Anne Imhof steht für eine Kunstform, in der Musik, Film und Performance unauflöslich ineinander greifen. Mit ihrer Inszenierung von "Doom: House of Hope" (2025) verwandelte sie eine riesige Halle der New Yorker Park Avenue Armory in ein Panorama aus Rave, Oper und Ballett. Darin verstrickten sich die rivalisierenden Häuser Tigers und Wolves in Liebe und Rivalität, Schmerz und Verlangen. Shakespeares Drama "Romeo und Julia" wurde dabei zum rückwärts erzählten Coming-of-Age-Drama. Und jetzt? Die Tigers und die Wolves wechseln den Ort – von der Bühne auf Fußballtrikots.
Gemeinsam mit der Modemarke Nike hat Anne Imhof ihre erste Marken-Kollaboration umgesetzt und das "Total 90"-Trikot neu interpretiert. Dabei handelt es sich um ein Mode-Artefakt der 2000er-Jahre, das durch den "Blokecore"-Trend (sprich: Fußballtrikots als Streetwear-Statement) in Popkultur und High-Fashion gerade ein Comeback erlebt. Die Kollektion umfasst zwei Modelle: ein schwarz-blaues T-Shirt für das House of Tigers und ein rotes Longsleeve mit Wolfskopf für das House of Wolves. Auf der Brust prangt das "Doom"-Wappen, auf dem Rücken steht "Imhof 25".
Die Berliner Punk-Pop-Sängerin Lia Lia und der Rapper ATK44
Imhofs Kunst ist seit jeher körperlich: androgyne Figuren, verletzlich, manchmal selbstzerstörerisch, immer voller Begehren. In "Doom" bewegen sich die Darstellenden wie in einem endlosen Countdown – erst vereint in choreografischer Euphorie, dann wieder verloren im grellen Licht.
Gemeinschaft kippt in Rivalität, und selbst zarte Gesten wirken wie Vorboten von Gewalt. Da drängt sich die Frage auf: Passt das überhaupt zusammen? Eine Sportmarke, die für Körperkult, Kommerz und Leistungsoptimierung steht, und eine Künstlerin, deren Arbeiten von Isolation, Sehnsucht und Schmerz erzählen?
Doch genau in dieser Reibung liegt der Wiedererkennungswert der Zusammenarbeit: Imhofs Werk war immer schon ein Spiel mit Ambivalenzen. Ob in "Faust" (2017) mit bellenden Dobermännern im deutschen Pavillon der Venedig-Biennale oder in "Sex" (2019) mit durchsichtigen Wänden und Gittern, hinter denen Nähe und Entfremdung gleichbedeutend waren. Das Nike-Projekt folgt genau dieser Logik: Imhof bringt ihre Kunst dorthin, wo sie irritiert, wo sie Codes bricht statt sie zu bestätigen.
Jugendkultur und Rivalität
Dass die Gesichter der Mode-Kampagne die Berliner Punk-Pop-Sängerin Lia Lia und der Rapper ATK44 sind, ist dabei kein Zufall: Sie verkörpern die Energie von "Doom", stehen für eine Generation, die keine Angst hat, Grenzen zu überschreiten und Genres zu mischen. Konzert, Ausstellung, Laufsteg – alles fließt ineinander.
Fußballtrikots sind längst Teil der Jugendkultur. Sie stiften ein starkes Wir-Gefühl und markieren die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Gleichzeitig stehen sie für Rivalität und Abgrenzung nach außen. Ob auf dem Bolzplatz, im Stadion oder in der Innenstadt – sie verkörpern Gemeinschaft, machen aber auch Grenzen sichtbar. Von diesem Spannungsverhältnis handelt Imhofs "Doom": Jugendliche zwischen dem Drang dazuzugehören und der Angst, ausgeschlossen zu werden. Im Trikot findet diese Dynamik ihren Weg von der Bühne in den Alltag.