Film über Merce Cunningham

Auferstehung in satten Farben

Der Choreograf Merce Cunningham erobert in 3D-Technik die große Leinwand. Ob ihm das gefallen hätte, ist fraglich - war der Lieblingstänzer der Kunstszene doch ein überzeugter Minimalist

Auch das Kulturfernsehen hat seine Gentrifizierung. Große Opernübertragungen sieht man nicht mehr von den billigen Sitzen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Wer es sich leisten kann, kauft sich dafür eine Kinokarte in einem der sogenannten Lounge-Theater. Für knapp 30 Euro, ein Begrüßungssektchen inklusive, zum Beispiel am 11. Januar die neueste Inszenierung des Künstlers William Kentridge an der New Yorker Metropolitan Opera bewundern, Alban Bergs "Wozzeck".

Alla Kovgans Dokumentarfilm "Cunningham", der gerade in die deutschen Kinos gekommen ist, kann man zwar zu regulären Eintrittspreisen sehen, doch er scheint das Publikum der gediegenen Opernübertragungen im Sinn zu haben. Die historischen Choreografien der 50er- bis 70er-Jahre, zunächst bei Publikum und Kritik umstritten, erleben eine Auferstehung in satten Farben, vergrößerten Sets oder Naturkulissen und in 3D-Technik. Nach seiner Aufnahme in den Kunstkontext bei der letzten Documenta nun also Cunningham für die große Leinwand.

"Merce und 3D passen besonders gut zusammen, weil er stets Interesse an technologischen Neuerungen hatte, gern künstlerische Kooperationen einging und immer bereit war, sich unkonventionellen Situationen und Orten anzupassen“, schreibt die Regisseurin dazu. Da wird ihm diesmal auch wenig anderes übrig bleiben; 2009 starb er im Alter von 90 Jahren.

Diskrete Perspektiven gegen schwelgerische Überhöhung

Es ist wahr, dass Cunningham auch am Computer choreografierte. Doch schon die Filme, die er von seinen Choreografien selbst inszenierte, könnten sich in ihren diskreten Perspektiven nicht mehr von Kovgans schwelgerischer Überhöhung unterscheiden. Mit dem großen Kino hatte er jedenfalls wenig im Sinn, dafür umso mehr Gespür für künstlerische Synergien. Bereits in den frühen 1940er-Jahren entstanden erste Kollaborationen mit dem Komponisten John Cage, seinem späteren Lebenspartner. Die Merce Cunninham Dance Company gründete er 1953 als Gastdozent am Black Mountain College.

Der Minimalismus seiner frühen Choreografien fand mit Cages ebenso radikalem wie sensiblem Modernismus sein musikalisches Pendant. Robert Rauschenberg schließlich, der von 1954 bis 1964 offiziell für Cunninghams Truppe arbeitete, erweiterte die gesamtkünstlerische Vision auf die Gestaltung des Bühnenraums. Später spielten Cunninghams Tänze in Kunstwerken von Bruce Nauman, Andy Warhol, Roy Lichtenstein und Frank Stella eine Rolle.

Zu den glücklicheren Nachschöpfungen in diesem Film zählen Szenen aus "Summerspace" von 1958. Hier verzichten die Filmemacher glücklicherweise auf Außenaufnahmen und rekonstruieren Rauschenbergs Bühnenbild, das sie wirkungsvoll von einem Hintergrundprospekt auf den Boden ausweiten. In bemalten Kostümen bewegen sich die Tänzerinnen und Tänzer scheinbar schwerelos in einem gewaltigen abstrakten Gemälde, das wie eine Hommage an den Pointilismus anmutet. Die delikate Musik von Morton Feldman umarmt den Spätimpressionismus auf ihre Weise. Doch auch hier erscheint ein Besuch im reichen Videoarchiv des Cunningham Trust die seriösere Alternative.

Die Lebensnähe blitzt kurz auf

"Ich war immer gegen den Wettbewerbsgedanken", hört man den 2009 gestorbenen Cunningham gleich zu Beginn dieses Porträtfilms sagen. Umso mehr interessierte ihn, was sich nicht vergleichen und bewerten lässt. Die Individualität des Ausdrucks in der jeweiligen Persönlichkeit der Tanzenden. Zu dieser Lebensnähe passte der Stil der Dokumentarfilm-Avantgarde des direct cinema.

Immer wieder scheinen sie in diesem aufwändigen Porträtfilm über Cunningham auf, wenn auch oft wie Collagen-Material auf der Breitleinwand platziert. Bei allem Aufwand der neuen 3D-Sequenzen: Die besten Momente sind die kurzen Bilder aus Filmen von Klaus Wildenhahn, Richard Leacock oder D. A. Pennebaker.

Offenbar angeregt durch Wim Wenders’ Pina-Bausch-Annäherung "Pina" filmte Kovgan die Tanzszenen an möglichst attraktiven Schauplätzen wie Hamburgs Altem Elbtunnel, Mülheims historischer Stadthalle aber auch in der demonstrativen Obskurität des City-Parkhauses Köln-Ehrenfeld.

Die pastelligen Kostüme ins Billige verwischt

Die Spielorte lenken nicht nur immer wieder von den Choreografien ab, sie scheinen für die Kamera oft fast von größerem Interesse. Spätestens bei der Bildgestaltung endet der Respekt für Cunninghams Ästhetik. Dramatische Lichtsetzung rückt die Tänzer manchmal schemenhaft ins Halbdunkel, in einer Parkszene kommt gar ein Weichzeichner zum Einsatz, der die pastellfarbenen Kostüme ins Billige verwischt. Stets ist die Kamera in Bewegung, wohl um den 3D-Effekt zu steigern.

Wenig seriös scheint außerdem der Ansatz, lediglich subjektiv ausgewählte Höhepunkte der historischen Inszenierungen auszuwählen und im Schnitt noch einmal zu verdichten. Dabei haben sich die Nachlassverwalter bislang in bewundernswerter Weise jeder Ausbeutung der "Marke Cunningham" verweigert; dies ist das erste posthume Projekt dieser Art. Wo der Choreograf das Zerbrechliche betonte, setzen diese Bilder auf Glätte, wo es ihm um Intimität ging, setzen die Filmemacher Indifferenz und Überhöhung.