Alicja Kwade in Berlin

Die Einsamkeit des Raumfahrers

Im Berliner Haus am Waldsee macht Alicja Kwade krumme Sachen mit der Relativitätstheorie

Eine kreisförmige Altbautür empfängt den Besucher, die Metallgriffe sind noch gerade, das Holz ist aber zu einer engen Spirale gebogen, wie durch die Zeit gekrümmt. Dahinter rast der Zeiger einer Wanduhr geisterfahrerhaft in die verkehrte Richtung und überschreitet deutlich das vorgeschriebene Sekundentempo, ehe er abbremst und immer langsamer wird: Tick, tack, tiick, taack, taaaack.

Alicja Kwade lässt im Berliner Haus am Waldsee Albert Einsteins Relativitätstheorie künstlerische Praxis werden, zeigt also, wie die Welt aussehen würde oder vielleicht ja tatsächlich aussieht, wenn nur die vierte Dimension berücksichtigt wird. Seit Jahren bezieht sich die 1979 in Katowice geborene Bildhauerin und Konzeptkünstlerin auf wissenschaftliche Forschungsmodelle. Aber wer einzelne ihrer Arbeiten bislang als bessere "Knoff-Hoff-Show" missverstand, dürfte spätestens in dieser umfangreichen Solopräsentation existenzielle Verunsicherung spüren: Angst davor, dass die Welt plötzlich davonrasen oder zum Stillstand kommen könnte; Trauer über die verlorene Zeit; unerhörte Geschichten, die eine alte Tür zu erzählen hätte.

Und die Einsamkeit des Raumfahrers, wie man sie aus Filmen von Andrei Tarkowski oder Christopher Nolan kennt. Mit den weiß getünchten Wänden und Fenstern und dem eigens eingezogenen weißen Fußboden, den man nur mit Überziehern betreten darf, erinnert das Ausstellungshaus tatsächlich an ein Raumschiff. Ein Kupferrohrsystem mit tubenförmigen Öffnungen zieht sich durch Räume und Etagen und versinnbildlicht sogenannte Wurmlöcher, die – theoretisch – Zeitreisen ermöglichen: Im Science-Fiction-Film begegnet sich der Protagonist dabei üblicherweise selbst.

In Kwades Schau begegnen sich wie Zwillinge wirkende Steine vor und hinter einer Scheibe, treten fotografische Selbstporträts als Doppelgänger auf, weist ein Geländer den Weg durch die Wand. Wer das Haus konventionell durch die Tür verlässt, stößt im Hof auf einen Stein, der seine Lage leicht entgegen der Erdumdrehung verändert und somit einen Ort bildet, der in Wirklichkeit stillsteht. "Der Stein ist eine Uhr. Anschauen, nicht anfassen!" mahnt ein Schild. Selbst preußische Aufpasserprosa zerfließt nach dieser Ausstellung in Relativitätspoesie.