Arnold Odermatts Unfallfotos

Nach dem großen Knall

Kompositionen aus Blech, Chrom, Bremsspuren, Gebirgsketten und Wolken: Der Schweizer Polizei-Fotograf Arnold Odermatt suchte in seinen akkuraten Unfallfotos maximale Objektivität. Jetzt sind die Bilder in Erfurt zu sehen

Arnold Odermatt trat 1948 seinen Dienst bei der Schweizer Polizei an. Fünf Jahrzehnte später stellte er auf der Kunstbiennale in Venedig aus. Dabei hatte er als junger Polizist eigentlich nur darum gebeten, Unfallprotokollen auch eine Fotografie beifügen zu dürfen – die üblichen Zeichnungen erschienen ihm umständlich. Da sein Vorgesetzter skeptisch reagierte, entwickelte Odermatt seine Aufnahmen heimlich in der Küche und legte sie in die Akten. Das Gericht äußerte sich lobend, und so wurde in der Besenkammer des Polizeireviers eine Dunkelkammer eingerichtet.

Als der Beamte Anfang der 90er-Jahre pensioniert wurde, entdeckte sein Sohn, der Filmemacher Urs Odermatt, bei den Recherchen zu seinem Film "Wachtmeister Zumbühl" (1994) 40 Jahre archivierter Verkehrsunfälle im Kanton Nidwalden: handwerklich perfekte Schwarz-Weiß-Aufnahmen verkeilter Traktor- und Borgward-Karosserien, von Schulbussen, Motorrädern, Porsche aus der Stadt mit auf der Motorhaube festgeschnallten Skiern. Es sind akkurate Kompositionen aus Blech, Chrom, Bremsspuren, Gebirgsketten und Wolken.

Gegen die Ungeheuerlichkeit

Dieses Werk eines unbestechlichen Ordnungsmenschen, der maximale Objektivität suchte, tauchte Anfang der 90er erstmals in Fotokreisen auf. 1998 sah Harald Szeemann die Bilder, ausgestellt im Frankfurter Polizeipräsidium, und lud den peniblen Pensionär 2001 auf seine Biennale ein. Auch die Fotobücher des heute 94-Jährigen sind begeht: Der umfassende Bildband "Karambolage" war eine Weile vergriffen, 2013 wurde er überarbeitet wiederaufgelegt, genau wie die Bände "In zivil", mit minutiös festgehaltenen Familienszenen der Odermatts, und "Im Dienst", eine fotografische Imagekampagne für den Beruf des Kantonspolizisten.

In seinem Film über den Vater deutet Urs Odermatt neben dessen obsessiver Pflichttreue einen weiteren Aspekt der Beamtenpersönlichkeit an. "Wie soll ich es sagen?" fragt der Wachtmeister, er meint die unvermeidlichen Hausbesuche bei Angehörigen der Verkehrsopfer. "Dann der Schrei. Die Mutter ahnt es. Das Kind! Ich sage nichts. Was soll ich sagen?" "Wann war das?“ fragt eine Frau. "Jeden Monat", sagt der Polizist, der seine fotografische Unerbittlichkeit nicht nur für Recht und Ordnung einsetzte, sondern auch gegen die Ungeheuerlichkeit der sinnlosen Tode.