Bildband "Unintended Beauty"

Die Schönheit der Maschine

Apparatur oder Kunstwerk? Der britische Fotograf Alastair Philip Wiper hat in Fabriken und Forschungslaboren nach Erhabenheit gesucht

In Sally O'Reillys Kunstwelt-Roman "Crude" gibt es ein Kapitel, in dem die Kritikerin Ida zum ersten Mal eine Erdöl-Raffinerie sieht. Die massiven Metallrohre leuchten von hunderten Laternen bestrahlt in der Abenddämmerung und die Protagonistin fragt sich, von wem dieses radikale und bahnbrechende Werk stammt. Blättert man durch die Seiten von Alastair Philip Wipers Bildband "Unintended Beauty", geht es einem ähnlich: Die Funken-Strecke der Technischen Universität Dänemark erinnert an eine abstrakte geometrische Skulptur, ihr reflexionsfreier Raum könnte mit seinen dunkelblauen Schaumstoffkegeln Teil einer Hito Steyerl-Videoinstallation sein. In sorgfältigen Reihen auf einem Rollwagen aufgehängte Leberwürste erinnern an die Arbeiten Erwin Wurms. 

Für "Unintended Beauty" hat der britische Fotograf Versuchslabore, Fabriken, Gewächshäuser, Hightech-Werkstätte und Werften besucht – Orte, an denen sich Industrie und Wissenschaft verzahnen. Die Funktion der hochspezialisierten Maschinen, die hinter ihren Türen liegen, dürfte den wenigsten Betrachtern bekannt sein. Vielleicht verstärkt das den Eindruck der Erhabenheit, die sie ausstrahlen: riesige Apparaturen, deren Aufgabe drin besteht, kleinste Atome zu untersuchen, hochpräzise verarbeitete Oberflächen aus glänzendem Metall, perfekte Kurven, scharfe Spitzen, und kerzengerade Linien, die man in der Natur so nie antreffen würde. Wipers fotografisches Interesse an der Maschine ist ein rein ästhetisches. Mit seinen Bildern hebt er die Proportionalität und Symmetrie seiner technischen Modelle hervor. "Unintended Beauty" ist weniger ein Eklärbildband als vielmehr eine Anthologie industrieller Ikonografie.

"Durch tausende Jahre Versuch und Irrtum haben wir gelernt, dass eine gut ausbalancierte Struktur essentiell für ein optimales Funktionieren ist. In der Balance steckt Schönheit und, so hofft man, eine Nähe zur Wahrheit," schreibt der theoretische Physiker Marcelo Geisler in seinem Vorwort des Buches. Wiper hat sich Orte der Produktion ausgesucht, die Bände über zeitgenössische Konflikte und Begehren sprechen: die Werkstatt des amerikanischen Sexpuppen-Herstellers Realdoll, ein dänisches Gewächshaus für medizinisches Cannabis, das gläserne und hochautomatisierte Schlachthaus Danish Crown, in dem wöchentlich 100.000 Scheine getötet werden. Die Strukturen, die Wiper hier hervorarbeitet, transzendieren den zeitgenössischen Diskurs und fügen sich ein in eine uralte, häufig unbewusste Tradition des wissenschaftlichen Strebens nach Schönheit.