43. Art Basel

Anwesenheit als Statement

Die Stadt Basel ist besonders gefährdet: Am Oberrheingraben herrscht eine erhöhte seismische Aktivität, angeblich gehört die Schweizer Messestadt sogar zu den zehn Städten mit dem höchsten Erdbebenrisiko weltweit. Der Karlsruher Künstler Karsten Födinger ist vorbereitet: Die Wände des Art-Basel-Stands seiner Zürcher Galerie Raeber von Stenglin, in der jüngeren Künstlern gewidmeten Sektion Art Statements, hat er mit einer Balkenkonstruktion verstärkt und so nach DIN-Norm erdbebensicher gemacht. Für diesen Eingriff hat er am Montag den Baloise Art Prize 2012 gewonnen - der bezeichnenderweise von einem Versicherungsunternehmen ausgelobt wird. Dabei macht Födingers Arbeit klar, wohin überspanntes Sicherheitsdenken führt: Vor lauter Balken ist kaum noch ein Stand da.

Die Art Basel, nach wie vor die bedeutendste Kunstmesse der Welt, überstand in den vergangenen Jahren einige globale Beben ökonomischer Art und mit der Übernahme der Messe in Hongkong expandiert sie sogar weiter. In den Gespächen mit Galeristen hörte man vor der 43. Ausgabe auch viel optimistische Ratlosigkeit raus: Man wisse nicht, wie die Sammler sich verhalten angesichts der Euro-Krise, aber vielleicht parken Anleger Geld in Kunst.

Dementsprechend haben einige Aussteller besonders teure Kunst dabei, der Londoner Kunsthandel Marlborough Fine Art bietet gar ein Gemälde von Mark Rothko für spektakuläre 78 Millionen Dollar an. Es fällt auf, dass viele den Secondary Market bedienen - Gerhard-Richter-Arbeiten überall! Die New Yorker Pace Gallery meldet den Verkauf seines großformatigen Bildes "A.B. Courbet", das für 25 Millionen Dollar ausgepreist war. David Zwirner hat die Bruce-Nauman-Skulptur "Untitled (Four Small Animals)" (1989) für einen unbekannten Preis verkauft - die Arbeit ist aus einer Privatsammlung zur Galerie gekommen, die Nauman nicht vertritt.

Andere Aussteller hingegen wagen dann doch lieber keine großen Ansagen und bringen aus dem Galerieprogramm möglichst viele möglichst preiswerte Arbeiten mit. Was zwischen den beiden Extremen weniger geworden ist: dass sich eine Galerie zu einem eigenen, noch nicht durchgesetzten Künstler bekennt. Deshalb ist es auch in diesem Jahr so erfrischend, wenn man nach dem Gang über die Messe zu den 27 Einzelausstellungen der Art Statements kommt, für die die Galerien sich mit nur einem Künstler und nur einer Arbeit bewerben.

Der Andrang vor den Eingängen zur Messehalle am Preview-Tag am Dienstag zeugt indes kaum von Verunsicherung. Dabei wollte die Messe den Besucheransturm eigentlich entzerren, indem sie weniger VIP-Karten für die Preview um elf Uhr herausgab – was bei manchen Sammlern, die erst für 15 Uhr zugelassen waren, für echtes Entsetzen sorgte. Angeblich sind einige von ihnen beleidigt zu Hause geblieben. Als weitere Neuerung wurde mit dem Mittwoch ein zweiter Preview-Tag eingeführt; zahlende Messebesucher durften also erst am Donnerstag die Hallen betreten.

Viele Galeristen finden, dass es weniger hektisch lief als sonst am ersten Preview-Tag. "Es gab weniger Beschwerden, dass man die Kunst vor lauter Besuchern gar nicht sehe", sagt Erik Herkrath von der Buchmann-Galerie, die in den ersten Stunden der Preview gut verkauft hat. „Wir sind froh“, meint Silvia Baltschun von SprüthMagers. „Viele Sammler und Freunde haben uns besucht.“ Und kauften Arbeiten von George Condo, Cyprien Gaillard und Andreas Gursky. Natürlich hat die Galerie auch Werke ihrer Künstlerinnen mit, die bei der Documenta in Kassel ausstellen: eine fragile Bodenskulptur von Thea Djordjadze und ein riesiges, gestricktes Wollbild von Rosemarie Trockel.

Teilnehmer der 13. Documenta, die von einigen Kritikern für besonders marktfern gehalten wird, findet man auch woanders auf der Messe: Statuen von Ryan Gander bei Lisson, einen Betonblock von Lara Fevaretto bei Klosterfelde, eine weitere Betonstele (in die Holzlatten eingemauert sind) von Theaster Gates bei White Cube, ein Pappkreuz und ein großes Marienbildnis aus Fotokopien von Thomas Bayrle bei Barbara Gross oder Jimmie Durham auf der Art Unlimited. Dort ist auch eine wunderbare Arbeit von Nina Beier zu sehen, die zwar nicht bei der Documenta ist, aber die der tierlieben Kuratorin sicher gefallen wird: In der Performance "Tragedy" stellt sich ein Hund tot. Süß.

Auf der Art Unlimited, in der die 61 Arbeiten auch mehr Platz einnehmen dürfen, läuft auch der neue Film des US-Künstlers Richard Phillips, der mit Spannung erwartet wurde, weil in ihm erneut Lindsay Lohan mitspielt. In dem 18-minütigen „First Point“ sieht man die Hollywood-Schauspielerin am Strand spazieren und in der Sonne liegen, alles geht Richtung Surffilm, dann aber wird die Musik bedrohlicher, es ist Nacht und Lohan steht nun verstört in der Brandung. Erwartung verpufft. Interessanter ist da die auch nicht gerade bescheidene Arbeit von Franz West, die ein paar Meter weiter, ebenfalls von Gagosian präsentiert wird: ein verschlungener, rosa Aluminium-Darm der fast bis zur Hallendecke aufragt. „Gekröse“ ist Wests bislang größte Außenskulptur. Sie wurde nach Angabe der Galerie in den ersten Stunden der Messe für einen siebenstelligen Betrag verkauft.

Und dann ist ja auch Judy Lybke mit seiner Galerie Eigen + Art wieder auf der Messe. Im vergangenen Jahr wurde er nicht zugelassen – was zur Diskussion über die Methoden von Auswahlkommission führte. Angesprochen darauf, wie es sich anfühlt, zurück zu sein, antwortet Lybke: „Ich bin hier. Das ist mein Statement.“ Am Ende des Previewtages hatte er zwei neue Großformate von Neo Rauch verkauft. Am Freitag wird er den ganzen Stand noch einmal neu bestücken.

Dass es um Zugang geht bei einer Messe, um die Frage, wer reinkommt und wer nicht - egal ob als Aussteller oder als Besucher -,  versinnbildlicht auf dieser Art Basel eine Wiederaufführung einer Performance von Marina Abramovic, bei der zwei nackte Performer an den Pfosten des Eingangs zur Koje der New Yorker Sean Kelly Gallery stehen. Die Besucher müssen sich an ihnen vorbeidrücken, und die Neugier ist bei den meisten größer als die Scham.

43. Art Basel, noch bis 17. Juni