Künstler Zac Langdon-Pole

"Alles hängt zusammen, alles ist verwandt"

Der neuseeländische Künstler Zac Langdon-Pole darf mit der BMW Art Journey die Welt umrunden. Was macht er daraus?

Der Neuseeländer Zac Langdon-Pole nimmt sich in seinen Installationen der Geschichte der Tiere und der Menschen an. Der Künstler findet, unser Leben und die Natur sind enger verflochten, als man gemeinhin denkt. Im vergangenen Jahr wurde er für die BMW Art Journey ausgewählt. Das ermöglichte ihm, zu reisen — wohin er möchte. Was am Ende seiner Erdumrundung steht, ist noch nicht bekannt. Im Interview gibt er aber einen Zwischenstand

Zac Langdon-Pole, was haben Sie für die BMW Art Journey gemacht?
Als ich das Projekt vorgeschlagen habe, wollte ich mir ansehen, wie Menschen die Sterne kartografiert haben, besonders in Europa und auf den Inseln im Pazifik. Deshalb habe ich eine Reise über London, Paris, Amsterdam und durch den Süden Frankreichs unternommen. Dann bin ich nach Berlin zurückgekehrt, bevor ich dann nach Hawaii und auf die Marshall-Inseln gefahren bin. Danach bin ich nach Samoa, Neuseeland und schließlich nach Singapur geflogen.

Der Titel des Projekts ist "Sutures of the Sky" — sutures, das sind doch eigentlich chirurgische Nähte, oder?
Ja. In einem poetischen Sinn beziehe ich mich auch darauf. Wenn man eine Konstellation zeichnet, dann verbindet man mindestens zwei oder drei Punkte mit einer Linie. Das ist der Nullpunkt der Sinnproduktion. Oder eben der Einbildungskraft.

Klar, wenn man lange genug den Himmel betrachtet …
Naja, sagen wir, wenn man den Himmel zwischen zwei Punkten betrachtet. Das ist ein Beispiel für das, was ich mit solchen Nähten meine. Aber ebenso werden auch diese Visionen am Nachthimmel an Kultur, Menschen und Orten gebunden. Das ist eine weitere Naht, die Zeiten verwebt.

Wie meinen Sie das?
Wie die Menschen die Sterne kartografieren, beeinflusst die Struktur von Zeit. In London habe ich mir zum Beispiel angesehen, wie die Erfindung der industriellen Zeit, also der standardisierten Uhrzeit unsere Wahrnehmung beeinflusst.

Was ist denn die Alternative zur standardisierten Zeit?
Sie unterscheidet sich von der Ereignis-Zeit sich. Die hängt nämlich viel mehr von der Umwelt ab: Die Sterne spielten noch eine Rolle. Sie gaben zum Beispiel Anhaltspunkte, wann die Bauern anpflanzen.

Also muss man sich vorstellen, dass die Urmenschen auf der Suche nach Sinn als erstes in den Himmel schauten?
Vielleicht, ja. Sehen Sie sich nur die Höhlen von Lascaux in Montignac, Südfrankreich an, mit ihren bedeutenden Malereien. Dort gibt es die ersten Darstellungen von Sternbildern, sie sind an der Höhlendecke verewigt.

Heute haben wir ja ganz andere Arten der Sinnproduktion. Wir machen Kunst, schreiben Literatur, betreiben Wissenschaft.
Aber alte Mythen leiten unsere Wahrnehmung bis heute.

Ein Beispiel?
Denken Sie an den Pazifik. Der portugiesische Entdecker Ferdinand Magellan hat den Ozean so genannt: Mare Pacifico. Das bedeutet still und offen, und es prägt unser Bild bis heute: Man stellt sich das Meer irgendwie leer vor. Einst öffnete diese Vorstellung die Tür für europäische Erkundungen und Eroberungen. Dabei gibt es dort komplexe Verbindungen zwischen den Inseln, Orten und Kulturen. Aber Namensgebung und die Kartografie haben noch immer weitereichende Wirkung.

In Ihrer bisherigen Arbeit haben Sie sich mit Vögeln beschäftigt. Was fasziniert Sie daran?
Ich wollte ein Denken mit einbeziehen, das außerhalb der anthropozentrischen Perspektive mit dem Menschen im Mittelpunkt der Welt steht. Vögel migrieren und reisen über größere Distanzen, als der Mensch es je könnte. Aber sie leiten die Menschenströme auch quer über den Pazifik. Und diese Bewegungen lassen sich über Jahrtausende zurückverfolgen. Die Wanderrouten sind betroffen von den Veränderungen in der Umwelt, das wollte ich mir auch ansehen. Wenn man außerhalb der rein menschlichen Perspektive schaut, lernt man etwas über die kulturellen Missverständnisse, die sich dabei ergeben. Das habe ich bereits in meiner Arbeit über die Paradiesvögel von Papua gemacht.


