Kassel

Documenta-Eklat: Entschuldigungen, Erklärungsversuche und Forderungen

Angela Dorn-Rancke (Grüne), Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, bei der Documenta-Pressekonferenz im Auestadion
Foto: Swen Pförtner/dpa

Angela Dorn-Rancke (Grüne), Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, bei der Documenta-Pressekonferenz im Auestadion

Das Werk ist abgebaut, die Debatte hält an: Nach dem Antisemitismus-Eklat auf der Documenta Fifteen wird um Erklärungen gerungen, wie es so weit überhaupt kommen konnte. Forderungen werden laut

Mit einer Entschuldigung, Überlegungen zu personellen Konsequenzen und Erklärungsversuchen geht die Aufarbeitung des Antisemitismus-Eklats bei der Documenta Fifteen weiter. "Es ist richtig, dass das antisemitische Werk des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi von der Documenta entfernt wurde", sagte Zentralratspräsident Josef Schuster am Mittwoch in Berlin in einer Stellungnahme. Damit sei jedoch das Thema Antisemitismus sowie die Debatte über eine Nähe der diesjährigen Documenta zu BDS nicht abgehakt. BDS steht für "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen". Die Bewegung will Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren.

"Es muss jetzt über personelle Konsequenzen nachgedacht werden", sagte Schuster. Nähere Angaben machte er dazu nicht. Deutschlands Image in der Welt habe durch diesen Vorfall bereits Schaden genommen. Ein Werk namens "People's Justice" (2002) des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi hatte für eine Welle der Empörung gesorgt, viele sahen darin eine antisemitische Bildsprache. Die Verantwortlichen der Documenta hatten zunächst entschieden, das Werk mit schwarzen Stoffbahnen zu verhängen. Am Dienstagabend wurde es dann ganz abgebaut.

Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) sieht das Problem zum Teil in einem fehlenden verantwortlichen Kurator begründet. "Die Verantwortung für die gezeigte Kunst liegt in erster Linie bei der künstlerischen Leitung. Dass diese von der Findungskommission diesmal einem Kollektiv übertragen wurde, nicht einem einzelnen Kurator oder einer einzelnen Kuratorin, hat offenbar dazu geführt, dass die Sorgfalt und die Verantwortung des Kuratierens gelitten haben", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch.

Werke "im Sinne eines verantwortungsvollen Kuratierens" überprüfen

Dorn betonte, ihr sei auf mehrfache Nachfragen bei der Documenta gGmbH immer versichert worden, es gebe keine Hinweise auf antisemitische Bildsprache auf der Ausstellung. "Warum nicht alle Werke gerade im Licht der Debatte im Vorfeld der Eröffnung eingehend betrachtet wurden und welchen Beitrag eine bessere Kommunikation durch die Gesellschaft hätte leisten können, wird zu klären sein." Die Gesellschafter hätten der Documenta den klaren Auftrag erteilt, alle gezeigten Werke "im Sinne eines verantwortungsvollen Kuratierens" zu überprüfen.

Die Generaldirektorin der Documenta, Sabine Schormann, hatte sich zuvor entschuldigt. Es sei versichert worden, dass auf der Documenta Fifteen keine antisemitischen Inhalte zu sehen sein würden. "Dieses Versprechen haben wir leider nicht gehalten. Und das hätte nicht passieren dürfen", sagte sie dem ZDF und dem Hessischen Rundfunk. "Antisemitische Darstellungen dürfen in Deutschland, auch in einer weltweit ausgerichteten Kunstschau keinen Platz haben. Dies gilt ausdrücklich auch bei allem Verständnis für die Belange des Globalen Südens und die dort verwendete Bildsprache." Mit Respekt für die Unterschiedlichkeit der kulturellen Erfahrungsräume werde der begonnene Dialog weitergeführt.

"Wichtig ist zunächst, dass das Kunstwerk abgehängt wurde", sagte Dorn. Nun müsse es um die Aufarbeitung gehen, wie es geschehen konnte, dass eine solche Bildsprache öffentlich gezeigt wurde. "Es ist die Aufgabe und die Verantwortung der Documenta gGmbH, für diese Aufarbeitung zu sorgen. Wir haben unsere Erwartungen formuliert und bieten selbstverständlich unsere Unterstützung an."

Schonungslose Aufklärung

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai kritisierte die Vorgänge rund um die Documenta als ebenso beschämend wie skandalös. "Antisemitismus ist keine Meinung. Antisemitismus ist Hass und kann daher nie und in keiner Weise die Freiheit der Kunst in Anspruch nehmen", sagte Djir-Sarai am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Zutiefst bedauerlich sei, dass über Monate Warnungen ignoriert worden seien, die auf einen Einfluss der Anti-Israel-Organisation BDS auf die Documenta hingewiesen hätten.

"Das darf nicht sein! Der Deutsche Bundestag hat hier im Übrigen mit großer Mehrheit auch in seiner Resolution gegen BDS von 2019 deutlich gemacht, dass dieser Kurs auf keinerlei staatliche Unterstützung hoffen kann", so Djir-Sarai. "Jetzt gilt es, schonungslos aufzuklären, wie es zu diesem beschämenden Vorfall kommen konnte und wer wann für welche Entscheidungen konkret Verantwortung getragen hat." Das Wichtigste sei, dass daraus auch Konsequenzen gezogen würden. "Wer diese menschenverachtenden Ausfälle gutheißt, darf in Deutschland nicht die Verantwortung für ein international bekanntes Kulturevent tragen", forderte der FDP-Politiker.

Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, plädiert für den Blick nach vorne. "Noch ist nicht alles verloren, jetzt muss diese Krise als Chance genutzt werden, um wirklich ins Gespräch zu kommen", sagte Mendel am Mittwoch der dpa. Ohne Dialog werde die Debatte weiter eskalieren. Die Bildungsstätte Anne Frank wolle in Kassel mit Bildungsangeboten zur Aufklärung über Antisemitismus und Rassismus unterstützen. Darüber sei die Bildungsstätte in Kontakt mit der Documenta. Für kommende Woche Mittwoch ist demnach eine Veranstaltung zusammen mit Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) geplant.

"Schleunigst in den Dialog treten"

Mendel sehe es jetzt als "dringende Aufgabe der Documenta, schleunigst in den Dialog zu treten: mit dem Publikum und mit den etwa 1500 Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt". Der spontane Protest einiger Künstler gegen den Abbau der umstrittenen Arbeit des Kollektivs Taring Padi am Dienstagabend zeige die Dringlichkeit des Gesprächs mit den Künstlern. Es gehe darum, mit ihnen "die Grenzen zwischen unverhohlenen antisemitischen Ressentiments und einer Solidarität mit den Palästinensern zu diskutieren."

Die documenta-Macher müssten erklären, warum das Wandbild abgehängt wurde und sich der Kritik des Antisemitismus in verschiedenen Formaten stellen. Es sollten Räume geschaffen werden «zur Diskussion über Antisemitismus und Rassismus in der Kunst. Und über die Grenzen zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus», forderte Mendel.  Vertreter der Zivilgesellschaft sollten eingebunden werden.

Das umstrittene Banner war erst installiert worden, nachdem viele Journalisten und Fachbesucher die Documenta schon vorbesichtigt hatten - den Veranstaltern zufolge am vergangenen Freitagnachmittag. Der angegebene Grund für die Verspätung: notwendige restauratorische Maßnahmen aufgrund von Lagerschäden. Das Werk wurde nicht für die Documenta Fifteen angefertigt, sondern war bereits 2002 erstmals auf dem South Australia Art Festival in Adelaide zu sehen.