Kunstmesse Art Genève

Schattenboxen gegen Putin

Auf der Kunstmesse Art Genève kommen UN-Diplomaten mit Sammlern ins Gespräch – dieses Jahr unterbrochen durch Meldungen aus der Ukraine, die eine Reaktion verlangten. Umso begehrter waren Skulpturen, Gemälde und NFTs, sei es als Ablenkung oder krisenfeste Geldanlage

Zur Analyse von Kunstmessen gehört immer auch die Zusammensetzung des Publikums. Und Christine König mit ihrem Röntgenblick hat die Besucher der Art Genève durchschaut. Seit sieben Jahren ist ihre Wiener Galerie hier mit einem eigenen Stand vertreten. Genf ist für sie zur wirtschaftlich bedeutsamsten Messestadt neben Köln geworden. Das Wort "Basel" kommt ihr nicht einmal über die Lippen (von deutschen Galerien hört man es oft), dabei gibt es die Genfer Kunstmesse erst seit zehn Jahren, so rasant ging seitdem die Entwicklung voran, und das trotz Corona-Pause und der Terminverschiebung dieses Jahr.

Hinzu kommen die tollen Menschen in Genf: Intellektuell, hochgebildet, sensibel und Lifestyle-hörig seien die Besucher laut Christine König. Für jeweils 20.000 Euro verkaufte sie ihnen Ölgemälde von Thomas Hartmann, die wie auf diesen Steckbrief zugeschnitten scheinen. Sie zeigen bunte Regalwände voll aufeinander geschichteter Buchrücken, schön wie ein Gedicht.

Hartmanns Bilder könnten entweder ein Zoom-Hintergrund für Angeber oder eine aufrichtige Liebeserklärung an die Literatur sein. Obwohl das bei den Kunden in Genf erwartungsgemäß gut ankam, war die Stimmung der Galeristin sehr gedrückt. Alle paar Minuten musste Christine König auf ihrem Handy die Weltlage prüfen. Vor ihrem Messestand auf- und abschreitend, hielt sie eine energische Protestrede gegen den Krieg in der Ukraine. Dann gab sie sogar ein paar Boxhiebe und Fußtritte in die Luft ab, die dem Kriegstreiber Wladimir Putin galten.


Mit ihrer Verzweiflung war König auf der Jubiläums-Ausgabe der Art Genève nicht allein. Unter politisch-versierte Kuratorinnen mischen sich jährlich regionale und internationale Sammler, sowie Mitarbeiter des direkt benachbarten Hauptsitzes der Vereinten Nationen. So kam es, dass Putins Krieg gegen die Ukraine das dominierende Gesprächsthema war. Händeringend wurde, in Abwesenheit osteuropäischer Galerien, nach einer angemessenen Reaktion vonseiten der Messe gesucht – während Meldungen aus der restlichen Kunstwelt von immer neuen Maßnahmen gegen Russland kündeten. Die Pace Gallery entschied sich, ihren gesamten Messegewinn an die Ukraine-Hilfe der Vereinten Nationen zu spenden.

Ansonsten blieb es eher bei Reden und symbolischen Gesten. Von der angebotenen Kunst durfte man sich wie in den Vorjahren keine allzu politischen Denkanstöße oder Botschaften erwarten (wenn man von der Skulptur des verknoteten Pistolenlaufes einmal absieht, auf der John Lennons Anti-Kriegs-Losung "Imagine" geschrieben stand).

Die Stärken der Messe liegen natürlich woanders. Notorisch arm an Konzeptkunst, sind hier vor allem Malerei und Bildhauerei bestens vertreten. Die außergewöhnlich breiten Gänge mit großzügigen Ständen inspirierten die Galerien zu durchdachten Präsentationen und verschafften den Besuchern Platz zum Durchatmen.

Weltfluchten in fensterloser Halle

In der Palexpo-Halle ohne jegliche Fenster luden die Galerien, teils im romantischen Schummerlicht gelegen, zu einer Art Weltflucht ein. Messedirektor Thomas Hug hat seiner Leidenschaft für Musik zum ersten Mal mit einem eigenen Raum für Klangkunst Ausdruck verliehen, nach vielen musikalischen Satellitenprojekten in den Vorjahren. Diese "Music Chamber" war einer von 45 kuratierten Räumen, die effektvoll von Museen, Stiftungen oder Sammlungen bespielt wurden, teils sogar mit Performances.

20 der insgesamt 90 teilnehmenden Galerien konnten sowohl eine Solo-Schau, die als Blickfang und Publikumsmagnet funktionierte, wie auch daran angrenzend eine durchmischte Schau zeigen, um die Talentscouts mit jüngeren Namen bekannt zu machen. Der Preis für die beste Solo-Schau wurde an die abstrakten Tuschmalereien der 29-jährigen Schweizerin Rebekka Steiger verliehen, vertreten von der Luzerner Galerie Urs Meile. Mit dem Preisgeld wurde im Nachgang eine von Steigers Arbeiten ("true wind", 2022) für eine staatliche Sammlung erworben. Das passte bestens in den liebevollen Fördergeist dieser Messe, wirkte im Falle Genfs nur höchstens so, als würde man Eulen nach Athen tragen – so großzügig, wie die Stadt selber Kunst ankauft.

