Ein Spiegel auf der Scham, bunte Reste im Haar, ein Arm, wo sonst der Penis erigiert. Viviane Sassens Körper sind ungewohnt geformt, mit Farbe eingekleidet und meist Collagen. Die niederländische Fotografin bearbeitet ihre Bilder jedoch nicht nur digital wie manuell – sie inszeniert auch die Körper, bevor sie abgelichtet werden. Gestaltet sie in Anordnung, setzt sie in Beziehung zueinander. Nutzt Farben und Schatten als Gegensatz.
Sassen schafft so neue Leiber, neue Formen. Dabei entstehen ungewohnte Kompositionen: Beine an Beinen oder Hautfalten, wo man keine vermutet. Sie entdeckt die Geometrie in Körpern. Nutzt das viel zu helle Mittagslicht, um starke Kontraste zu erzeugen. Sie bricht die sogenannten Sehgewohnheiten und sorgt damit für ein befreiendes Gefühl.
Viviane Sassen wurde 1972 geboren und wuchs in Kenia auf, nicht weit entfernt von einem Heim für an Polio erkrankte Kinder. Ihr Vater arbeitete dort als Arzt. Sie erlebte also früh Körper, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprachen, die nicht so funktionierten wie andere. Die anders schön waren.
Den Körper in Posen neu formen
Bereits als Kind hat die Künstlerin ihren Körper als Skulptur begriffen, sagt sie, ihn in Posen neu geformt. Mit sechs Jahren zog sie zurück in die Niederlande, auch heute noch lebt sie in Amsterdam. Hier arbeitet sie in ihrem Atelier-Loft, in dem Papageien frei herumfliegen. Bis heute sieht man ihren Bildern die Verbindung zu Ostafrika an.
Sassen studierte zunächst Modedesign, stellte dann aber fest, dass sie nicht wirklich an Kleidung interessiert war und studierte anschließend Fotografie an der Utrecht School of the Arts und in den Ateliers Arnheim. Schon während dieser Ausbildung modelte sie, fertigte auch Selbstporträts an und verstand sie als Befreiung vom male gaze - und von den Erwartungen, die man an sie als Modell hatte.
"Die Erfahrung, von Männern fotografiert zu werden, hat meine Herangehensweise beeinflusst – ich wollte eine Art von Sexualität erschaffen, die sich dem männlichen Blick entzieht, die sich brüchig anfühlt", sagt Sassen. "Ich habe mich schon immer wie eine schüchterne Exhibitionistin gefühlt, die verschwinden möchte und gleichzeitig gesehen werden will."
Zwischen Realismus und Surrealismus
In Selbstporträts, surrealistischen Collagen und skulpturalen Kompositionen dekonstruiert Sassen den Körper und setzt ihn neu zusammen. In der Ausstellung "The Body as Sculpture", die jetzt im Fotozentrum Fotografiska Berlin zu sehen ist, zeigt sie kleine Prints, die sie zerschnitten, Fragmente von Menschen und Pflanzen, die sie mit Tinte und deckender Farbe bearbeitet hat. Genauso wie komponierte Fotografien, die mit Zitaten aus der Mode arbeiten. Sassen bewegt sich also weiterhin zwischen Fashion und Kunst, sie sieht ihr Schaffen zwischen Realismus und Surrealismus verortet.
Mit Erfolg: 2013 war Sassen auf der 55. Biennale in Venedig vertreten, im Jahr 2017 feierte sie im Haus der Photographie in den Deichtorhallen Hamburg ihre erste größere Einzelausstellung in Deutschland. Das Buch zur Werkserie "Umbra" hat 2016 den Deutschen Fotobuchpreis in Gold gewonnen. Ihre Arbeiten zieren Magazin-Cover, Luxusmarken wie Louis Vuitton buchen sie für ihre Kampagnen. Ihre privaten Arbeiten beschreibt Sassen dabei als introvertierter und intimer, ihre Projekte für die Mode dagegen als extrovertiert und kollaborativ. Immer aber ist es das Ziel, die Betrachter von konventionellen Körperbildern zu befreien.
Oft nimmt sie ihre Bilder in Afrika auf, was ihren Stil maßgeblich prägte. Denn im Studium realisierte sie, dass das Bild von Afrika im Westen keineswegs dem entsprach, was sie während ihrer Kindheit kennengelernt hatte. Die Bilder, die es gab, waren eher dokumentarisch, aber nie offensiv inszeniert. Daraufhin habe sie begonnen, auf ganz andere Weise zu fotografieren. Zu arrangieren – und mit Abstraktion und Realität zu spielen. Viviane Sassens Bilder sind gutgelaunte Traumsequenzen, bei deren Betrachtung es einem so geht wie beim Schwimmen im Wasser: Der Körper wird angenehm leicht.