Löwe für Arthur Jafa

In interessanten Zeiten leben

Arthur Jafa gewinnt den Löwen als bester Künstler der Venedig-Biennale. Man wird das Gefühl nicht los, dass nicht seine Werke, sondern seine Praxis am Puls der Zeit ausgezeichnet wurden

Jafa, der die längste Zeit seiner Karriere als Cinematographer in Hollywood, Autor und Musiker gearbeitet hat, steht für eine vollständige Überwindung der Gräben zwischen Pop und Hochkultur. Alles hängt bei ihm mit allem zusammen: Unterhaltung macht Politik, Youtube wird zum Menschheits-Archiv, und die amerikanische Ursünde – die Versklavung schwarzer Menschen und der daraus resultierende Rassismus – blutet noch immer in alle Bilder hinein, die wir heute konsumieren.

Das Video "The White Album", das bis an die Zähne bewaffnete weiße Männer und um Worte ringende weiße Mädchen mit Szenen von Polizeigewalt und Musikvideos schwarzer Künstler kombiniert, ist nicht seine stärkste Arbeit. Weder hat es die erhabene Gospel-Opulenz von "Love is The Message and The Message is Death", noch die brutale Strobo-Ästhetik, mit der "Apex" die fortwährende Entmenschlichung schwarzer Körper in die Gehirne der Zuschauer hämmert.

Auch seine Skulpturen im Arsenale aus Monstertruck-Reifen, die in Ketten liegen, sind in ihrer Symbolik nicht gerade komplex. Aber Arthur Jafa ist der Künstler, der die "Black Experience" – also die Erfahrungen und Bildwelten nichtweißer Menschen – mit seinem Blitzaufstieg am effektivsten aus den unausgeleuchteten Nischen der Kunstwelt ins Machtzentrum gerückt hat. Seine Kunst, die vorwiegend aus gefundenen Filmschnipseln besteht, tut weh, aber sie tut weh in einer Form, die Suchtpotenzial entwickelt. 

Jafa, der mit seiner Kamera jahrzehntelang Bilder für die Kinoleinwand produziert hat, will als bildender Künstler kaum noch Neues filmen. Alles ist schon da. Er arbeitet als Kurator eines überquellenden Bildarchivs, das alles an menschlicher Schönheit und Scheußlichkeit enthält. Er gibt seinen Collagen einen Rhythmus, der unwiderstehlich ist. Beyoncé und Kanye West neben Malcolm X und Martin Luther King. Alles ist gleich wichtig, der Kitt zwischen allen Sequenzen ist die Annahme, dass unsere Realität aus Bildern gemacht ist.

Diese Technik des Wirklichkeits-Sampling mit Fokus auf der Lebenswelt schwarzer Menschen ist nicht einzigartig. Auf der Biennale ist beispielsweise auch der fiktive News-Kanal von Kahlil Joseph zu sehen, der ähnlich funktioniert. Aber Arthur Jafa hat es in der Disziplin der Realitäts-Montage zur Meisterschaft gebracht. Und da die Biennale von Ralph Rugoff ständig mit der Disparität und Gleichzeitigkeit der Welt zu ringen scheint, ist der Löwe für Arthur Jafa eine konsequente Wahl.