankt ein frisch getrocknetes Werk von Shepard Fairey. Der Street-Art-Künstler wurde 2008  durch das ikonische "Hope" Plakat von Obama weltweit bekannt. Im Rahmen des Urban Nation Projektes, das seit 2013 Street Artists in die deutsche Hauptstadt einlädt, präsentiert Fairey neue Arbeiten. Ein Gespräch über die Energie der Sraße, Propaganda und warum er Angela Merkel nicht porträtieren würde
 
Shepard Fairey , 2008 haben Sie Barack Obama bei den Präsidentschaftswahlen mit einem Plakat unterstützt, das um die Welt ging. Würden Sie für die kommenden Wahlen eine ähnliche Aktion starten?
Nein, das werde ich nicht. Ich habe entschieden, Kunst zu machen, die Prinzipien und keine Persönlichkeiten unterstützt. Ich sehe das Problem im System, das die Dinge vereinfacht, und ich will dieses Spiel nicht spielen, in dem man sich für ein Pferd im Zweierrennen entscheiden muss. Ich stehe lieber hinter Ideen, und wenn Leute damit einverstanden sind, wählen sie den Kandidaten, der diese Ideen repräsentiert. Ich bereue es nicht Obama unterstützt zu haben, aber ich habe realisiert, dass das System es idealistischen Personen nicht, erlaubt ihre Ideen durchzusetzen.

Dann hat sich meine nächste Frage, ob Sie ein ikonisches Plakat von Angela Merkel kreieren würden, erledigt.
Ich mache Porträts von Helden oder Bösewichten und Angela Merkel ist für mich weder das eine noch das andere.

Sie haben in Providence im US-Bundesstaat Rhode Island an der Kunsthochschule studiert und leben derzeit in Los Angeles. Nun präsentieren Sie Ihre Arbeit in Berlin. In wie weit beeinflusst die Stadt, in der Sie sich befinden, Ihre Arbeit?
Das Wichtige an Street Art ist, zu verstehen, wie man sich an die Bedürfnisse einer Stadt anpasst, und diese Herausforderung macht Spaß. Wie kann ich eine Idee als Bild ausdrücken, wie gestalte ich das Bild aufregend genug, damit es in den Köpfen bleibt? In Providence gab es viele Fabrik- und Industriegebiete, viel Raum und die Wände wurden nicht so schnell gesäubert. In vielen Teilen von Los Angeles säubern die Behörden sehr schnell, außerdem fährt jeder Auto, weshalb man dort seine Arbeiten großflächig gestalten muss. In Berlin suchen die Künstler oft Orte für ihre Arbeit, die von der Bahnstrecke aus zu sehen sind. Ob Street Art oder Kunst allgemein: Es geht um Problemlösung.

Welches Problem lösen Sie mit Ihrer aktuellen Arbeit in Berlin?
Ich habe die muslimische Bevölkerung dieser Gegend um Schöneberg und Kreuzberg herum und die Vorurteile, die hier herrschen, als Anlass genommen und in meiner Wandmalerei eine palästinensische Frau dargestellt, die aus einem Fenster schaut. Die Schau hier dreht sich um Frieden und Freiheit. Ich will mit meiner Arbeit ausdrücken, dass jeder Mensch als Individuum, unabhängig seiner Herkunft und Religion angesehen werden muss. Mit meinem anderen Werk, das im Schaufenster steht, beziehe ich mich auf die historische und aktuelle Polizeigewalt in den USA.


Als Sie 1989 mit der "André the Giant"- Aufkleberkampagne angefangen haben, war diese Art von Kunst noch neu, heutzutage sieht man an jeder Ecke Street Art. Wie schafft man es in dieser Bilderflut, seine Arbeit auffallen zu lassen?
Zum einen durch die Wahl des Ortes. Zum anderen versuche ich meine Motive so ikonisch wie möglich zu gestalten, alle störenden Elemente rauszunehmen, sodass sie sich im Chaos durchsetzen. Dazu gehört auch meine Farbwahl: rot-schwarz-weiß oder rot-schwarz-beige.