Ausgestopften Vögel ohne Füße. Was hat es denn damit auf sich?
Mich interessiert, wie Menschen die Natur wahrnehmen, und wie sie dann geordnet wird. Im 17. Jahrhundert fand die große Kategorisierung statt. Enzyklopädien und Sternkarten wurden geschrieben.

Und hier kommen die Vögel ins Spiel?
Die Beziehungen zu Vögeln oder die Interpretationen davon sagen etwas über die Bewegungen von Menschen. Die Geschichte der Paradiesvögel erzählt nämlich eigentlich vom Exotismus und der Konstruktion des Anderen.

Erzählen Sie mir diese Geschichte!
Es ist die Erzählung einer fantastischen Zoologie. In Europa kam die Vorstellung von Vögeln auf, die nie den Boden berühren, bis sie sterben. Dieses Bild entstand zur Zeit des Empirismus, als der wissenschaftliche Katalog der Natur gerade verfasst wurde. Die Wissenschaft beansprucht schon ihren Platz, aber es gibt immer noch den christlichen Glauben. Denn die Leute dachten, das wären Engel, die vom Himmel fallen. Eine interessante Weggabelung in der Entwicklung des Denkens.

Wann war das?
Das lässt sich recht genau datieren. Der Entdecker Magellan ist im 16. Jahrhundert nach Indonesien gesegelt, nach Papua. Dort hat er mit den Bewohnern gehandelt und dabei die ausgestopften Vögel bekommen — nur die Füße hat man ihnen abgenommen. Kurz darauf wurde eine Handelsroute etabliert. Vom 16. bis 18. Jahrhundert glaubte man in Europa also wirklich, dass diese Vögel keine Füße haben, und dass sie permanent fliegen.

Menschen und Vögel führen seltsam parallele Leben.
Ja, alles hängt zusammen, alles ist verwandt. Ganz oft, wenn wir die großen Erzählungen entwerfen oder sie in die Welt einschreiben, dann werden Unterscheidungen eingeführt: zwischen uns und der Umwelt. Diesen Unterscheidungen zu folgen, aber zu erkennen, dass die Dinge verbunden sind, das war für mich interessant.

Dabei sind die Leben der Tiere und der Menschen verwoben, wie in Ihrer Arbeit über Holzwürmer, die Sie unter anderem anlässlich des Ars-Viva-Preises im SMAK in Gent gezeigt haben.
Ja. Das ist ein fortdauerndes Projekt. In der Arbeit geht es um die Larven des Nagekäfers, die in den Möbeln der ersten europäischen Siedler in Neuseeland ankamen. Um vor Ort Häuser zu bauen, wurde dann der Regenwald abgeholzt, dessen Hölzer sehr weich waren. Darin konnte sich der Käfer rasend schnell ausbreiten. Meine Eltern leben in einem solchen Haus. Als sie dort einzogen, spendete ihnen die Heilsarmee Möbel.

Die Sie dann für ihre Installation benutzt haben?
Sie wollten die Stücke loswerden, weil sie eben voller Wurmlöcher waren. Für die Ausstellung haben meine Eltern sie dann nach Europa geschickt. Dort habe ich die Löcher mit Gold gefüllt und die Stücke ausgestellt. Sie sehen: Auch im Kleinsten gibt es den Bezug zur größeren Geschichte von Menschen, die reisen und migrieren, bis hin zur Transformation ganzer Landschaften.

Mit solchen Themen beschäftigt sich die Kunst ja schon eine Weile — wie Mensch und Natur, Natur und Kultur zusammenhängen. Was kann denn Kunst überhaupt dazu beitragen, was die Wissenschaft nicht zu bieten hat?
Ich glaube Kunst kann etwas, das Sprache nicht schafft. Wenn man in eine Ausstellung geht, wird eine Schwelle überschritten, und man kann etwas auf sich wirken lassen. Ganz so, wie man selbst darauf wirkt. Und das ist eben anders als würde man einen Text lesen. Als Künstler orchestriert man diese Erfahrung.

Diese Zusammenhänge existieren ja nicht nur zwischen den Spezies, sondern auch über wahnsinnig lange Zeiträume, oder?
Ich finde das Konzept von deep time sehr interessant. Ich habe in einer anderen Arbeit ja auch mit Meteoriten gearbeitet, die älter als die Erde sind. Und auch im Laufe der "BMW Art Journey" war ich von der unglaublichen Tiefe der Zeit fasziniert — damit meine ich Zeiträume länger als ein Menschenleben. Die geologische Zeit.

Was denken Sie sich dabei so?
Man sieht, dass alles im Fluss und in Bewegung ist. Ein Stein ist ja nur ein temporärer Zusammenschluss von Sand. Die Dinge sind ein Prozess. Und wenn wir auch so darüber nachdenken, dann müssten wir die Dinge nicht mehr Dinge nennen, und wir müssten sie nicht mehr als das Andere konstruieren. Dann können wir eine bessere Beziehung zur Welt entwickeln.