Knappe Ateliers in Berlin

Kunst braucht Raum

Nicht nur Platz für Farben: Ein Atelier ist Grundvoraussetzung für künstlerische Arbeit, hier das Studio von Heinz Mack in Mönchengladbach
Foto: David Young/dpa

Nicht nur Platz für Farben: Ein Atelier ist Grundvoraussetzung für künstlerische Arbeit, hier das Studio von Heinz Mack in Mönchengladbach

Eine Initiative mahnt das Land Berlin zur Sicherung öffentlich geförderter Atelierräume. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie weit Angebot und Nachfrage auseinanderliegen - und der Druck auf dem Markt dürfte noch zunehmen

Berlin sei nicht mehr so cool wie früher, ist neuerdings zu hören und zu lesen. Künstlerinnen und Künstler verlassen die Metropole, heißt es, oder kommen erst gar nicht hierher.

Fakt ist aber, dass es eine mittlerweile fünfstellige Zahl von Kunstschaffenden in der deutschen Hauptstadt gibt - und eine weitaus geringere Menge von öffentlich geförderten Atelierräumen. Nun wird es stets eine größere Nachfrage nach kostengünstigen Arbeitsorten geben als bereitgestellt werden. Der Ruf Berlins als besonders preiswerte location beruht jedoch nicht zuletzt auf dem international konkurrenzlosen Angebot an staatlich geförderten Studios.

Doch macht der Stress, dem der Markt für Wohn- oder Gewerberäume ausgesetzt ist, vor Ateliers nicht Halt. Umso weniger, als die öffentliche Hand, das Land Berlin, selbst unter einem bis vor kurzem kaum vorstellbaren Druck auf Haushaltskonsolidierung steht. Zu Deutsch: Berlin muss sparen, "bis es quietscht", wie schon vor vielen Jahren der stets saloppe Regierende SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit verkündete.

Auf rational nachvollziehbare Verhandlungsrunden eingebogen

Seit Ende Mai residiert nun mit der parteilosen, von der CDU nominierten Sarah Wedl-Wilson eine ausgewiesene Kulturmanagerin mit ellenlanger Berufserfahrung in der Brunnenstraße in Mitte. Die unabwendbare Spardiskussion ist unter der neuen Kultursenatorin auf rational nachvollziehbare Verhandlungsrunden eingebogen. Zudem hat der jetzige Regierende, Kai Wegner (CDU), erkannt, dass die Kultur kein willkommenes Opfer fürs Landes-Sparschwein abgibt, sondern ein sensibles Gut ist, an dem die Reputation der Stadt hängt.

Das ist, wie man heute sagt, the bigger picture, in dem die Diskussion um Ateliermieten und -förderung angesiedelt ist. Und so bläst die Initiative #SaveOurStudiosBerlin denn auch ins kulturpolitische Horn und stellt die Bedeutung ihrer Forderung nach Aufrechterhaltung und Verstetigung der Fördermittel heraus. 

Im Netz wird um Unterschriften für die entsprechende Petition geworben: "Mit Ihrer Unterschrift setzen Sie ein starkes Zeichen für den Erhalt und Ausbau der geförderten Ateliers und Arbeitsräume in Berlin. Diese Orte sind unverzichtbar für die freie Kunst- und Kulturszene, für Vielfalt, Nachbarschaft und die internationale Attraktivität unserer Stadt." Rund 4000 Personen haben (Stand Montag, 22. September) das Anliegen bereits unterstützt. 

Übereinstimmung bei den Zahlen

Worum geht es? Die Senatskulturverwaltung hat nachgeschaut und kommt auf folgende Zahlen: "Das Arbeitsraumprogramm (ARP) des Landes Berlin fördert Arbeitsräume zur künstlerischen Produktion der Sparten Bildende Kunst, Musik, Literatur, Darstellende Künste und Tanz sowie Projekträume. Zum Stichtag 31.12.2024 befanden sich 1924 durch das Land Berlin geförderte Arbeitsräume in Nutzung. Hiervon sind 1199 den Ateliers der Bildenden Kunst zuzuordnen." 

