Andreas Mühe über Politik nach Chemnitz

"Analyse statt Hass!"

Die Ereignisse der letzten Wochen in Chemnitz haben gezeigt, wie zerrissen Deutschland ist. Der Fotokünstler Andreas Mühe, der sich in seiner Arbeit mit der Repräsentation von Macht und deutschen Klischees auseinandersetzt, ist in der sächsischen Stadt geboren. Wie denkt er über das politische Klima dieser Tage? 

Wir erreichen den 38-Jährigen in Peking, wo er seine erste Einzelausstellung in China vorbereitet: Das renommierte Red Brick Art Museum zeigt rund 70 Arbeiten aus allen Werkkomplexen der letzten fünfzehn Jahre, darunter auch neue Bilder, die bisher noch nie in einer Museumsausstellung zu sehen waren. Mühe beantwortet die Fragen per E-Mail.

Herr Mühe, wie schauen Sie mit diesem geografischen Abstand auf die Ereignisse der letzten Wochen in Ihrer Heimatstadt Chemnitz?
Aus dieser großen Distanz kommt es mir vor, als ob wir nur noch um unsere Binnenverhältnisse kreisen, die wir nicht mehr in den Griff bekommen und uns perspektivlos in Schuldzuweisungen erschöpfen. Im Sommer 2013 warteten wir im Zentrum von Chemnitz mehrere Stunden auf die Gelegenheit, vor dem Karl-Marx-Kopf den letzten Blick der fiktiven Kanzlerin aus ihrem Auto auf diese monumentalen Klotz festzuhalten ("A. M. Eine Deutschlandreise", 2013 ) Eine winzige Gruppe rechter Demonstranten und eine Gegendemo, die ein vielfaches an Menschen aufbot, war, eskortiert von noch mehr Polizisten, vor dem Kopf ins Stocken geraten. Wir überlegten schon, weil die Sonne sich langsam aus dem Bild verabschiedete, den Fototermin auf die Morgenstunden des nächsten Tages zu verschieben, als sich im Windschatten der Polizei, die sich nicht um uns kümmerte, doch noch bei ein bisschen Abendsonne die Gelegenheit ergab, die Aufnahme zu machen. Damals schob ich den Kinderwagen meiner Töchter in das Blickfeld der Kanzlerin vor die Treppenstufen des riesigen Kopfes. Ich meinte mich und spielte mit dem Umstand, dass ich in Karl-Marx-Stadt auf die Welt gekommen bin. Wie viel Vertrauen lag in dieser Geste für dieses Land und wie viel ist in den letzten Jahren davon verspielt worden? Wieder wird "Wir sind das Volk!" – 1989 war es der Ruf nach Veränderung, der sich kurz darauf in "Wir sind ein Volk" verwandelte – skandiert. Und wieder macht dieser Ruf, so völkisch er diesmal klingen mag, deutlich, dass es eine Kluft auch zwischen Ost und West, den Deutschen und den Migranten, den regierenden Parteien und ihren Wählern gibt.

In den sozialen Medien haben Sie die Berichterstattung nach den Ereignissen von Chemnitz kritisiert. Was fehlt Ihnen?
Analyse statt Hass.

In Ihrer Arbeit haben Sie sich immer wieder mit rechter Ästhetik auseinandergesetzt, haben sie gebrochen und ironisiert. Warum ist der Rechtsextremismus Ihrer Meinung nach so stark in Ostdeutschland?
Ich habe mich mit Macht und ihrer Sucht nach Selbstdarstellung in Diktaturen beschäftigt. Ihr Zwang zur Überwindung von biederer Häuslichkeit und Sehnsucht nach feudalem Pomp durch ein äußeres Bekenntnis zur Moderne, deren Funktionalität und Formwillen man als Mittel der Gleichschaltung für sich in Anspruch nehmen will, interessiert mich. Rechte Ästhetik wäre für mich nach wie vor ein Konglomerat aus traditionellem Heimatkitsch, Deutschtümelei und der unberechtigten Inanspruchnahme der Formensprache der Moderne. Aber nun zu Ihrer Frage. Das Ende des Kalten Krieges war nicht nur das Ende der Staaten des Ostblocks, sondern das Ende der Idee vom Kommunismus. Der schnelle Übergang von der DDR hin zur BRD überrollte jede weitere Nachfrage. Wenn die linken Ideen gestorben sind, haben auch linksextreme Positionen keinen Boden mehr. Der rechte Rand ist mit Parias besetzt.

Was wären richtige Mittel gegen das Erstarken von Neonazis?
Sie endlich ernst nehmen.

Die Ablehnung von Merkels Politik hat sich bei Rechten und "besorgten Bürgern" zu blanken Hass gesteigert. Ihre Flüchtlingspolitik erklären den Grad der Emotion nur zum Teil. Sie haben die Kanzlerin immer wieder in Szene gesetzt. Was provoziert Pegida & Co bis zur Raserei an der Person Merkel, warum wird Politik hier überhaupt auf eine so persönliche Ebene gebracht?
Der politische Diskurs wird von den Pegida-Populisten und der AfD systematisch aufgelöst. Sie sprechen, um den anderen sprachlos zu machen. Ihre Sprache funktioniert nach den Regeln der Unterhaltungsindustrie. Sie vergiften die Sprache, um sich Stück für Stück ihre Wirklichkeit zu schaffen. Die Bundeskanzlerin ist ihnen dafür Mittel zum Zweck. Sie ist der Testballon dafür, wie weit Rechtsextremismus sich bereits vorwagen kann.