Susan-Weil-Ausstellung in München

So leicht wie die Vögel

Susan Weil stand lange im Schatten ihres Ex-Mannes und Künstler-Kolleges Robert Rauschenberg. In München aber wurde ihr Werk früh als eigenständig geachtet. Mit einer Ausstellung in der Galerie Rüdiger Schöttle kehrt die 89-Jährige nun wieder zurück in die Stadt

Susan Weil ließ sich keinen Stempel aufdrücken von ihrer Schule, dem Black Mountain College in North Carolina. Sie hat die Last der Akademietradition abgeschüttelt und sich – eigenwilliger als ihr Ex-Mann und Künstler-Kollege Robert Rauschenberg, der dasselbe College besuchte – eine eigene Signatur erfunden. Aber eines ihrer Studienfächer am Black Mountain könnte sie trotzdem nicht abstreiten: Poetry. Die Arbeiten der heute 89-Jährigen, die aktuell in der Münchner Galerie Schöttle unter dem Titel "Once In A Blue Moon" ausgestellt werden, sind allesamt kleine Gedichte, angefangen bei ihren Blueprints (direkt belichtete Fotogramme, die den Farbstoff Berliner Blau bilden), bis hin zu so rhythmischen Versen wie "Blue Configuration", auf dem sechs nackte weibliche Körper als Puzzle neu zusammengesetzt werden.

Diese demontierten weiblichen Körper korrespondieren eigentümlich mit Weils Vergangenheit; das heißt, mit den erst kürzlich aufgetauchten Archiv-Fotos, auf denen Weil selbst die zerteilte Frau ist. Eigentlich sollten die Aufnahmen, 1951 fürs "Life"-Magazin geschossen, das Künstlerpaar Weil/Rauschenberg bei der Arbeit zeigen, sollten dokumentieren, wie die Technik der Blueprints funktioniert, welche Glühbirnen für die wiederholte Belichtung verwendet wurden, wie das Paar die Bögen in die gemeinschaftliche Badewanne ihres New Yorker Ein-Zimmer-Apartments tunkte.

Auch etwas Selbstinszenierung war dabei im Spiel: Die ausgelegten Magazine machen klar, dass die beiden über ästhetische Trends auf dem Laufenden bleiben. Die wie zufällig ausgestellten Werke laden die Leserschaft ein, sich mit den zwei Künstlern noch über ihre Blueprints hinaus zu beschäftigen.

An den Rand gedrängt

Aber was wohl kaum inszeniert war, ist, wie diese Bilderstrecke Susan Weil wortwörtlich an den Rand drängt, wie ein Foto sie sogar am Scheitel zerteilt und abschneidet; Weil wurde zur Assistentin und schwangeren Ehefrau gemacht, die dem genialen Schöpfer Rauschenberg einen Eimer aus dem Off reichen darf.

Heute hat Susan Weil darüber gut lachen. In München, mitten in der Galerie auf einem Drehstuhl fläzend, erzählt sie vom wahren Ursprung der Blueprint-Technik, die sich neben Rauschenberg auch der Maler Jasper Johns von ihr abgeguckt hatte: Weils Großmutter war es, die sich als junges Mädchen ein solches Fotogram ihres eigenen Porträts anfertigte, die 89-jährige Enkelin hielt es nun wie einen Beweis in die Höhe. Das MoMA und andere Museen haben bei den gemeinsamen Arbeiten des Paares mittlerweile Susan Weils Namen ergänzt.

Aber München hatte New York da etwas voraus, schon 1989 widmete die Kuratorin Carla Schulz-Hoffmann ihr hier eine Ausstellung in der Staatsgalerie Moderner Kunst. Zur Erinnerung heißen die Zugvögel aus Acryl, Wasserfarbe und Graphit, die 1989 bereits dabei waren und nun zurückkehren dürfen, "Munich Migration". Sie brechen aus ihren Papierscherben aus und breiten dort, wo sich das Papier von der Wand rollt, einen Flügel in die dritte Dimension aus. Die Galerie hat sie eindrucksvoll über eine Raumecke gelegt.

Von der Natur inspiriert

So wird deutlich, dass die geschiedenen Eheleute Weil und Rauschenberg distinkte Stile vertreten und dass niemand Weil ihre Blueprints nehmen kann. Rauschenbergs Blueprints sind vollgesogene Schwämme, dicht und absichtlich vollgestopft, aber Weils sind derweil so leicht wie die Vögel der "Munich Migration", sind stark von der Natur inspiriert, zwar schemenhaft wie eine Höhlenmalerei ("Sweet"), aber technisch wie ein Röntgenbild, das das wahre Wesen eines löchrigen Gartenstühlchens zu durchleuchten scheint ("Grace").

Ihre Farbwahl wirkte sogar 1986 zeitgenössisch, etwa jene sechs Töne auf der geknüllt-geknoteten Leinwand "Whether or Not". Das Stück ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie Weil immerzu dynamische und figurative Elemente in den Abstrakten Expressionismus ihres Colleges hineinmogelte.