Fotografie und Autorinnenschaft

Das Selbstbildnis ist kein Spiegel, sondern ein Werkzeug

Wie viel Kontrolle haben Künstlerinnen über ihr eigenes Bild? Und wann wird diese Kontrolle pathologisiert? Unsere Autorin denkt über die feinen Grenzen zwischen Selbstinszenierung, Autonomie und Aneignung nach

"Du musst den Perfektionismus loslassen." Das Gesicht einer schwedischen Empathie-Coachin flimmert über meinen iPhone-Bildschirm. Ihre Züge sind zu symmetrisch, zu glatt, als wäre sie eine Wachsfigur, die blinzelt. Nein, denke ich und klammere mich an die Lehne des Sitzes im Uber-Fahrzeug, während ich den "Addict Lip Glow" von Dior im ruckelnden Rush-Hour-Verkehr des New Yorker Times Square über mein Gesicht ziehe.

Perfektionismus kann in Prozessen hinderlich sein, sicher. Aber in der Produktion eines Kunstwerks nach meiner eigenen Vorstellung? Nein. Es gibt das Kunstwerk – und dann gibt es das Material drumherum. Besonders in einer Welt, die so exzessiv Bilder frisst wie diese. Menschen fotografieren dich. Ständig. Als wir in die 42nd Street einbiegen, schieben sich zwei Tänzerinnen in weißen Hasenkostümen über das Dach einer Limousine vor dem New Amsterdam Theater. Eine dritte nimmt sie auf. Ich filme sie durch die getönten Scheiben meines Wagens. An der Kreuzung treffen sich unsere Blicke – durch die Augen unserer Kameras.

Nach der Veröffentlichung meines ersten Romans habe ich noch mit Fotografinnen und Fotografen gearbeitet. Mittlerweile überhaupt nicht mehr. Der Grund dafür: Meine Wünsche und Vorstellungen werden nonchalant übergangen. Dabei laufen die Gespräche meist so ab:
 

Ich: Dieses Bild gefällt mir nicht. Meine Beine sehen auf dem Kissen liegend geschwollen aus.

Fotografin: Was? Du bist ja verrückt, schau dich mal an! Du bist so dünn!

Ich: Es geht nicht um mein Gewicht. Es geht darum, dass die Perspektive ungünstig ist.

Fotografin (beleidigt): Also, ich finde dich stunning. (Beendet das Gespräch.)

 

Meine Wünsche werden mir als Unsicherheit ausgelegt, als mangelnde Selbstliebe. Ein Mechanismus, den übrigens auch Sektenanführer benutzen. Sollte ich mich also fügen? Einfach der Fotografin oder dem Fotografen vertrauen? Ist das nicht das, was Heidi uns in 20 Jahren "Germany's Next Topmodel" beigebracht hat? "Vertrau Rankin, er weiß, was er tut. Er ist schon viel länger im Geschäft als du." Ich könnte darauf natürlich antworten: "Oh Rankin, ich liebe dich." Ich kann ihn ansehen und ihn wirklich glauben lassen, dass ich ihn liebe. "Ich liebe dich, Rankin." Und etwas in mir liebt ihn dann tatsächlich.

Nur noch Bilder von mir selbst

Die einzige Fotografin, mit der ich noch arbeite, ist die, die mir in den ersten zwei Minuten unseres Shootings ins Gesicht sagte: "Oh mein Gott, was ist mit deiner Pobacke los? Du siehst auf dem Bild aus wie ein fettes Baby-Kamel!" Abgesehen von dieser einzigartigen Frau mache ich nur noch Bilder von mir selbst. Mit dem Handy. Mit iPhoto. Mit dem iPad und einem Selbstauslöser. Eine Angewohnheit, die mir schon mit zwölf den Vorwurf des Narzissmus eingebracht hat. Es ist derselbe Mechanismus: Meine Beschäftigung mit mir selbst wird zur Pathologie.

