Rassistischer Anschlag von Hanau

Nichts ist ausermittelt

In diesen Tagen jährt sich der rassistische Anschlag von Hanau zum dritten Mal. Im Rathaus der hessischen Stadt ist nun eine Ausstellung zu sehen, die das Versagen der Behörden noch einmal deutlich macht

"Drei Jahre Erinnerung und Aufklärung" heißt die Ausstellung im Neustädter Rathaus in Hanau anlässlich des bevorstehenden dritten Jahrestages des rassistischen Anschlags vom 19. Februar 2020. Sie ist aus einem Kooperationsprojekt des Ermittlungsinstituts Forensic Architecture/Forensis, der Initiative 19. Februar Hanau, dem Frankfurter Kunstverein und dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin entstanden. In beiden Institutionen war eine ausführliche Version der Schau bereits zu sehen.

Die Umstände, die den mörderischen rechtsradikalen Angriff möglich machten, bei dem neun Hanauer Bürgerinnen und Bürger umgebracht wurden, begannen rund 20 Jahre zuvor, ganz in der Nähe. Seit damals war bekannt, dass der Notruf der Polizei in Hanau unterbesetzt und nicht auf dem nötigen technischen Stand ist.

Als der 22-jährige Vili-Viorel Păun in der Nacht vom 19. Februar 2020 den mordenden Attentäter verfolgt und sich ihm in den Weg stellt, versucht er immer wieder, die Polizei zu rufen. 110 antwortet nicht. Der Täter erschießt Vili-Viorel Păun, betritt die Arena Bar und bringt weitere Menschen um. Hessens Innenminister Peter Beuth wird behaupten: "In solchen Notlagen klingelt nicht nur ein Telefon bei den Notrufzentralen, zig, vielleicht Hunderte in der kurzen Zeit danach melden sich."

Methodisches Leugnen der Behörden

Die Wahrheit ist, stellt die Staatsanwaltschaft später fest, die Leitung blieb "schlicht still". Es ist die erste in einer Reihe aus Unwahrheiten, Versäumnissen und Unterlassungen. Die nachlässige Benachrichtigung der Familien, die Aufforderung an einen Überlebenden des Attentats, alleine zur Polizeiwache zu laufen, während der Täter noch herumfährt. Die falsch ausgestellten Totenscheine und vertauschten Kleidungsstücke. Diskriminierende Beschreibung der Toten – die polizeilichen Fehlentscheidungen in der Tatnacht und bei den anschließenden Ermittlungen sind so zahlreich, dass strukturelle Probleme vermutet werden können.
Diesen Verdacht erhärten später die Behörden selbst durch methodisches Leugnen.

Kommt man in einem so eklatanten Fall davon mit Relativierungen, Widerrufen der eigenen Aussagen und Erinnerungslücken? Ja. Der Fall gilt als ausermittelt und wurde geschlossen. Vor Gericht zumindest, nicht aber für die Angehörigen und für die Arbeit von Forensic Architecture. Das in London und Berlin ansässige Kollektiv forschte im Auftrag der Angehörigen und Überlebenden des rassistischen Attentats, deren Anwältinnen und Anwälten und der Initiative 19. Februar Hanau mit der Mission, Ermittlungslücken aufzuklären.

Der Frankfurter Kunstverein klinkte sich ein, nicht nur als erster Ort der Präsentation der Ergebnisse, sondern als anteiliger Träger der Kosten. Die so entstandene Co-Produktion dieser drei Akteure ist eine Sensation, dass sie jetzt im Rathaus von Hanau zu sehen ist ein wichtiges Zeichen.

Löchrig, lasch und gelogen

Denn der Fachbegriff "ausermittelt", mit dem die Gesellschaft Ereignisse wie dieses ad acta legt, wirkt angesichts der technologisch gestützten Recherchen löchrig, lasch und gelogen. Forensic Architecture gleichen Behauptungen von staatlichen Stellen mit eigenen Ermittlungen ab, die differenzierter, technisch aufwendiger und präziser sind als die der Behörden. Dafür bauen sie Räume genau nach, führen Schallexperimente durch, werten Kameraaufzeichnungen aus und stellen Modellrechnungen an. Ihr schärfstes Instrument ist dabei nicht die neueste Technik, sondern ihre faktenbasierte Objektivität.

Die Ausstellung im Hanauer Rathaus besteht zum einen aus einer akribisch geführten Zeitleiste, auf der alle Ereignisse und vor allem das zögerliche oder ausbleibende Handeln der Behörden deutlich wird. In Videorekonstruktionen werden detailliert die Tatnacht und dabei insbesondere die Fehler und Versäumnisse der Polizei thematisiert. Der zweite Teil der Ausstellung zeichnet den Kampf der Angehörigen, Überlebenden und ihrer Unterstützer um Erinnerung und Aufklärung nach. Sie sprechen die Dinge, die sie vor Gericht sagten, erneut in die Kamera. Ihre Hoffnungen auf restlose Aufklärung und auf Konsequenzen werden sich wohl nicht erfüllen.