Künstler Anish Kapoor

"Wir haben versagt"

Anish Kapoor erschafft Oberflächen als Illusionen, die erst durch den Betrachter zu existieren beginnen. Jetzt präsentiert der britisch-indische Bildhauer in München neue Werke. Mit Monopol sprach er über sein politisches Engagement, das Versagen der Linken - und seinen Traum vom perfekten Kunstwerk

Anish Kapoor, Ihre frühen Arbeiten mit Pigment sind definiert geformte, meist geometrische Objekte. Die jetzt in der Münchner Galerie Klüser ausgestellten neuen Pigment-Arbeiten wirken hingegen eher wie amorphe Landschaften mit einem rechteckigen Abdruck in ihrer Mitte. Wie gehen Sie an diese Arbeiten heran?
Das letzte Mal beschäftigte ich mich 1986 oder '87 mit den Pigment-Arbeiten, und ich hatte den Eindruck, das abgeschlossen zu haben. Aber seit den letzten zwei oder drei Jahren versuche ich, Objekte ganz aus Pigment herzustellen, anstatt sie nur zu bestreuen oder Pigment als ungebundenes Material zu verwenden. Das fühlt sich tatsächlich ganz anders an. Im Studio arbeiteten wir an einigen Objekten mit hohlen Formen, die an Gräber erinnern können. Das ist sicher auch eine Rückkehr in ein gewohntes Terrain, aber auf eine andere Art und Weise.

Ein verbindendes Element zwischen den Pigment-Arbeiten und der neuen Werkgruppe aus Silikon ist der intensive Einsatz von Farbe. Die Wirkung ist dabei aber sehr unterschiedlich.
Ja, sie sind komplett verschieden. Die letzten Jahre beschäftigte ich mich mit Farbe auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Neben den Pigment-Arbeiten gibt es auch einige Arbeiten, die aus einer Mischung aus Wachs und Farbe bestehen. Davon ausgehend entwickelte sich mein Interesse für Silikon. Ich stellte fest, dass Silikon die Farbe unglaublich gut annimmt. Es verhält sich wie Ölfarbe, hat aber zusätzlich dieses Volumen. Mit Silikon zu arbeiten, hat etwas sehr Körperliches. Ich mache das jetzt seit vier oder fünf Jahren und versuche über den Prozess Bedeutungen entstehen zu lassen. So entstanden die ausgestellten Objekte, bei denen eine PVC-Folie oder ein durchsichtiges Gewebe über das Silikon gespannt ist, sodass man durch etwas hindurch oder in etwas hinein sieht. Diese Art von Innerlichkeit verbindet die Silikon-Objekte auch mit den Pigment-Arbeiten.

Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Beziehung zwischen dem Äußeren und Inneren von Objekten. Was fasziniert Sie daran?
Die Idee, dass Objekte nicht zwingend so sind, wie sie sich zunächst zu erkennen geben. Ich fragte mich, ob man ein immaterielles Objekt machen könnte, ein "non-object". Dass ich mich selbst nicht nur als das hier (greift sich an den Arm) beschreiben kann, könnte ein gutes Beispiel dafür sein. Natürlich bin ich das, aber sobald ich meine Augen schließe und versuche herauszufinden, was ich wirklich bin, merke ich, dass der Raum in mir viel größer ist als das (zeigt mit beiden Händen auf seinen Oberkörper). Kann man Objekte machen, deren Inneres größer ist?

Sie beschreiben unterschiedliche Zugänge zur Wirklichkeit. Einerseits können wir die Welt mathematisch beschreiben, andererseits gibt es aber auch eine intuitive und körperbezogene Art der Wahrnehmung.
Es ist mein Ansatz, der Realität diese "anderen" Momente hinzuzufügen. Auch wenn das nur fiktionale Momente sind, könnten sie auf etwas Interessanteres verweisen, etwas Wichtigeres, Tieferes und Dunkleres. Dieses dunkle, tiefe Innenleben ist erschreckend, wirklich erschreckend. Kunst ist vielleicht der einzige Bereich im Leben, in dem wir mit etwas konfrontiert werden können, das wirklich mysteriös ist. Und wir fragen uns: Was ist das? Warum ist das? Letzten Endes sind die meisten Dinge beschreibbar, leider auch in der Kunst. Es gibt sehr wenige Objekte, die geheimnisvoll bleiben. Es lohnt sich, ein Leben lang auf den Versuch zu verwenden, ein Objekt zu machen, das wirklich rätselhaft bleibt und sich einer unmittelbaren Beschreibung entzieht.

