Manifesta in St. Petersburg

Achtung, Gegenwartskunst!

"Wir sind nicht Pussy Riot", hatte Joanna Warsza, die Kuratorin des Public Program der Manifesta, im Monopol-Round-Table Gespräch vorab gesagt (Juli-Ausgabe). Die Manifesta in St Petersburg hatte trotzdem ihr Pussy-Revolution: Erik van Lieshout hat einen Film über die Katzen im Keller der Hermitage gedreht, und irgendwann erscheint darin das Wort "Riot" neben dem Bild eines süßen Kätzchens. In Lieshouts Installation rund um den Film sind auch zahlreiche Putins eincollagiert, recht respektlos – und auch recht lustig.

Die politische Situation wird brisanter und brisanter, wie kann van Lieshout sich da zu den Katzen in den Keller zurückziehen, hatte man vorher gedacht. Aber seine Arbeit ist eine gelungene Mogelpackung. Und wenn er im Film mit seiner kreischenden Säge an einer Art Tatlintreppe als Kratzbaum für die Katzen werkelt und das erstaunte Eremitage-Personal herumscheucht, demonstriert er eine entscheidende Qualität der zeitgenössischen Kunst: Sie muss im richtigen Moment nerven können.

In St Petersburg scheint das jedenfalls zu klappen. Von den staatlichen Aufpassern wurde die Manifesta für Menschen unter 16 nicht freigegeben, nur sehr zögernd putzt das Personal am Tag der Pressekonferenz die kaum fertig installierten Räume im Generalstabsquartier, dem Hauptort der Schau. Immer mal wieder sind Türen einfach zu, und in der Eremitage selbst, diesem Monster von einem Museum, haben die Aufsichten das M-Wort noch nie gehört. Die Dame, die in der Nähe der Beuys-Installation "Wirtschaftswerte" sitzen muss, hält sich demonstrativ ein Taschentuch vor den Mund. Der Duft, der von den angejahrten Nahrungsmitteln in der Arbeit ausgeht – DDR-Erzeugnis – behagt ihr offensichtlich nicht.

Nein, einen Boykott hat diese Manifesta wirklich nicht nötig gehabt. Sie hat auch so genug zu kämpfen. Bei der sehr gut besuchten Pressekonferenz redete der Direktor der Eremitage, Michail Piotrowski, vom Gründer, Peter dem Großen, und beschwor damit den Mut und die Innovationskraft der Stadt hervor. Die zeigt sich oberflächlich recht unbeeindruckt von der Invasion der internationalen Kunstmeute: Im Stadtraum weist nirgendwo ein Plakat auf die Ausstellung hin. Alle russischen Gesprächspartner halten es aber bereits für einen großen Erfolg, dass die Schau überhaupt hier stattfinden kann.

Und so wie Kasper König bei der Pressekonferenz noch mal betonte, warum er diese Ausstellung für wichtig hält und eine neue Mauer zwischen Ost und West für falsch, so beziehen auch die Künstler klar Position. Nicole Eisenman hat einen lesbischen Cunnilingus gemalt und mit einem Liebesgedicht von Gertrude Stein an ihre Lebensgefährtin versehen. Otto Zitko hat seine abstrakte Wandmalerei mit einem Zitat von Käthe Kollwitz beendet: „Nie wieder Krieg!“ Boris Mikhailov zeigt die Demonstranten vom Maidan. Und Thomas Hirschhorn und Francis Alys haben eindrückliche Symbole für die prekäre Lage gefunden: Hirschhorn zeigt eine mehrstöckiges Mietshaus mit eingestürzter Fassade. Alys hat im Hof der Eremitage mit kräftigem Rumms einen alten Lada vor einen Baum gefahren.
Ob das alles Skandal machen wird?

Die Eröffnung am Samstag wird es vielleicht zeigen. Bislang sind alle noch damit beschäftigt, die Schilder richtig anzubringen: Achtung, zeitgenössische Kunst!

Manifesta, 28. Juni bis 31. Oktober. Monopol lud den Kurator, Mitglieder seines Teams und beteiligte Künstler zu einem Round-Table. Lesen Sie das das Gespräch in der Juli-Ausgabe