Ausstellung in Berlin

Fossilien des Spätkapitalismus

Aram Batholl hat Leih-Fahrräder und -Roller aus der Spree geborgen – und stellt sie nun in Berlin als materielle Relikte der Plattform-Ökonomie aus

Es braucht einen kurzen Moment, bis man die Elektor-Roller und billigen Leihfahrräder als solche identifiziert hat. Die Fortbewegungsmittel, die für gewöhnlich mit giftfroschbunten Farben um die öffentliche Aufmerksamkeit im Stadtraum buhlen, sind von einer grünlichen Schlamm- und Algenschicht überzogen, die ihnen die Optik historischer Relikte verleiht. Bei den Objekten, die aktuell im Rahmen der Ausstellung "Eintritt in ein Lebewesen" im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien zu sehen sind, könnte es sich beinah um die Schätze einer fiktiven Historie handeln, die Damien Hirst 2017 aus dem Wrack des Unglaublichen barg.

Tatsächlich stammen die Objekte jedoch schlicht und ergreifend aus der Spree. Unbekannte haben sie hineingeworfen – aus Zerstörungswut oder aus Frustration darüber, wie unbequem es sich auf den klapprigen Rädern fährt und wie invasiv sich die E-Roller unter dem Vorwand der umweltfreundlicheren Fortbewegung plötzlich im Stadtraum breitgemacht haben – und der Künstler Aram Bartholl hat sie wieder herausgefischt. Im hell erleuchteten Ausstellungsraum offenbaren sich die zwischenzeitlich von kleinen Krabben und Würmern bewohnten Transportmittel als materielle Ausgeburten des von Web-Anbietern wie Google, Apple, Facebook und Amazon dominierten Plattform-Kapitalismus.

Kalkulierte Zerstörung

Zahlreiche Scooter- und Fahrrad-Anbieter liefern sich in internationalen Großstädten aktuell einen harten Konkurrenzkampf. Dass mit ihnen achtloser umgegangen wird als mit privaten Besitztümern, dass sie umgetreten und kaputtgemacht und in Flüsse und Kanäle geworfen werden, wird in die Umsatzrechnung mit einbezogen. Gerade hinsichtlich der E-Roller mit ihren ressourcenaufwändigen Lithium-Ionen-Batterien entpuppt sich die Idee des besitzbefreiten, nachhaltigen Privatverkehrs als leere Verheißung. Auch der digitale Kapitalismus produziert einen riesigen Haufen Müll.

Als Post-Internet-Künstler setzt sich Bartholl immer wieder damit auseinander, wie die Logiken des Internets und der New Economy Konsumverhalten und Selbstwahrnehmung verändern und unsere Vorstellung von Privatsphäre zersetzen. Die von Marken wie Nextbike, Mobike und Lidl bereitgestellten Fahrräder tauchten bereits 2017 in Bartholis Arbeit "Your parcel has been delivered (to your neighbour)" auf. Damals sammelte der Künstler sie aus dem Stadtkörper ein und türmte sie im privaten Raum der Galerie zu einer Skulptur auf.