10. Sommer-Pavillon der Serpentine Gallery

Alarmstufe Rot

Hobby-Architekturfotografen streichen um Jean Nouvels Sommer-Pavillon, die Kamera gezückt und am Rande der Verzweiflung. Er ist zwar nicht der spektakulärste Pavillon, den die Serpentine Gallery nun zum zehnten Mal bei einem internationalen Starbüro in Auftrag gibt. Zu stark ist noch die Erinnerung an Olafur Eliassons spiralenförmigen, endlosen Turm oder Rem Koolhaas’ kühne Megablase.

Doch kaum einer der auserwählten Architekten hat innerhalb der Aufgabenstellung dermaßen verschiedene Stimmungen kreiert: Frontal betrachtet, wirkt Nouvels Konstruktion wie ein kommunistisches Disneyland, in einem beißenden Rot gehalten und mit einer zwölf Meter steil in die Höhe schnellenden, freistehenden Wand, die eigenartige Rüstungsfantasien hervorruft. Von der Seite angeschaut, mit Blick auf Gemüsebeete in roten Holzkästen, sieht es wiederum aus wie ein cooles Selbstversorgungsprojekt, irgendwo in San Fransisco. Und steht man schließlich mit dem Rücken zur Serpentine Gallery, erinnern die stufenartigen Markisen des Pavillons an ein elegantes Teehaus inmitten der saftig grünen Parkanlage. Angeblich wollte der französische Architekt nur das typische Rot der britischen Telefonzellen und Busse zitieren – doch für eine derart simple Erklärung legt er eindeutig zu viele Assoziationsfallen aus.

Im Pavillon wird es unter anderem eine Nacht-Aktion geben, mit Filmen und Vorträgen zu Träumen und Insomnia. Damit die Teilnehmer diese Einladung nicht mit einer Art Schlaf-Happening verwechseln, gibt es bereits vorab auf der Webseite der Serpentine höfliche Warnungen: Der Jean-Nouvel-Pavillon ist eine offene Struktur, also ziehen sie bitte dementsprechende Kleidung an. Sprich: keine Pyjamas! Dabei stimmt das nicht ganz, denn bei Regen kann man diese offene Struktur an allen Ecken und Enden mit verschiedenen Elementen relativ problemlos schließen. Hier einen roten Vorhang vorziehen, da zwei rote Spiegelflächen zusammenschieben oder die Markisen zu einer planen Fläche herauskurbeln.

Wirkt Nouvels legendärstes Gebäude, das 1989 erbaute Institut du Monde Arabe mit seiner silbrigen, hochtechnisierten Oberfläche, fast still und introvertiert, pocht einem dieser Pavillon in seiner beißenden Farbe und den scharfen Kanten recht schnell wie Migräne im Kopf. Im Inneren, wo sich der Signal-Ton konsequent im Designmobiliar, Boden und an den Wänden fortsetzt, fühlt man sich schließlich wie zu Besuch im eigenen Ich, irgendwo zwischen Leber und Milz. Die menschliche Maschine, einmal von Innen betrachtet. Mit Schachbrett-Tischen für den Geist und pfiffigen Barhockern mit Fahrradpedalen für den Körper. Plötzlich macht auch Christian Boltanskis parallel eröffnete Arbeit Sinn, eine kleine Box, die vor den Eingang der Serpentine Gallery gesetzt wurde. Hier werden Herztöne der Besucher von Mitarbeitern in Arztkitteln aufgenommen und damit Teil eines (weiteren) Boltanski-Archivs. "Les archives du cœur" besteht aus tausenden von Herzklopfern und wandert auf eine unbewohnte, japanische Insel als Teil der Benesse Art Site Naoshima. Eine Kopie des Sounds des eigenen Lebens kann der Besucher übrigens als CD mit nach Hause nehmen.