Kleben Sie immer noch die alten "André the Giant"- Sticker?
(lacht und holt einen Stapel hervor)

Sie haben 1990 in Bezug auf "André the Giant" ein Manifest verfasst, in dem Sie beschreiben, wie ein Bild ein Eigenleben entwickeln kann, ohne für etwas Bestimmtes zu stehen. Heute haben viele Ihrer Arbeiten einen politischen Hintergrund und klare Botschaften. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Als ich angefangen habe, wollte ich die Leute einfach verwirren und sie dazu bringen, andere Bilder um sich herum in Frage zu stellen. Seither bin ich erwachsener geworden und überzeugter bezüglich meiner politischen Ansichten. Meine Grundidee damals wie heute ist, dass es positive Folgen hat, wenn man die Leute zum Analysieren bringt, aber manchmal verläuft dieser Prozess nicht schnell genug. (lacht)

Sie bezeichnen Ihre Arbeit auch als Propaganda…
Jedes Mal, wenn ein Bild dafür gemacht ist, Einfluss auszuüben, handelt es sich um Propaganda. Werbung und  politische Kampagnen sind Propaganda. Sie wird meistens als negativ empfunden, weil sie Autorität und Kontrolle ausübt. Meine Propaganda dagegen soll der Beginn und nicht das Ende einer Konversation sein. Sie soll Alternativen zu Meinungen bilden, die nicht in Frage gestellt werden sollen. Ein entscheidender Moment für mich war, als George Bush in den Irak einziehen wollte und sagte: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns". Ich wollte eine Gegenstimme bilden.

Hat Kunst eine politische Verantwortung?
Ich liebe die Musik von Public Enemy, The Clash, Sex Pistols, Dead Kennedys, Bob Marley. Leute, die ihre Kunst nutzen, um etwas auszudrücken. Aber es geht nicht nur darum politisch zu sein, sondern auch um die Musik. Ich mache Bilder, die auch ohne politischen Inhalt eine Ausdruckskraft haben, aber trotzdem noch eine zweite Ebene besitzen. Manche Künstler achten nur auf die formale Ästhetik eines Werks und dafür verurteile ich sie nicht. Aber ich glaube, dass manche Leute sich nicht politisch ausdrücken, weil sie denken die Kunstwelt würde es missbilligen. Oder, dass mysteriöse Arbeiten sich besser an Kunsthändler verkaufen lassen. Das finde ich sehr enttäuschend. Es wäre toll, wenn mehr Leute politisch wären, aber ich will keinem vorschreiben, wie er Kunst zu machen hat.

Glauben Sie, dass man mit Street Art und speziell mit Ihrer kommerziellen Art von Kunst mehr Leute erreichen kann?
Ich wollte meine Kunst demokratisieren. Ich wollte, dass sie die Leute erreicht, ohne darauf zu warten, in einer Galerie ausgestellt zu werden. Street Art ist eine Kunst, die nicht zensiert wird und sich deshalb gut für politische Botschaften eignet. In meiner Arbeit bin ich der Einzige, der kontrolliert, was die Message ist. Was den kommerziellen Teil angeht, habe ich schon immer T-Shirts gemacht und verschiedene populistische Plattformen gewählt, um die Leute zu erreichen. Niemand macht Kunst, um Geld zu verdienen, aber du musst genug Geld verdienen, um deine Arbeit aufrecht zu erhalten. Geld gibt mir die Freiheit meine Arbeit so zu machen, wie ich will.

Gibt es einen speziellen Ort auf der Welt, an dem Sie Ihre Arbeit präsentieren möchten?
Über Jahre hinweg wollte ich eine Ecke am Broadway in New York gestalten, an der schon seit 15 Jahren eine riesige Werbung für das Modeunternehmen DKNY existierte, und nach mehreren Versuchen habe ich es endlich geschafft, auf das Dach zu kommen und ein Poster herunterzuhängen. Ansonsten würde ich, obwohl Künstler wie Banksy und JR es schon getan haben, gerne eine Arbeit an der Wand zwischen Israel und dem Westjordanland anbringen. Das Bild der palästinensischen Frau, das ich hier gemalt habe, würde dort gut hinpassen. Es ist ein emotionaler Ort und es ist wichtig klarzumachen, dass keine Wand der Menschlichkeit im Weg stehen sollte.