In Bezug auf ihre Arbeiten sprechen Sie oft von Ganzheit, Leere, Dunkelheit und Schönheit. Konfrontiert mit Ihren Silikon-Objekten ist da für mich auch eine starke Präsenz von Gewalt.
Ja, das kann ich verstehen. Gewalt impliziert Aggression, aber ich bin mir nicht sicher, ob es mir tatsächlich um Gewalt geht. Ich denke, ich habe einige Arbeiten gemacht, die zutiefst aggressiv sind. "Shooting into the corner" beispielsweise ist zutiefst aggressiv. Ich bin an der dunklen Seite des Psychischen interessiert. Und die Sprache der inneren Welt, diese – wenn man so will – dunkle Sprache, impliziert Aggression. Aggression ist ein Teil von ihr.

Wenn Aggression mit Körpern verbunden erscheint, dann ist da auch immer Gewalt involviert.
Offensichtlich wirken Horrorfilme genau deswegen, weil sie mit dem Körper verbunden sind. Nichts wäre furchterregend, wenn es nicht so wäre. Alles wirklich Abstoßende ist immer an den Körper gebunden. Man kommt immer zu der Frage zurück, was diese Welt des Körpers ausmacht. Es geht mir nicht um eine objektive Untersuchung in der Art von Leonardo da Vinci. Klar, das ist wichtig, aber ich denke ein emotionaler Zugang ist immer verbunden mit Blut, Gestank, Verwesung und all dem Zeug. Das ist selbstverständlich ein essentieller Bestandteil des Daseins. Damit müssen wir alle klarkommen. Aber wirklich damit zu arbeiten, ist sehr schwer.

Sind Sie ein romantischer Künstler?
Ha! Interessant. Ich würde vielleicht ja sagen. Falls romantisch meint, über den Zustand des Menschen nachzudenken, dann würde ich ja sagen. Definitiv. Auf der anderen Seite ist da diese kitschige Hollywood-Romantik, die kleine Emotionen nimmt und sie aufbläst. Das ist weniger interessant.

Sie sagen, Ihre Arbeiten seien keine Symbole oder Repräsentationen. Wie entsteht dann Bedeutung?
Duchamp hatte einen sehr wichtigen Gedanken: Der Künstler ist ein Medium, das in Form eines Kunstwerks eine kontingente Realität erschafft. Aber dieses Kunstwerk ist nicht komplett, solange es nicht vom Betrachter erfahren wird. Natürlich erzeugen materielle Dinge und Zustände mögliche Bedeutung, aber die tiefste Bedeutung kommt immer vom Betrachter. Bedeutungen werden vom Werk nahegelegt, aber letztlich kommen sie vom Betrachter. Bedeutung ist sozusagen gemacht. Sie entsteht aus einem Akt der physischen Partizipation. Ich komme wieder auf das mysteriöse Objekt zurück, bei dem man sich fragt: Was ist das? Warum ist das überhaupt von Interesse? All diese dummen Maschinen! Alles sagt uns, was es ist, immerzu. Und in dieser Situation Objekte zu haben, die uns nicht sagen, was sie sind, daran arbeite ich.

Der Körper des Betrachters ist also durch den Prozess der Wahrnehmung immer Teil des Kunstwerks.
Keine Frage. Ja.