Dabei interessiert mich genau das: der Zwischenraum, in dem die Arbeit mit meinem eigenen Bild zu Kunst wird. So wie bei Amalia Ulman, Colette, Göksu Kunak, Julia Fox, Kara Walker, Lorraine O'Grady, Marina Abramović oder Nadia Lee Cohen. Ein Moment der Selbstinszenierung, der sich im Augenblick der Aufnahme selbst untergräbt – eindrucksvoll herausgearbeitet von Anika Meier, Leah Schrager und Margret Murphy in der Online-Ausstellung "The Second-Guess: Body Anxiety in the Age of AI" im HEK, die sich den unheimlichen Mechanismen der Aneignung von Körpern in den technologischen Ökonomien der Gegenwart widmet.

Die Ausstellung eröffnet mit dem Bild einer Frau, eingefangen von einer Überwachungskamera an einem Flughafen. Ihr Gesicht ist verdunkelt. Darunter steht: "Es ist ein Geschenk, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen." Die Umdeutung staatlicher Überwachungstechnologien als Care-Praxis kann als spielerische Umkehr dieser Mechanismen verstanden werden, die so banal wie komplex sind.

Sich zu zeigen, bedeutet immer auch, sich zu übergehen

Ich weiß, dass ich es Fotografinnen und Fotografen nicht leicht mache. Weil ich echt wirke. Was aus meiner Perspektive nur bedeutet, dass ich eine gute Schauspielerin bin – kein schlechtes Model. Ich strecke den Arm aus dem Fenster und filme mein blond gefärbtes Haar, das unter den Straßenlichtern in die Dunkelheit flattert. Es ist dabei aber eben nie nur eines. Sich zu zeigen, bedeutet immer auch, sich zu übergehen. Sich ganz einer Idee hinzugeben. Etwas zu werden.

"Chloë zündet sich eine Camel Light an und vertieft sich wieder in ihre 'Vogue'. Chloë beim Lesen eines Modemagazins zuzusehen, erinnert an Alexander Woollcott, der einen zehn Pfund schweren Hummer à l’américaine verschlingt, oder an Casanova, der einer Dienerin das Kleid auszieht", schreibt Jay McInerney 1994 im "New Yorker" über Chloë Sevigny. Und weiter: "Chloë kann mit einiger Sicherheit darüber sprechen, was auf der Straße passiert. Manche sagen, Chloë ist das, was auf der Straße passiert."

Ich will die Ambiguität aushalten. Das Licht. Das Glitzern draußen. Und die Angst, in ein Bild zu fallen und nie wieder aufzutauchen. Selbst Simone de Beauvoir, die große Denkerin des historischen Anderen der Weiblichkeit, konnte nicht über die Schauspielerin als tragische Figur hinausdenken, die sich narzisstisch in ihr eigenes Bild verliebt. Die darin den Bedingungen ihres spectators verfällt.

Weshalb also die Angst?

Sie sah nicht die ökonomische Bedingung. Oder den "Wert" ihrer eigenen Darstellung, wie Sophia Giovannitti ihn im Übrigen auf großartige Weise in "Selling Art and Selling Sex" beschreibt. (Ich verweise hier auch auf das luzide Review der amerikanischen Autorin und Kuratorin Wendy Vogel.) Den Wert anzuerkennen würde bedeuten, das Selbstbildnis nicht als Spiegel zu sehen, sondern es als Instrument und als Mittel künstlerischen Ausdrucks ernst zu nehmen.

In "Sick Women, Sad Girls, and Selfie Theory" beschreibt Lauren Fournier die Notwendigkeit, das mädchenhafte Imaginäre zu entfalten – als ein Aufbegehren gegen einen Körper, der in seiner Austauschbarkeit regiert wird. Diese Perspektive beginnt erst dort, wo die weibliche Autorschaft über ihr eigenes Bild anerkannt wird.

Als ich aussteige, gleiten meine Augen die Fassade hinauf. Überlebensgroß: eine Werbekampagne mit Emily Ratajkowski. Eve kommt mir entgegen: "Es ist schön, dich kennenzulernen … Lily." Ich denke oft an sie. An die, die mein Bild in anderen auslöst. Die Angst vor einer Figur, die sich selbst erschafft. Die Angst vor einer Welt, die sich tatsächlich nach den Ideen eines Mädchens richten könnte.