Vorschau auf die Art Week

Wohin in Berlin?

Von ethischen Fragen an die KI bis zum schillernden Programm der freien Szene. Hier sind einige Ausstellungen und Events der Art Week, die Sie im Kalender markieren sollten
 

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Im Flow: Die LAS Art Foundation präsentiert Christelle Oyiri und das Kollektiv CEL

Die LAS Art Foundation ist sehr gut darin, ihre technologisch zukunftsweisenden Projekte in immer neuen, interessanten Locations zu präsentieren. Zur Berlin Art Week bespielt sie erstmals das Cank, ein ehemaliges Kaufhaus im Stadtteil Neukölln. Gezeigt wird die Ausstellung "Dead God Flow" der in Paris lebenden Künstlerin Christelle Oyiri. Ihre Filminstallation beschäftigt sich mit der Geschichte von Memphis, Tennessee: einem Ort, der schon im Namen auf das alte Ägypten verweist, und in dem Martin Luther King Jr. seine letzte Rede hielt. Erzählt wird der Film von Rappern, deren Stimme und Musik eine Klanglandschaft formen, die kollektive Geschichte vermittelt. Ebenfalls zur Berlin Art Week wird dort auch der Auftakt zu dem Projekt "Foundations" des Künstlerinnenkollektivs CEL präsentiert, eine Veranstaltungsreihe mit DJ-Nächten und Performances, die schwarze Kunst, Musik und kreativen Aktivismus verbindet.

LAS Art Foundation präsentiert: "Cristelle Oyiri: Dead God Flow" sowie "CEL: Foundations", Cank, 11. September bis 19. Oktober


Doktor KI: Kennedy+Swan hinterfragen die Ethik der Maschine

Big Data gibt der Medizin einen gewaltigen Anschub – und beeinflusst neben dem wissenschaftlichen auch den gesellschaftlichen Umgang mit Gesundheit und Krankheit. In seiner neuen Ausstellung erforscht das Duo Kennedy+Swan, wie Maschinen darauf trainiert werden, menschliches Gewebe zu erkennen, zu klassifizieren und potenzielle Krankheiten zu diagnostizieren. Und fragt nach den ethischen Konsequenzen: Wie verändert sich unser Gefühl von Verantwortung und Vertrauen – und wie verhandeln wir Autonomie, wenn undurchsichtige Systeme medizinische Diagnosen erstellen? Verschärft die technikgetriebene Prävention bestehende Ungleichheiten? 

Der Titel der Ausstellung in der Schering Stiftung verweist auf eine Szene aus Lewis Carrolls "Alice hinter den Spiegeln", in der die Rote Königin zu Alice sagt: "Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst." Aus diesem Bild leitet sich die Red-Queen-Hypothese der Evolutionsbiologie ab, wonach biologische Arten aufgrund beständigen Konkurrenzdrucks permanent neue adaptive Anstrengungen und Weiterentwicklungen hervorbringen müssen, um nicht unterzugehen. Kennedy+Swan hinterfragen diese Optimierungsdynamik – und setzen ihr künstlerische Perspektiven entgegen.

"Kennedy+Swan: The Red Queen Effect", Schering Stiftung, 11. September bis 30. November


Gallery Night: Ein Abend voller Vernissagen

Der Donnerstag der Berlin Art Week ist nun der große Abend der Galerien. Die Protagonisten des Berliner Gallery Weekends haben ein vielfältiges und hochkarätiges Programm zusammengestellt und laden zur gemeinsamen Vernissage bei verlängerten Öffnungszeiten. Die Galerie Sprüth Magers zeigt neue Werke der Kalifornierin Andrea Zittel, Nagel Draxler hat die Konzeptkünstlerin Andrea Fraser im Programm, die Galerie Crone präsentiert ungesehene Werke des verstorbenen Fotografen Daniel Josefsohn, die Galerie Ebensperger überrascht mit einer Ausstellung der Choreografin Meg Stuart und die Pace Gallery lädt mit Adam Pendleton einen US-amerikanischen Star in die ehemalige Tankstelle in Schöneberg ein. Eine Geburtstagsparty steht auch an: Die Galerie Tanja Wagner feiert ihr 15-jähriges Jubiläum mit einer großen Gruppenschau.


Kunst als Widerstand: Das HKW untersucht den Faschismus

Japan hat die Form eines erigierten Penis, jedenfalls in den Augen von Fuyuhiko Takata. In seinem Performancevideo "Japan Erection" verwandelt sich der Künstler in die Figur eines Shinto-Gottes und hat sich dabei einen Japan-Dildo zwischen die Beine geklemmt, der frei schwingend sein Atelier verwüstet. Die slapstickhafte Einlage aus dem Jahr 2010 spielt mit Mythen von Schöpfung und Zerstörung, mit altem Machismo und wieder erstarkendem Nationalismus – und ist jetzt im Haus der Kulturen der Welt zu sehen. "Global Fascisms" heißt das Ausstellung- und Forschungsprojekt, das den Faschismus "als eine fortwährende globale Herausforderung" verstanden wissen will, "die über eine historisch begrenzte Definition hinausgeht und sich heute in verschiedenen politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten manifestiert".