Ende Oktober wurde eine riesige Statue des indischen Nationalhelden Sardar Patel fertiggestellt und ist seitdem die größte Statue der Welt. Auch einige Ihrer Arbeiten sind monumental, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Ist es Kunst überhaupt möglich, unpolitisch zu sein.
Indien befindet sich in einer schwierigen Phase. Seit jeher jat das Land viele Volksgruppen, aber jetzt heißt es, du bist entweder Hindu und ein guter Mensch oder Moslem und ein schlechter Mensch. Und nun wird unglaublich viel Geld für diese nationalistische Skulptur ausgegeben. Ich halte das für sehr problematisch. Aber zurück zu Ihrer Frage: Selbstverständlich entwickeln alle öffentlichen Objekte ein öffentliches Leben. Das kann man nicht kontrollieren. Sobald man etwas in die Welt setzt, entwickelt es ein Eigenleben. Ist es also möglich, Objekte zu machen, die nicht politisch sind? Ich denke nicht. Falls Duchamp Recht behalten sollte, dass der Betrachter das Objekt erst vollständig macht, er den Kreis erst schließt, dann muss alles politisch sein. Es kann nicht unpolitisch sein. Vielleicht ist es die Rolle des Künstlers, auf diesem Gebiet etwas auszuprobieren. Eher als Dinge auszusprechen. Gerade heute. Wir waren gewohnt, in einer Welt zu leben, in der Kunst radikal war. Die Linke war radikal. Wir haben versagt. Ich denke daran gibt es keinen Zweifel. Wir haben versagt. Wir haben versagt, unsere Mitbürger davon zu überzeugen, dass linksorientierte, liberale Werte ihre Werte sind.

Unterscheiden Sie zwischen Ihrer Rolle als Künstler und als Bürger?
Ich denke, dass offensichtlich politische Kunst ein sehr kurzes Leben hat. Kunst, die in Mach-dies-tu-das-Imperativen handelt, kann nur von kurzer Dauer sein. Aber natürlich können Kunstobjekte eine politische Existenz haben. Sie sollten dann aber nicht zu stark versuchen, eine bestimmte Situation zu erklären.

Derzeit gibt es Diskussionen um die Veränderungen durch Digitalisierung. Verkürzt gesagt geht es dabei oft um die Befürchtung, dass digitale Technologien sich dem menschlichen Zugriff entziehen. Die Affirmation digitaler Technologien durch Künstler der Post Internet Art könnte man als Kehrseite dieser Tendenz beschreiben. Wo verorten Sie sich in diesem Feld?
Technologie war immer Teil der Sprache von Kunst. Manche Dinge werden plötzlich möglich, die kurze Zeit vorher noch unmöglich waren. Mir kommt es aber so vor, als ob die Sprache des Digitalen noch nicht komplex genug ist, um wirklich subtile Veränderungen und Manipulationen zu erlauben. Das Großartige an der Ölmalerei ist, dass man die kleinste Geste sieht – man bewegt kaum die Hand und man kann es sehen. Ich warte noch auf den Tag, an dem das Digitale echte Raffinesse erlaubt. Jedes neue Medium bringt auch eine neue Bedeutung. Das müssen wir immer wieder von Neuem lernen. Nicht immer nur die gleichen alten Bedeutungen oder ein paar neue Interpretationen alter Bedeutungen. Es geht tatsächlich um neue Bedeutungen.

Ihre künstlerische Praxis würde ich als eine Art Suche beschreiben. Was haben Sie bislang nicht gefunden?
Stellen Sie sich vor, ein Objekt zu machen, das Ihnen das Gefühl gibt, sich zu verlieben. Das ist doch ein Versuch wert. Das meine ich todernst. Stellen Sie sich vor, ein Objekt zu machen, das immer geheimnisvoll bleibt. Das ist in gewisser Weise nicht so anders, als sich zu verlieben (lacht). Stellen Sie sich vor, ein Objekt zu machen, das redet, als ob es lebendig wäre. Objekte die atmen. Aber können solche Objekte wirklich geheimnisvoll sein? Wir wissen es nicht. Ich hab eine enge Beziehung mit meinem wunderbaren Hund. Wir kennen uns. Wir haben eine gemeinsame Sprache, aber es bleibt komplett geheimnisvoll. Natürlich spricht sie nicht und ich spreche nicht „hündisch“, aber da passiert etwas zwischen uns. Kunst sollte in der Lage sein, so etwas zu tun. Ich weiß, dass das geht. Deswegen halten wir an der Kunst fest. Entschuldigen Sie, dass ich über meinen Hund spreche, aber das ist einfach der beste Weg das zu verdeutlichen.

Ich denke, das ist sehr anschaulich.
Ja. Das ist nicht in Worte zu fassen. Kann man solche Objekte machen? Können wir das? Da ist diese Intimität. Kunst ist wirklich großartig in dieser Intimität: Komm her! Schau mich an! Komm und sei Teil davon!