Eine besondere Spezialität der Art Genève sind Skulpturen (flankiert von einem eigenen Verkaufsraum "Sculpture" und der ab Juni stattfindenden Skulptur-Biennale), und eine darauf spezialisierte Galerie ist wiederum Taste Contemporary aus Genf. Nach all dem Digital-Hype brenne es Künstlerinnen und Künstlern auf den Nägeln, sich endlich wieder beim Töpfern die Hände schmutzig machen zu dürfen, hieß es bei Taste Contemporary.

Es geht nicht ohne NFTs

Die beiden Neuzugänge Zoe Lloyd und King Houndekpinkou machten es vor. Die Britin Lloyd interessiert sich für Zusammenbrüche und Trümmer, sie hat eine eigene Technik entwickelt, um gebrochenen Ton wieder und wieder brennen zu können, seitdem kann sie nie mehr ganz mit ihren Werken fertig werden ("The Worm that Turned", 2021). Der Franzose Houndekpinkou hat nach langer Forschung das Vorbild der Benin-Bronzen mit japanischen Einflüssen gekreuzt ("Bubble Tea Doll III", 2022).

Nicht einmal der Genfer Künstler Philippe Cramer, dessen gleichnamige Galerie die NFTs von entgrenzten Blob-Avataren verkaufte, konnte dem Reiz von Skulpturen ganz widerstehen. Wer sein gekauftes NFT eines Tages vernichten lässt, bekommt von Cramer im Tausch dafür eine Skulptur ausgehändigt. Das interessante sei die Entscheidung zwischen beiden Optionen, sagte er. Eine 75-jährige Dame kaufte bei ihm zwei NFTs zu je 1.200 Franken für ihre erwachsenen Töchter, sie erkannte darin Amulette für die einzelnen Familienmitglieder. Bei Pace gab es hingegen NFTs von Lucas Samaras für 20.000 Dollar zu kaufen, die wohl in der digitalen Sphäre verbleiben werden.

Amulett-ähnliche Magien verströmen die gemalten "Trojanischen Pferde" (2019) von Martha Jungwirth, eine Edition aus 65 Exemplaren, von der die Genfer Galerie Mezzanin am zweiten Messetag noch ein allerletztes Pferd für 7.500 Franken übrig hatte.

Politische Kunst am Rand des Marktes

Währenddessen umkreisten Anzug-tragende Herrenkomitees am liebsten das aufsehenerregende Auto von Gianni Motti, das ebenfalls bei Mezzanin geparkt stand, 50.000 Franken teuer, obwohl über und über mit weißlichem Kot besudelt. Genau zwei Jahre lang hatte Motti es wilden Vögel überlassen, dieselbe Zeitspanne, in der die Menschheit mit dem Coronavirus kämpfte. Kot als Malfarbe und die Vögel als Künstler – bei einem Glas Rotwein erklärte Motti das Werk unter anderem mit seiner Abneigung gegenüber Kunstgalerien als akademisch besetzten Orten. Seine Galeristin denkt sogar selbstkritisch über die kühle Temperatur ihres Deckenlichts nach, seitdem Motti 2021 in den Räumen von Mezzanin so optisch-passend ein leeres Krankenhausbett aufgestellt hatte, in Anspielung auf die Corona-Debatten. Der Fotobeweis der Krankenbett-Aktion allein brachte ihnen nun auf der Art Genève 5.500 Franken.

Spektakel gab es also, und schlussendlich ließ sich in der Messehalle dann doch auch ein hochpolitischer Stand auftreiben. Er wurde vom Publikum nur weitgehend verschmäht: ADN aus Barcelona. Die hier gezeigten Arbeiten von Carlos Aires, Mounir Fatmi und Kendell Geers kritisierten (in dieser Reihenfolge) eine kapitalistische Weltordnung, einen homophoben Islam und ein gewalttätiges Christentum. Sie spielten gleichzeitig mit Verweisen auf byzantinische Ikonen oder auf Joseph Beuys. Die Italienerin Marinella Senatore erinnerte mit ihren Collagen an den Zusammenhang von Krieg und körperlicher Verstümmelung; so ähnlich, wie es in Genf auf dem Platz vor den Vereinten Nationen der riesige "Broken Chair" anmahnt, dem ein Stuhlbein abgebrochen wurde.

"Ohne schon von der Ukraine gewusst haben zu können, wollten wir eine Gewalt- und Gegenwartssemantik zeigen“, sagt Jordi Vernis von ADN über seinen Stand. Seit ihrem Höhepunkt im Jahr 2015 werde politische Kunst wieder an den Rand des Marktes gedrängt. "Wenn man sich auf einer Kunstmesse zu spezifisch an einen Teil des Publikums richtet, schreckt man eben andere ab", sagt Vernis. Er muss sich im Satz unterbrechen, um zwei volle Rotweingläser von Kendell Geers’ Kruzifix-Skulptur zu vertreiben, dann kommt er zurück. "Wir müssen noch auf Käufer warten. Wir warten auf Überraschungen."

Das Warten machte sich letztlich bezahlt. Nach unserem Gespräch verkaufte ADN die Arbeiten von Fatmi und Geers. In der restlichen Zeit saß Jordi Vernis gern am kleinen Tisch seines Standes, auf dem er immer die aktuelle Ausgabe der "New York Times" aufgeschlagen hatte.