Trevor Paglen im Interview

Jenseits von Wikileaks

Herr Paglen, Sie fotografieren immer wieder Abhörstationen, geheime Militärbasen oder Überwachungssatelliten – woher bekommen Sie Ihre Informationen?
Das ist je nach Projekt ganz unterschiedlich, mal handelt es sich um Hobby-Astrologen, mal um Journalisten oder ganz andere Quellen.

Greifen Sie, so wie Wikileaks, auch auf Material zurück, das der Geheimhaltung unterliegt?
Die meisten Informationen sind gar nicht so geheim, man muss nur wissen, wo sie zu finden sind. Das Problem ist eher, dass wir heutzutage viel zu wenig Fragen stellen.

Wenn Sie zum Beispiel ein geheimes US-Gefängnis in Afghanistan fotografieren – womit fangen Sie dann konkret an?
Gefängnisse haben mich schon seit Anfang der 90er-Jahre beschäftigt. Als dann der sogenannte Krieg gegen den Terror begann, musste man eigentlich nur zwischen den Zeilen lesen und es war klar, dass es solche Geheimgefängnisse geben musste. Es wurden Verhaftungen gewisser Leute vermeldet, und dann hörte und sah man nichts mehr von ihnen – aber irgendwo mussten die ja geblieben sein. In diesem konkreten Fall war es dann so, dass ich Teil einer vielleicht zwölfköpfigen Gruppe aus Journalisten und Menschenrechtlern war, die diesem Thema nachgingen.

Waren der 11. September und seine Folgen für Sie der Grund, Künstler zu werden?
Es wird immer gesagt, mit dem 11. September habe sich alles verändert, aber in gewisser Weise verschärften sich von da ab nur gewisse Dynamiken, die ohnehin schon Teil der politischen Kultur in den USA waren. Diesen Dynamiken bin ich auch vorher schon nachgegangen. Meine Arbeit über Gefängnisse begann ich in den 90er-Jahren, mein Interesse galt schon damals dem Verhältnis von Geografie, Sichtbarkeit und Politik. Und an diesem Themenkomplex arbeite ich bis heute.

Was hat sich unter Präsident Obama verändert?
Nichts.

Überhaupt nichts?
Die Situation hat sich eher noch verschlimmert. Solange Bush regierte, war zumindest einem Teil der Öffentlichkeit immer noch klar: Es ist wahnwitzig, was diese Regierung treibt. Mit Obama hat sich jetzt normalisiert, was vorher als Ausnahmezustand galt. Was bei Bush noch offen illegal war, ist jetzt einfach Gesetz geworden. Oder man hat smartere Lösungen gefunden, etwa was die Geheimgefängnisse angeht. Die werden jetzt offiziell von den Afghanen oder Pakistanern betrieben, also kann niemand mehr sagen, die USA unterhielten sie. Mehr noch beunruhigt mich, welche Machtansprüche Obama auf sehr subtile Weise äußert. Er verspricht, dass die USA künftig keine Gefangenen mehr foltern würden – als sei es an ihm, darüber zu entscheiden, als verstoße Folter nicht sowohl gegen US- als auch gegen internationales Recht. Ein weiteres Beispiel: Das Geheimbudget, mit dem all diese Aktivitäten finanziert werden, beträgt heute 56 Milliarden Dollar – unter Bush lag es bei 30 Milliarden.

Erfährt die amerikanische Öffentlichkeit nicht genug über solche Entwicklungen oder sind sie ihr schlicht egal?
Eine Kombination von beidem. Das kulturelle Klima hat sich sehr verändert, seit Obama an der Macht ist. Es wird jetzt viel mehr akzeptiert und es herrscht eine große Müdigkeit, gegen all die Missstände immer wieder anzukämpfen.

Worin sehen Sie als Künstler Ihre Aufgabe?
Meine Arbeiten drehen sich um Politik, aber in einem weiteren Sinne geht es um erkenntnistheoretische Fragen: Woher wissen wir, was wir zu wissen meinen? Was ist ein Beweis? Meine Fotografien stellen Behauptungen auf und ziehen gleichzeitig die Möglichkeit, etwas zu behaupten, grundsätzlich in Zweifel. Eine Art dialektischer Stillstand.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie für Ihre Aufnahmen des Himmels von Leuten wie Kepler oder Galileo inspiriert wurden.
Es geht um Fragen klassischer Empirie. Galileos Bedeutung liegt für mich nicht darin, dass er Monde neben dem Jupiter entdeckt hat oder so etwas. Sondern darin, dass er gesagt hat: Jeder kann diese Entdeckungen wiederholen und überprüfen – Teleskope standen ja zur Verfügung. Und das war eben ein sehr radikaler Schritt, weil Galileo damit die gesamte epistemologische Basis seiner Zeit aus den Angeln hob, eine radikal-demokratische Geste.

Seine Erkenntnisse bedrohten die Aristokratie, die sich auf eine gottgegebene Ordnung berief: Der Monarch steht im Zentrum der Menschheit, so wie die Erde im Zentrum des Universums steht.
Natürlich. Und auf diese frühe, quasi unverdorbene Verbindung wissenschaftlicher Empirie und gesellschaftlichen Auswirkungen blicke ich mit gewissem Neid und natürlich auch Ironie. Wenn ich den Nachthimmel fotografiere und sage: Seht her, da ist ein geheimer US-Satellit – dann müssen mir die Leute das eben glauben, denn es gibt ja keine letztlich-gültigen Beweise. Das ist sozusagen die Doppelbewegung, die jeder meiner Arbeiten zugrunde liegt: Ich treibe ganz penible, oft jahrelange Recherchen – aber es gibt eben keine Gewissheiten. Andersfalls wären wir bei Colin Powell, der vor die UN mit Satellitenaufnahmen von Massenvernichtungswaffen im Irak und sagt: Schaut, hier sind sie!

Ihr neuestes, in Wien ausgestelltes Foto zeigt ein Motiv wie aus einem James-Bond-Film: Mitten im Wald verbirgt sich ein Gebäudekomplex – worum handelt es sich dabei?
Das ist tatsächlich eine sehr merkwürdige Sache. Im US-Staat West Virginia gibt es eine riesige Abhörstation, mit der Handygespräche abgehört werden können. Die Anlage wurde ursprünglich Anfang der 60er-Jahre gebaut, als man ein Phänomen namens „moon bounce“ entdeckte. Vereinfacht gesagt geht es um Folgendes: Wann immer jemand sein Handy benutzt, werden Signale an einen Telefonmasten gesendet – ein Teil der Signale geht aber nicht an den Masten, sondern in den Weltraum, wo sie auf den Mond treffen. Von dort werden sie zurück auf die Erde geworfen –  das sogenannte „bouncing“ – , und wenn man eine extrem empfindliche Antenne hat, kann man Leuten überall auf der Welt nachspüren.

Secession Wien, Trevor Paglen, bis 13. Februar 2011