New Yorker Galeristin

Aufstieg und Fall der Mary Boone

An Ostern hat Mary Boone nach 42 Jahren ihre Galerie geschlossen, da sie im Mai wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis muss. Doch die legendäre New Yorker Kunsthändlerin will als besserer Mensch in die Kunstwelt zurückkehren

Um die romanfigurhafte Ambivalenz Mary Boones zu verstehen, hilft es, sich ihre erste Begegnung mit Julian Schnabel vor Augen zu halten: Der Maler berichtet in einem Filmporträt, wie er nach seinem Studium Ende der 70er-Jahre von den hochfliegenden Ambitionen der angehenden Galeristin hörte und sie in einem Restaurant auf seinen Schoß zog, um sie davon zu überzeugen, dass sie ihn vertrete. Sich als Frau in der Macho-Kunstwelt der 70er- und 80-Jahren durchzusetzen, verlangte Härte und Nachsicht zugleich – Mary Boone hatte offensichtlich beides. Die Tochter ägyptischer Einwanderer erzählt in derselben Doku, wie Schnabel ihr prophezeite, dass er innerhalb von fünf Jahren auf dem Cover des Magazins "Artforum" landen würde. Er schaffte es dann in drei und wurde zum Star der 80er. Und Mary Boone wurde eine der mächtigsten Galerien des heraufdämmernden Kunstmarktbooms.

Am Ostersamstag, als die beiden New Yorker Galerienstandorte vorerst schlossen, endete eine Ära. Mary Boone muss im Mai wegen Steuerbetrugs in Millionenhöhe 30 Monate ins Gefängnis. Für die 67-Jährige soll es ein Neustart werden –, "wenn ich in der Haft nicht sterbe." Sie verspricht, ein besserer Mensch zu werden. "Mary Boone ist nicht am Ende", titelte die "New York Times" zuversichtlich. Kann sein, dass die Zeiten für Frauen in dem Geschäft einfacher geworden sind und Boone nicht mehr als der Machtmensch auftreten muss, als den ausgerechnet Schnabel sie in seinem Spielfilm "Basquiat" inszeniert: Erst snobbt Parker Posey als Mary Boone den noch unbekannten Basquiat ab, als der als Aufbauhelfer in ihrer Galerie arbeitet, und nachdem er zu Erfolg gekommen ist, spannt sie ihn der Kollegin Annina Nosei aus.
 


Mit gutem Willen kann man die Härte, den Ehrgeiz und auch die Gier, die man Mary Boone nachsagte, als feministische Zweckmäßigkeit auslegen. Dagegen steht, dass sie in den ersten acht Jahren in ihren schicken Räumen am West Broadway ausschließlich Männer vertrat, und dann auch noch eher machistische Neoexpressionisten. Erst 1987 kam mit Barbara Kruger die erste Frau ins Programm – nachdem die Künstlerin schon erfolgreich war.

Boone war gegen Konkurrentinnen nicht eben zimperlich. Nicht nur Nosei machte sie um einen Star ärmer, sondern lieferte sich auch mit Helene Winer und deren Galerie Metro Pictures Anfang der 80er-Jahre ein knallhartes Ringen um die Künstler der "Pictures Generation" – Boone setzt viel Geld ein, um sie abzuwerben. "Es war mehr als Wettbewerb, es war ein schmutziger, wilder Kampf zwischen Galerien und Künstlern", sagte Winer einmal Monopol. David Salle und Troy Brauntuch wechseln schließlich zu den "Boonies".

Keine andere Galeristin stand in diesem Maße für diese Mischung aus Geschäftsinteressen und Ellbogenmentalität wie Mary Boone – gepaart mit einem Gespür für Trends. "Einschüchternd, kalt und befremdlich ist er, dieser neue Typus der Galerie, der seitdem überall auf der Welt zur Norm wurde", schrieb der Kritiker Matthew Collings 2008 in Monopol. "Schon im Eingangsbereich fühlt man sich mehr wie in einer Firmenlobby als in Kunsträumen. Dabei ging es gar nicht so sehr darum, abschreckend zu wirken, sondern den Reichen zu signalisieren, dass ihre Wertmaßstäbe hier akzeptiert seien."

Die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung passt in dieses Bild. Vergangenen September gab Boone zu, die Finanzbehörden zwischen 2009 und 2011 mit Gewinnen in Millionenhöhe hintergangen zu haben. 2012 deklarierte sie private Ausgaben als geschäftliche und bezahlte so für 2011 statt 1,2 Millionen Dollar nur 335 Dollar Steuern auf ihren eigentlichen Gewinn von 3,7 Millionen Dollar. Sie hatte unter anderem die millionenteure Renovierung ihrer Wohnung als Betriebsausgabe angegeben. In ihrer Steuererklärung stand schließlich ein Verlust von 52.000 Dollar, statt dem eigentlich Gewinn von 3,7 Millionen.

Und schon ein Jahr zuvor musste Boone sich wegen Betruges vor Gericht verantworten, damals verklagt vom Schauspieler Alec Baldwin. Der Hollywoodstar beschuldigte die Galeristin, ihm eine Kopie eines Gemäldes von Ross Bleckner verkauft zu haben, statt des Originals von 1996. Der Fall endete mit einem Vergleich: Boone zahlte Baldwin mindestens eine Million Dollar, Bleckner gab ihm noch zwei Gemälde dazu.

Für Boones Verfehlungen hatten ihr Anwalt beim aktuellen Prozess eine Entschuldigung: Ihre schwere Kindheit - unter anderem ist ihr Vater gestorben, als sie drei Jahre alt war - habe zu psychischen Problemen, einer andauernden Angststörung, Alkohol- und Drogenabhängigkeit und einem Selbstmordversuch geführt. Permanente Angst vor dem sozialen Abstieg verbunden mit posttraumatischen Symptomen trotz ihres geschäftlichen Erfolgs seien Resultat der Armut in der Kindheit. Um das Gesuch zu stützen, hatten die Anwälte im Januar hundert Aussagen von Freunden und Bekannten der Kunsthändlerin vorgebracht, darunter vom Künstler Ai Weiwei und dem Kunstsammler Peter Brant. "Hinter der Fassade von Erfolg und Stärke ist eine fragile und gebrochene Persönlichkeit", so die Anwälte.

Den Richter überzeugte dieser Antrag auf verminderte Schuldfähigkeit nicht so recht: "Was ist das für eine Krankheit, die Menschen zum Stehlen verführt?", soll er entgegnet haben. 

Der Name der Krankheit lautet Gier, möchte man antworten, und diese Krankheit ist verbreitet in der Kunstwelt. “Viele Leute umgehen die Steuer", sagte Ross Bleckner wie zur Entschuldigung am Donnerstag in der "New York Times". Und ergänzte: "Und sie werden eben nicht erwischt." Mary Boone mag als besserer Mensch die Haft verlassen und ihre Galerie wiedereröffnen. Man durfte sogar hoffen, dass die Kunstwelt aus diesem Fall lernt. Doch wenn man Bleckner hört, dann wird wohl wieder nichts daraus.