Museum für Fotografie

All die Cindys, Claudias und Naomis

Dass der Superfotograf „dem Zeitgeist immer voraus“ war, findet nicht nur Matthias Harder, Kurator der Helmut-Newton-Stiftung. Für manch einen ist der Lieblingsinszenator der Schönen, Reichen und Verrückten freilich weit übers Ziel hinausgeschossen. Alice Schwarzer bezeichnete Newtons Sado-Maso-Inszenierungen als faschistisch. Auch das makellose Körperideal der fünf „Big Nudes“, die auf dem Weg zu den beiden neuen Ausstellungen im Berliner Museums für Fotografie die Treppen belagern, dürfte der Hyperfeministin aufgestoßen sein.
 
Drohend wie Wächterinnen wirken sie, straffe Amazonen mit Haut-, Bauch- und Brustpanzer, ein starkes Geschlecht, an dem jeder begehrliche Blick abprallt. Im Raum steht die Frage, ob Helmut Newtons Kamera nun das Vergrößerungsglas weiblicher Selbstbestimmung oder deren Zerrspiegel war. Überhaupt sind zwei Perspektiven auf seine Mode-, Werbe-, Akt- und Porträtfotografie möglich: Lichtbildnerei als realitätssenthobenes Panoptikum bildschöner Grausamkeit, gemäß Alfred Hitchcocks Diktum eher Stück Kuchen denn Wirklichkeit? Oder aber doch Geschmacksverstärker des Realen, am Puls des Zeitgeistes, nur noch strahlender, düsterer, sehniger, muskulöser oder fetter als es der Durchschnittswahrnehmung entspricht?
 
Der Bildband „Helmut Newton: Sumo“ kam vor zehn Jahren heraus, ein superlativischer Wälzer, 35 Kilo schwer, 464 Seiten stark und 3000 Mark teuer. Drinnen: kalter Glamour, Sex und Crime. Für den Ständer – Pardon: Chromuntersatz – sorgte der Designer Philippe Starck, das in der gleichnamigen Ausstellung zweimal gezeigte Ensemble wirkt wie ein Wickeltisch für Riesenbabys. Für die Schau wurde das Buch sozusagen entblättert und über diverse Wände des Fotomuseums verteilt: Edeltapeten, mit allem gemustert, was im Jetset und Supermodel-Gewerbe Rang und Namen hat.
 
Mit der Ausstellung feiert die Helmut Newton Foundation zugleich fünfjährigen Geburtstag. Mit dem riesigen Archiv des Fotografen und Lebemannes ist sie das Herzstück des Museums für Fotografie, deren Sammlung Fotografie der Staatlichen Museen in den vergangenen Monaten nicht ausgestellt wurde und im November mit einer Panoramaschau „Ein neuer Blick – Architekturfotografie der Staatlichen Museen zu Berlin“ im dann restaurierten Kaisersaal des Obergeschosses reaktiviert wird.
 
Das ehemalige Offizierscasino an der Jebensstraße war laut Newton eines der letzten Gebäude, das der Sohn eines jüdischen Knopffabrikanten sah, als er 1938 in den Zug im Bahnhof Zoo stieg. Nach seiner Emigration und den Kriegsjahren, die er in Singapur und Australien verbrachte, legte Newton mit ersten Aufträgen für die Vogue den Grundstein zu einer Weltkarriere als Modefotograf. Er starb 2004 und wurde wunschgemäß in einem Ehrengrab in Berlin-Friedenau beigesetzt. Gemeinsam mit seiner Frau June Newton, die heute über den Nachlass wacht, hat er bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Absichtserklärung hinterlegt, wonach sein Bildarchiv hier, in Newtons Geburtsstadt, museal gesichert werden soll.
 
„Think Big“ scheint das Motto in der Sumo-Ausstellung zu lauten (die noch von einer Buchpremiere der maßstabsverkleinerten, 100 Euro billigen „Volksausgabe“ des Prunkbandes flankiert wird). Neben all den Cindys, Claudias und Naomis in aufreizend unnahbaren Posen ist jede Menge Show-Prominenz aufgeboten, was nicht heißt, dass der Fotograf allem und jedem Samtteppiche zu Füßen legt. Cathérine Deneuve wird mit einem Revolver bedroht und drückt sich gespielt-angstvoll an die nackte Wand, Model Jenny Capitain posiert mit Krückstock, Beinbandage und Halsmanschette vor einem gewalttätigen Böcklin-Gemälde. Salvador Dali sitzt mit Nasenschlauch im Sessel, Prinzessin Caroline von Monaco wird zum Puzzleteil einer gewollt-groben Fotocollage, Wynona Ryder erscheint bloß als Polyesterkopf ohne Rumpf aus Coppolas Draculafilm.
 
Die Grüfte Hollywoods, die Schattenzone der Prêt-à-Porter-Shows oder Theatergarderoben in Monaco – wo ein panikbleicher Luciano Pavarotti auf seinen tenoralen Auftritt wartet – dominieren auch im zweiten Teil der Ausstellung. Dort sind Originalabzüge aus der Privatsammlung Benedikt Taschens zu sehen, eine Auswahl von Druckvorlagen fürs Sumo-Buch. Wie anders dieselben Bilder wirken! Statt von Bild zu Bild zu springen, kann man sich hier leichter auf Solitäre, Bilderfindungen und kühne Kompositionen einlassen. Erstaunlich, dass diese Abteilung weniger Publikumszuspruch aufweist als die mit den Sumo-Drucken (die man ebensogut im Museumsshop durchblättern kann). Da Capo für Liz Taylor, die samt grünem Papagei am Finger aus einem Swimmingpool ragt, und für das berüchtigte Brathuhn mit brutal gespreizten Schenkeln, neben denen ein Küchenmesser liegt. Das Ganze wirkt wie ein Tatortfoto und dürfte Alice Schwarzer ebenfalls auf den Plan gerufen haben. Sich selbst lichtete Helmut Newton mit der Dornenkrone eines Hirnstrommessgerätes ab.
 
Als Newtons Jünger kann man die Absolventen des renommierten Pasadena College, Mark Arbeit, George Holz und Just Loomis vielleicht nicht bezeichnen – die ehemaligen Assistenten des Meisters lassen sehr eigenständige Werkgruppen in der Parallelausstellung „Three Boys from Pasadena“ sehen. Der heute auf Hawaii lebende Mark Arbeit schafft surreal angehauchte Schwarzweiß-Akte, George Holz hat sich Renommée als Auftragsfotograf für Prominente erworben und gibt seinen Bildern mehr als nur einen Hauch von Film Noir. Am wenigsten gekünstelt in diesem Trio wirken die Arbeiten von Just Loomis, der melancholische Blicke in den amerikanischen Alltag wirft – jenseits überkandidelten Inszenierenwollens.
 


"Helmut Newton: Sumo" und "Three Boys from Pasadena" läuft bis zum 31. Januar 2010 im Museum für Fotografie, Helmut Newton Stiftung