Corona-Pandemie und Aids-Krise

"Wieder werden arme Menschen am meisten leiden"

Künstler AA Bronson
Foto: Mark Jan Krayenhoff van de Leur, 2020, Courtesy Esther Schipper

Künstler AA Bronson

Der Künstler AA Bronson hat die Aids-Krise in New York erlebt und durch die Krankheit viele Freunde verloren. In der Corona-Pandemie sieht er Ähnlichkeiten zu damals - aber auch große Unterschiede in der öffentlichen Reaktion


AA Bronson, Sie haben auf Instagram an die Aids-Krise in den 1980er- und 90er-Jahren erinnert. Welche Ähnlichkeiten sehen Sie zur derzeitigen Coronavirus-Pandemie?

Ich war von Anfang an von der Covid-19-Epidemie fasziniert. Ich glaube, es hat viel mit den Arbeiten zu tun, die wir mit General Idea zum Thema Aids gemacht haben. Aber erst, als die Menschen im Westen zu sterben begannen, wurde mir klar, dass meine Community ein zweites Mal ins Visier genommen wird. Anfang der 90er-Jahre verlor ich fast alle meine Freunde und Bekannten, und jetzt ist es wieder einmal meine Generation, die am meisten von Covid-19 bedroht ist. Der Hauptunterschied besteht darin, dass meine Freunde jetzt viel jünger sind als ich, also bin ich sozusagen die gefährdete Spezies.

Aber es gibt auch große Unterschiede im öffentlichen Umgang im Gegensatz zur Aids-Krise ...

Ja. Covid-19 wird von den Mainstream-Medien sehr detailliert verfolgt und es wird viel berichtet. Die Politiker ergreifen Maßnahmen, auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichem Erfolg. Im Fall von Aids wurde die Krankheit in den Medien kaum erwähnt, außer als Kuriosum, und die Medizin brauchte sehr lange, um irgendeine Art von umfassender Aktion zustande zu bringen. Natürlich traten die Fälle hier in Deutschland erst später auf als in meiner damaligen Heimat USA, und die medizinische Fachwelt reagierte schneller. Es war die gay community, die mit einem Aufklärungsprogramm  und Aufrufen zum Aktivismus begann, um die Krankheit unter Kontrolle zu bekommen. Nur die Sonderorganisation der Vereinten Nationen, UNAIDS, veröffentlichte regelmäßig die erschreckenden Statistiken, insbesondere aus Asien und Afrika - und tut es immer noch. Schließlich erkannten die Pharmaunternehmen, dass es eine Möglichkeit für enorme Gewinne gab, und alles änderte sich - vor allem aber in den reichen Ländern. Bei Covid-19 hingegen befindet sich bereits eine ganze Reihe von Medikamenten in der Entwicklung.

Wegen Covid-19 hat auch Ihre ehemalige Heimatstadt New York, wo Aids die Künstlercommunity hart getroffen hat, schnell drastische Maßnahmen ergriffen. Haben die Verantwortlichen dazugelernt, oder lässt sich das Coronavirus nicht so leicht damit abtun, dass es nur "die anderen" trifft? Aids wurde unter anderem mit dem vermeintlich unmoralischen Lebensstil von queeren Menschen in Verbindung gebracht ... 

Trump tut sein Bestes, um die Krankheit auf Distanz zu halten. Er nennt sie das "chinesische Virus" und bringt sie mit der Schließung von Grenzen in Verbindung. Aber für die meisten Menschen, besonders hier in Europa, ist klar, dass sie überall ist und jeden angreifen kann. Allerdings sind gerade die armen Bevölkerungsgruppen am meisten gefährdet: Man kann sich nicht selbst isolieren, wenn man kein Zuhause hat oder in sehr beengten Verhältnissen lebt. Und Menschen mit wenig oder keinem Zugang zu heißem Wasser und Seife sind in großen Schwierigkeiten. Zum Glück sind es die älteren weißen Menschen, die ebenfalls in Gefahr sind, die die Regierungshaushalte kontrollieren, so dass in diesem Fall Maßnahmen garantiert sind.

In vielen Ländern wird nun auch die Überforderung des Gesundheitssystems deutlich, in den USA ist Zugang zu medizinischer Versorgung eine Frage der Finanzen. Trifft es also wieder vor allem die sozial Schwächeren?

Ich denke, das ist so ziemlich sicher so. In den USA sind es wieder einmal arme Menschen, die leiden werden, und das sind meist people of color. Und wie bei der Aids-Pandemie werden die Kosten für die Inanspruchnahme des amerikanischen Gesundheitssystems viele Menschen obdachlos machen und auf die Straße bringen.

Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie die drastischen Maßnahmen, die gerade greifen?

Nun, HIV und Covid-19 sind sehr unterschiedliche Pandemien. Für HIV waren Aufklärung und medizinische Interventionen noch in weiter Ferne, und die Infektion erfolgte in erster Linie sexuell. Ein Lockdown hätte nicht annähernd so viel geholfen wie die kostenlose Verteilung von Kondomen und Informationen. Dennoch gab es damals in New York eine Art Sperrung von Räumen für Sex, die auch 30 Jahre später faktisch noch existiert. Gott sei Dank hat Deutschland eine rationalere und sexuell positivere Haltung.

Hätten Sie sich gewünscht, dass es während der Aids-Krise schon Social Media gegeben hätte, um sich zu vernetzen?

Ich glaube, dass die sozialen Medien die Verfügbarkeit von Informationen, aber auch von Desinformation gefördert haben. Aber ja, der Informationsfluss war 1990 schwierig, obwohl der Buschfunk tatsächlich sehr effizient ist, wenn er es sein muss. Die digitalen Medien ermöglichen es uns jetzt allerdings, von zu Hause aus zu arbeiten, und das ist ein enormer Vorteil.

Es gibt weltweite Solidarität - aber eben auch rassistische Angriffe gegen asiatisch aussehende Menschen und geschlossene Grenzen. Wird die Welt geeinter oder noch polarisierter aus der Krise heraus gehen?

Geeinter, hoffe ich. Trotz der rassistischen Angriffe gegen die Chinesen haben diese auch genau die Techniken entwickelt, die wir heute hier anwenden, um das Virus zu stoppen. Und es ist ihnen gelungen, es unter Kontrolle zu bringen. Wir müssen für ihre Beharrlichkeit, ihren Mut und ihren Gemeinschaftssinn dankbar sein.

Die Aids-Krise haben Sie mit General Idea auch künstlerisch verarbeitet. Wie nutzen Sie jetzt die Zeit der Isolation?

Offen gesagt, mein Leben hat sich nicht sonderlich verändert. Mir ist klar geworden, dass ich sowieso in Halb-Isolation lebe. In diesen Tagen arbeite ich vor allem an einem Katalog und einer Retrospektive, die 2021-22 durch Nordamerika und Europa touren wird. Im Moment bietet mir die Situation die Möglichkeit, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Und ich habe Zeit, über die Segnungen in meinem Leben nachzudenken. Vielleicht ist es an der Zeit, eine Autobiografie zu schreiben!