Schweizer Pavillon in Venedig

Rückwärts gehen, vorwärts schauen

Die Künstlerinnen Pauline Boudry und Renate Lorenz wollen den Schweizer Pavillon in Venedig zum Club umgestalten. Ein Gespräch über die Rückwärtsbewegung und politisches Handeln in der Kunst 

In einer immersiven, filmischen Installation und begleitenden Performances erforscht der Schweizer Pavillon auf der Venedig-Biennale die Rückwärtsbewegung – ein Versuch der Künstlerinnen Pauline Boudry und Renate Lorenz, sozial konstruierte Gewohnheiten unseres Miteinanders zu hinterfragen und mit den rückschrittlichen Tendenzen gegenwärtiger Politik zu experimentieren.

Pauline Boudry und Renate Lorenz, wie wird Ihr künstlerischer Ansatz im Schweizer Pavillon der diesjährigen Venedig-Biennale aussehen?
Hatten Sie schon einmal das Gefühl von dem gegenwärtigen massiven politischen Backlash gegen die Wand gedrückt zu werden? Unseren Pavillon verstehen wir unter dem Titel "Moving backwards" als Experimentierfeld für ein Begehren, das in verschiedene andere Richtungen weist.

Worin liegt die besondere Qualität der Rückwärtsbewegung?
Die backward movements sind mit einem Augenzwinkern verbunden. Wir lernen von den Frauen der kurdischen Guerilla - die ihre Schuhe in den verschneiten Bergen rückwärts trugen - vorwärts zu gehen, obwohl es so aussieht als würden wir rückwärts gehen (und umgekehrt).

Sie wollen mit dieser Bewegung also die regressiven Tendenzen der gegenwärtigen Politik verkörpern sowie gleichzeitig Widerstand ausüben?
Kunst als ein Prozess zwischen Produzent*innen, Objekten und Betrachter*innen ist wohl immer politisch, selbst wenn es sich dabei oft um eine konservative Politik handelt. Widerstand ausüben, übersteigt dagegen vielleicht die Möglichkeiten einer Biennale-Ausstellung. Mit der Ausstellung experimentieren wir eher mit politischem Handeln. Wir suchen nach Möglichkeiten, menschlichen oder nicht-menschlichen Objekten zu begegnen, ohne diese zu kategorisieren, zu bewerten oder abzuwehren. Kunst kann die Sicherheit herausfordern, mit der Bewertungen ausgesprochen und Bedeutungen zugewiesen werden.

Mit Ihrer Arbeit wollen Sie eine Nachtclub-Atmosphäre im Pavillon inszenieren. Welcher Gedanke steckt dahinter?
Wir selbst sprechen eher von einem "abstrakten Club". Für uns eröffnet er Raum für Begehren und Experimente. Er verleiht Elementen wie Licht, Sound und Performance eine Handlungsmacht und fordert den Status und die Positionierung der Betrachter*innen heraus. Es ist ein Raum, der die Fähigkeit zu ordnen und zu kategorisieren untergräbt oder zumindest herausfordert. Er nimmt auch Verbindung zur Geschichte von Underground- und Drag-Performance auf, die für politische Kämpfe eine wichtige Rolle gespielt hat und noch spielt.

Was halten Sie in diesem Kontext davon, in nationalen Pavillons auszustellen?
Der Schweizer Pavillon mit seinen drei Meter hohen Wänden kann leicht als eine Referenz zu der nationalistischen Idee von Zugehörigkeit zu einer Gruppe und der Absicherung gegenüber allen anderen verstanden werden. Wir atmen einmal tief durch und gehen zwei Schritte rückwärts.