Im Landeshaushalt stellt sich die Unterstützung der Kunstszene folgendermaßen dar: "Der Anmiettitel des ARP enthielt 2025 einen Ansatz von 19,17 Millionen Euro. Dieser Ansatz enthält die Aufwendungen für das Arbeitsraumprogramm des Landes Berlin. Die Leistungen zur Sicherung von Arbeitsräumen beziehen sich auf die Sparten Darstellende Kunst inklusive Tanz, Musik, Literatur und Bildende Kunst. Eine weitergehende Binnendifferenzierung nach Sparte erfolgt nicht." Im letzten abgeschlossenen Landeshaushalt 2023 betrugen die Ausgaben der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt knapp 724 Millionen Euro.

Der BBK, der Berufsverband Bildender Künstler:innen, stimmt in den Zahlen mit dem Senat überein. "In der Atelierförderung befanden sich zum Jahreswechsel 1054 geförderte Ateliers und tatsächlich gibt es einige geteilte Räume, sodass von der Förderung durch das Arbeitsraumprogramm 1140 Künstler:innen profitieren." Dazu kommt noch eine Anzahl von Atelierwohnungen außerhalb der Förderungen des Programms. So weit, so gut; aber wie steht's um die Nachfrageseite?

Weit mehr Künstler als geförderte Ateliers

Die Anzahl der in Berlin arbeitenden Künstlerinnen und Künstler beziffert der BBK auf etwa 10.000, die "im reinen Selbstauftrag in den klassischen künstlerischen Medien arbeiten." Als Indikator dient dem BBK die Nachfrage nach dem verbandseigenen "Newsletter mit den Veröffentlichungen der geförderten Ateliers", die bei eben dieser fünfstelligen Anzahl liegt.

10.000 Künstler und, addiert man alle Angebote, an die 2000 kostengünstige, in der Mehrzahl öffentlich geförderte Ateliers bedeuten ein Verhältnis von fünf zu eins. Wenn nun der BBK beklagt, dass "für jedes vergebene Atelier 22 anderen Bewerber:innen abgesagt wird", so ist das zweifellos eine durch Mehrfachbewerbungen verzerrte Zahl, die jedoch die Tendenz abbildet: Es gibt weit mehr Künstlerinnen und Künstler als in geförderten Räumen ihrer Arbeit nachgehen können. "Nach unseren Befragungen", so der BBK, "sind 63 Prozent dieser Künstler:innen derzeit ohne Atelier, 81 Prozent sind auf der Suche – da zählen also auch die Personen mit rein, die ein zu teures oder zu kleines oder zu weit entferntes oder sonstiges ungeeignetes Atelier unterhalten".

Auf diesem Hintergrund fordert die Initiative #SaveOurStudiosBerlin "die Absicherung von 28 Häusern mit 368 Ateliers", verteilt über die ganze Stadt von A wie Alt-Reinickendorf 28/29 bis S wie Storkower Straße 115. Gefordert wird, dass Berlin "die bestehenden geförderten Atelierhäuser durch geeignete rechtliche, finanzielle und organisatorische Maßnahmen dauerhaft sichert, sodass Arbeitsmöglichkeiten für Künstler:innen mit geringem Einkommen gesichert sind".

Große Worte für die Zukunft

Wie gering das tatsächliche Einkommen von Künstlern ist, lässt sich aus der Bedarfserhebung ermessen, die der Atelierbeauftragte des Senats vorgenommen hat. Danach "können 67 Prozent der Künstler:innen die ein Atelier suchen, dafür maximal 300 Euro im Monat aufwenden." 66 Prozent derjenigen, die eine Atelierwohnung – feiner Unterschied! – suchen, können bis zu 700 Euro aufwenden. Die Künstlersozialkasse (KSK), in der Künstlerinnen und verwandte Berufsgruppen versichert sind, "gibt für Berlin im Bereich Bildende Kunst ein Jahresdurchschnittseinkommen von circa 14.000 Euro an", heißt es ergänzend in der Erhebung. Macht knapp 1200 Euro im Monat.

Zahlen sind wichtig, aber hinter allen Zahlen stehen Menschen. "Die vorhandenen Mittel sollen möglichst unmittelbar den Künstler:innen nutzen, deren täglicher Beitrag zum kulturellen Output Berlins die Grundlage von Lebensqualität und internationaler Bedeutung der Hauptstadt und des Landes Berlin ist", bringt es Frauke Boggasch auf den Punkt, die Co-Sprecherin des BBK. Große Worte – aber ab und zu muss man sie eben benutzen, für jetzt und für die nahe Zukunft. Im Abgeordnetenhaus und in den Senatsverwaltungen wird bereits um den Doppelhaushalt 2026/2027 gerungen.