Endlich frei

Erste Reise von Ai Weiwei führt zu seinem Sohn

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Ai Weiwei kürzlich bei der Eröffnung einer Ausstellung in Peking

Vier Jahre wartete Ai Weiwei auf seinen Pass. Erstmals seit der Haft reist der berühmteste Künstler Chinas wieder ins Ausland. Anders als in London ist er in Berlin willkommen

In Deutschland hat Ai Weiwei drei Ziele - ein medizinisches, ein künstlerisches, aber vor allem ein persönliches: sein Sohn in Berlin. Beide sind eigentlich unzertrennlich. Ständig war Ai Weiwei mit seinem Sohn in Pekinger Parks zu sehen. Oder beide besuchten das Sommerfest der deutschen Schule. Aber aus Angst, dass sein Kind auch Opfer des Verfolgungsregimes in China werden könnte, hatte sich der 57-Jährige vor einem Jahr schweren Herzens von ihm getrennt. Er schickte den Jungen in Sicherheit nach Deutschland, wo er heute von seiner Mutter betreut wird - und seinen Vater nur noch über Skype sieht. "Er hat auch schon deutsche Freunde gefunden", erzählte Ai Weiwei vor vier Wochen noch der Deutschen Presse-Agentur in Peking.

Wie gefährlich es in China werden kann, hat der berühmteste zeitgenössische Künstler des Landes am eigenen Leibe erlebt. In München will sich Ai Weiwei einer Nachuntersuchung unterziehen, weil er 2009 nach einer Gehirnblutung - auch auf einem Flug nach München - beinahe gestorben wäre. Er hatte damals vier Wochen zuvor in der Provinz Sichuan brutale Schläge von chinesischen Sicherheitsleuten auf den Kopf kassiert. Im Münchner Klinikum Großhadern musste eine Notoperation gemacht werden. "Ich muss mich jetzt nochmals untersuchen lassen", erklärte Ai Weiwei nachdenklich, warum er nach München wollte.

Seine Aktion in Sichuan, wo er nach dem verheerenden Erdbeben 2008 erkunden wollte, wie viele Kinder in häufig durch Pfusch am Bau eingestürzten Schulen ums Leben gekommen waren, hatte ihn politisch erst zur Unperson gemacht. Dabei sammelte er nur die Namen der mehr als 5000 getöteten Kinder, was die Behörden verhindern wollten. Mit seiner deutlichen Kritik am kommunistischen System und seiner geschickten Nutzung sozialer Medien entwickelte sich Ai Weiwei seither zum "sozialen Gewissen" Chinas.

Die Kunst soll bei seinem Deutschlandbesuch aber nicht zu kurz kommen, obwohl Ai Weiwei hier auch immer eine politische Note hat. Um seine Gastprofessur an der Berliner Universität der Künste (UdK) nach der unfreiwilligen langen Wartezeit endlich anzutreten, plant der Konzeptkünstler einen Vortrag. Er scherzte vor seiner Abreise, dass er vielleicht über die Frage dozieren könnte, "wie jemand seinen Pass wiederfindet". Seit vier Jahren beschäftigt ihn diese Frage, bis er das Reisedokument vor einer Woche wiederbekam. 600 Tage lang hatte Ai Weiwei jeden Morgen einen Blumenstrauß in den Korb eines Fahrrads vor seiner Tür gelegt, ein Foto gemacht und es über Twitter verbreitet, um gegen die Pass-Schikane zu protestieren.

Den Pass hatten die Behörden nach seiner Festnahme 2011 einbehalten. 81 Tage war Ai Weiwei an einem unbekannten Ort festgehalten worden, rund um die Uhr von Uniformierten bewacht, was er später auch in einer Kunstinstallation und einem Film verarbeitete. Es kam nie zum Prozess, nie zu einer Verurteilung. Doch ausgerechnet die britische Regierung warf ihm jetzt unter Hinweis auf diese - auch nach chinesischem Gesetz unrechtmäßige - Inhaftierung vor, in seinem Visumantrag eine kriminelle Vergangenheit verschwiegen zu haben.

Aus diesem Grund wurde ihm der Wunsch nach einem Sechs-Monats-Visum verwehrt, obwohl die Londoner Royal Academy of Art im September eine große Werkschau mit Ai Weiwei eröffnet. Jetzt darf der Künstler nur drei Wochen bleiben - aus gutem Grund: Im Oktober hat sich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in London angesagt. Vermutlich hatte Peking interveniert, aber überhaupt haben sich die Briten unter Premier David Cameron nach Ansicht europäischer Diplomaten in Peking zu großen "Panda-Knuddlern" entwickelt. So wird jemand bezeichnet, der sich in Peking anbiedert - auch aus wirtschaftlichen Interessen. "Es ist schon peinlich", sagte ein Diplomat.

Nach der Kontroverse um das Visum lässt Ai Weiwei erstmal offen, ob er nach London reisen wird. Ihm seien seine Rechte als einfacher Bürger verweigert worden. Auch stellt sich London nach seiner Meinung damit auf die Seite des Verfolgungsregimes in Peking: Mit dieser Visums-Entscheidung "wird die Position jener eingenommen, die Menschenrechtsverteidigern Leid zugefügt haben", ließ er noch erkennbar verärgert über den Fotodienst Instagram mitteilen, bevor er in die Lufthansa-Maschine nach München einstieg.