Alexandra Pirici in Basel

Und jetzt alle!

Performancekünstlerin Alexandra Pirici beschwört vor der Kunstmesse Art Basel auf dem Messevorplatz die archaische Kraft von Schwarmritualen

Drei Männer kauern nebeneinander mit dem Kopf am Boden. Auf ihrem Rücken streckt sich eine junge Frau in Camouflage-Leggins. Vor der Troika liegt eine weitere junge Frau, den Kopf zur Seite gewandt. Die Besucher des rumänischen Pavillons auf der Venedig-Biennale 2013 staunten nicht schlecht. Eine enthusiastische Gruppe von Tänzern hatte Joseph Beuys’ legendären Biennale-Beitrag "Straßenbahnhaltestelle. A Monument to the Future" von 1976 in einer Mischung aus Performance und lebendiger Skulptur nachgestellt.

"Die immaterielle Retrospektive der Venedig-Biennale" hieß die hymnisch aufgenommene Arbeit. Das Medley ikonischer Werke und Skandale bedeutete für die 1982 in Bukarest geborene Tänzerin und Choreografin Alexandra Pirici den Durchbruch. Seither sind die Ausstellungen der Quereinsteigerin kaum mehr zu zählen: Bei den Skulptur-Projekten in Münster schloss sie vor zwei Jahren im Friedenssaal des historischen Rathauses den Ort des Westfälischen Friedens von 1648 performativ mit dem Tiananmen-Platz in Peking oder dem Warschauer Ghetto kurz.

In der Kunsthalle Wien konnte das Publikum vergangenes Jahr wählen, welche der Internet-Memes ihre Tänzer nachstellten: von Nicolae Ceauşescus Hinrichtung bis zu Sequenzen aus Grace Jones' Video "Slave to the Rhythm". Und im Neuen Berliner Kunstverein formierten 80 Performer vor zwei Jahren mit "Aggregat" an sieben Tagen für jeweils vier Stunden eine rasante Schwarmbewegung, die das Leben auf der Erde re-imaginierte: Antilopenformationen, Michelangelos "David" oder den Log-in-Sound von Skype.

Bei ihren von Kollegen wie Jérôme Bel und La Ribot beeinflussten Arbeiten ersetzt Pirici oft Monumente im öffentlichen Raum komplett durch Körper – Richard Serras "Tilted Arc" im schweizerischen Biel 2014 genauso wie eine Reiterstatue in Bukarest 2011. Piricis Kunst ist mehr als eine clevere Variante des performative turn in der Kunst. Ihre antimonumentale, fließende Repräsentation, der Rückbezug auf das Körperliche sind auch ein Gegenargument zum Roboter, zum Bot. 2015 riefen Pirici und ihre Kuratorin Raluca Voinea in einem "Manifest für das Gynozän" den Wechsel vom Anthropozän zu einem weiblich geprägten Zeitalter aus: Komplementarität statt Antagonismus, Fürsorge statt Zerstörung, schwache statt starke Körper.

Wie stark diese humane Restsubstanz unter den Druck der Technologie gerät, thematisierte ihre Arbeit "Signals" für die 9. Berlin Biennale 2016. Die Zuschauer fungierten als Suchmaschine, die virale Flashs wie das Bild der nackten Kim Kardashian im Netz auswählten, das die Tänzer als Körperaktionen nachstellten. "Diese Einsicht in etwas übersetzen zu können, das ‚erfahren‘ und ‚gefühlt‘ werden kann, ist etwas, das ein Kunstwerk vermag, besonders, wenn es menschliche Körper involviert", erklärte sie im Monopol-Interview ihr Interesse daran, wie Ranking-Algorithmen menschliche Kommunikation verändern.

Für immaterielle "Environments", wie Pirici ihre Arbeit nennt, scheint eine Messe wie die Art Basel auf den ersten Blick nicht der rechte Ort. Auf deren Vorplatz führt sie in dieser Woche ihre Berliner Arbeit "Aggregate" in einem von dem rumänischen Designer Andrei Dinu entworfenen Pavillon neu auf. Übers Sofa hängen kann man solche works in motion schlecht. Aber für die archaische Kraft von Schwarmritualen sind die flaniersüchtigen Sammler ja empfänglich. Und vielleicht gelingt es Pirici mit ihrer großartigen Kunst wenigstens für ein paar Momente, die "Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs" zu brechen, die sie an der Kunstwelt so amüsiert.