Auf Venedigs Architektur-Biennale wird an morgen gedacht – außer im deutschen Pavillon

Sehnsucht, ach ja. Und dann noch auf der Biennale in Venedig. Da fällt ihm schon irgendwas ein, da will der Architekt nicht absagen. Am Ende hätten dann viele der rund 180 Teilnehmer des bundesrepublikanischen Malwettbewerbs „Sehnsucht“ doch lieber nicht mitgemacht, so wie Herzog & de Meuron und das Büro OMA.
Denn auch die rote Textilbespannung der Wände, die zwei Publikationen, die teure Rahmung der eingeschickten Din-A4-Blätter und das verklemmte Augenzwinkern in schwarz-rot-goldenen Räumen können nicht verbergen, dass im deutschen Pavillon unter Cordula Rau und Eberhard Tröger eine ultradünne Idee und ein spießiger Ausstellungsbegriff walten. Das inhaltliche Material bilden nur die wurstigen Einsendungen der Architekten, von denen viele offensichtlich mehr Energie auf ihre expressive Signatur verwendet haben als darauf, die Wohlfühlhülse Sehnsucht mit Inhalt zu füllen.
Herzchen-Häuschen-Piktogramme und melancholische Blicke aus dem Fenster sind die Regel. Dass die renommierten Sauerbruch Hutton den Begriff „Sinnsucht“ buchstabierten, ließe sich als Nullerwiderung auf eine Nullanfrage deuten. Aber man nähme ihnen gern mal die Buntstifte weg. Allein Jürgen Mayer H. fasste die Übung konzeptionell auf, zerknüllte das Papier und widmete die Faltungen seinem Kollegen Arno Brandlhuber (siehe Interview ab Seite 52).
J. Mayer H. konnte sich wenigstens über den mit 100 000 Euro dotierten Audi Future Award freuen, für den sechs internationale Büros Mobilität, Architektur und Stadtentwicklung vorausdenken sollten. Die Preisvergabe war prächtig, doch die Aufgabenstellung zwang in einen kaum übersehbaren Spagat zwischen den Begriffen „Auto“ und „Zukunft“. J. Mayer H. setzt diplomatisch auf öffentlichen Nonstop-Verkehrsstrom, so vorausberechenbar, dass der Benutzer sich seine Umwelt derweil digital erschließen kann – in etwa wie mit einem Smartphone in der S-Bahn.
„Kein zentraler Planer kann eine Stadt komplett gestalten“, merkte die Vorsitzende der Audi-Jury, die große Soziologin und Professorin der Columbia University Saskia Sassen an. Denn die Stadt wehre sich: „The city fights back!“
Genau davon sähe man auf dieser Biennale lieber noch viel mehr, von Unplanbarkeiten, Unwägbarkeiten. Von allem, was sich abseits der sauberen Renderings qualliger Formen abspielt. Jene Gedanken, die aus der immergleichen Trias aus Schlafen- Essen-Arbeiten hinausführen. Rem Koolhaas entdeckt in dem muffig anmutenden Thema „Bestandserhaltung“ das zentrale Problem von morgen: Schon jetzt stehen zwölf Prozent der gebauten Welt unter Schutz, und es ist höchste Zeit, dies nicht allein den Historikern und dem Tourismus zu überlassen.
Vor allem aber formuliert die japanische Pritzker-Preisträgerin Kazuyo Sejima Fragen, die Architektur weiterbringen, gerade weil sie das abgesteckte Terrain verlassen – in ihrer Schau „People meet in architecture“. Sejima sucht als Direktorin der Großausstellung eine fast verwechselbare Nähe zur Kunstbiennale. Die einprägsamsten Arbeiten – tanzende Wasserschläuche im Stroboskoplicht von Olafur Eliasson, eine Soundinstallation von Janet Cardiff, das in Zürich geplante „Nagelhaus“ von Thomas Demand – kommen aus der zeitgenössischen Kunst. Und nicht einmal aus der Sparte, die sich der Themen Urbanität, Demografie und Migration annimmt. Sejimas Auswahl fiel vor allem auf Werke, die experimentelle Neudefinitionen wagen: In die „Wolke“ von Tetsuo Kondo und dem Ingenieurbüro Transsolar soll man wie in eine andere Sphäre über eine Treppe eintauchen. Doch unter der Decke hängender Dunst gleicht eher sich auflösendem Disconebel bei Putzlicht. Als die New Yorker Diller + Scofidio 2002 über dem schweizerischen Neuenburger See einen begehbaren Kumulus entstehen ließen, war das ein fantastisches Antispektakel, das desto weniger zu sehen bot, je näher man ihm kam.
Fast wie beim 1974 geborenen Japaner Junya Ishigami, der nur zarte Fäden entlang der Kantenlängen eines imaginären Hauses in einer Halle des Arsenale spannt. Eine an Abschaffung grenzende Skelettierung dessen, was wir als „Raum“ wahrzunehmen bereit sind, und ein mutiger Schritt in der Veranschaulichung von Architektur. Ishigami bekam den Goldenen Löwen. Blickt man jedoch von der Kunst aus, denkt man sofort an den 2003 verstorbenen Minimalisten Fred Sandback.
Erstaunlich, dass so wenig über andere Formen der Präsentierbarkeit nachgedacht wird. Immer noch Puppenkisten mit artig aufgeklebten Bäumchen, hartnäckig hält sich eine Displayästhetik mit Technoschriften. Und hektische Übersichtsvideos wie im französischen Pavillon sollen Raumerfahrung simulieren, die in der Spielhalle auf dem Lido besser zu haben wäre.
Der Inselstaat Bahrain nahm gleich the real thing mit: ein Ensemble aus Pfahlbauten, in denen die Fischer am Strand ihre Zeit verbringen, wenn sie nicht auf dem Wasser sind. Mit der Originalmöblierung inklusive Samowar und Sitzteppichen stehen sie jetzt im Arsenale wie kleine Tribünen. Über Monitore lernt man ihre Besitzer kennen und erfährt anschaulich vom kleinen Königreich im Persischen Golf, dessen Küste gnadenlos zugebaut wird. Und das jetzt den Goldenen Löwen für die beste nationale Präsentation erhielt. Ob sie die Hütten den Fischern danach wiedergeben? Produzent Mohammed Bu Ali winkt ab und steckt sich eine Dattel in den Mund: „Die haben sich schon am nächsten Tag neue gebaut.“ Architecture fights back!

Architektur-Biennale, Venedig, bis 21. November