Den Ernst der Lage verdeutlicht das Spektrum der Schau mit Werken von 50 internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Die aus Hongkong stammende Firenze Lai malt albtraumartige Figuren, deren Körper und Geist eine manipulierende Gesellschaft geformt haben. Die Tiermenschen-Skulpturen der Südafrikanerin Jane Alexander spiegeln die unmenschliche Natur der (Post-)Apartheidgesellschaft. Und der israelische Konzeptkünstler Roee Rosen hält in seinen "Gaza War Tattoos" die sich in Metaphern und Euphemismen tarnende Kriegsterminologie in seiner Heimat fest: Namen israelischer Militäroperationen in Gaza fügen sich zu einem Gedicht, das eher nach den lyrischen Ergüssen eines Romantikers klingt als nach Zerstörung und Tod. 

Die Politisierung der Religion oder die nationalistische Beschwörung "Goldener Zeitalter" nimmt die Schau ebenso in den Blick wie die Echokammern von Social Media. Im Kurzfilm "These Networks in Our Skin" der nigerianisch-amerikanischen Künstlerin Mimi O. nu. o. ha arbeiten vier Frauen daran, Internetkabel mittels traditioneller Igbo-Techniken neu zu verknüpfen und die Machtdynamiken der technologischen Infrastruktur manuell zu unterwandern. sf

"Global Fascisms", Haus der Kulturen der Welt, 13. September bis 7. Dezember


Am Set: Jordan Strafer

Bei Fluentum, dem privaten Ausstellungsraum für Film und Videokunst, kann man zur Berlin Art Week einem Werk beim Entstehen zuschauen. Die US-amerikanische Künstlerin Jordan Strafer baut in den originellen Räumen im ehemaligen Hauptquartier der US-Armee in Berlin-Dahlem ein surreales Talkshow-Studio. Darin wird live und vor Publikum der Film "Dissonance" gedreht, mit dem New Yorker Schauspieler Jim Fletcher in der Hauptrolle. Der Film ist Teil von Strafers Trilogie "Loophole", deren ersten beiden Teile ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sein werden. Thema ist ein fiktionaler Vergewaltigungsprozess mit großem Medienecho im Florida der 1990er-Jahre. Strafer kombiniert Drehbuchfragmente, Reality-TV, Lokalnachrichten und Gerichtsakten zu einer ganz eigenen Bildästhetik.

"Jordan Strafer: Dissonance", Fluentum, 11. September – 13. Dezember. Eröffnung und Live-Filmdreh: 10. September 18–22 Uhr


Alles ist möglich: Das Programm der freien Szene

Am Freitag der Berlin Art Week rücken die Projekträume und kommunalen Initiativen der Stadt ins Rampenlicht. Die Sektion "Featured" versammelt Sonderprojekte und unterstreicht die Qualität und Diversität der freien Szene. Im Funkhaus in der Nalepastraße kuratiert Passage Art eine Ausstellung an den Schnittstellen von Kunst, Sound und Technologie (u. a. mit Richie Culver, Genesis P-Orridge und Anna Uddenberg). 

Bei Trauma in der Invalidenstraße gastiert das performative Debattenformat Crit Club von Cem A. Auf die prekäre Situation vieler Offspaces machen Sophia Süßmilch und Cathrin Hoffmann mit einer Gruppenausstellung in der Remise im Wrangelkiez aufmerksam, die bald einem mehrstöckigen Neubau mit Luxuswohnungen weichen soll. Und im Projektraum "Die Möglichkeit einer Insel" kuratiert Monopol-Kolumnist Oliver Koerner von Gustorf die Gruppenschau "Industrial Witchcraft", die – ähnlich der Neuen Sachlichkeit – einen "kalten" Blick auf den kaputten Spätkapitalismus wirft und politische, ökonomische, sexuelle Realitäten untersucht. Mit dabei sind u. a. Bless, Marc Brandenburg, Eliza Douglas und Harun Farocki.


Film-Legende: Der NBK zeigt Margarethe von Trotta

Als erste Frau hat sie den Goldenen Löwen von Venedig bekommen: Margarethe von Trottas auf der Mostra 1981 ausgezeichnetes Drama "Die bleierne Zeit" (inspiriert vom Schicksal der Ensslin-Schwestern) darf in der monografischen Schau des Neuen Berliner Kunstvereins nicht fehlen. Die Ausstellung umfasst Ausschnitte mit historischen Figuren wie Rosa Luxemburg, Hannah Arendt oder Ingeborg Bachmann sowie teils unveröffentlichte Fotos, Drehbuchmaterial und Tagebuchseiten. 

"Ich möchte nicht verurteilen, ich möchte wissen, wo etwas herkommt", hat die heute 83-jährige von Trotta einmal ihre Haltung beschrieben. Flankiert wird die Schau um die feministische und geschichtskritische Regisseurin von Filmen im Babylon Kino, darunter "Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen" mit ihrer Lieblingsschauspielerin Barbara Sukowa. jh

"Margarethe von Trotta", Neuer Berliner Kunstverein,11. September bis 9. November

Diese Artikel erschienen zuerst im Monopol-Sonderheft zur Berlin Art Week 2025.