Timm Ulrichs in einer Monografie

Aus dem Bauchladen des Totalkünstlers

„100 Ideen – 100 Werke“ sollte dieses Buch eigentlich im Untertitel heißen, dann aber hat Timm Ulrichs einmal mehr so viele bislang nicht publizierte Arbeiten zusammengetragen, dass es schließlich über 160 Ideen und Werke waren – und das klang als Titel nicht gut. Der 73-Jährige blickt auf eine überbordende Produktion zurück, die sich kaum in Ausstellungen und Katalogen spiegelt. Umso glücklicher kann man also über diese Neuerscheinung sein, die nun „Bilder-Finder – Bild-Erfinder“ heißt: jede Seite ein Einfall, jedes Bild eine Überraschung.

Die Monografie, die auf eine vergangene Schau des Künstlers im Ingolstädter Museum für Konkrete Kunst folgt, besteht aus zwei in Schweizer Broschur gebundenen Bänden: einer mit Werkabbildungen und Sprachkunst, ein zweiter mit frühen Texten Ulrichs, einem umfangreichen Interview mit ihm, Essays vom ehemaligen Chef der VG Bild Kunst, Gerhards Pfennig. Peter Weibel vom Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientheorie (ZKM) äußert sich voll des Lobes über den Kollegen, nennt ihn einen „der größten und protypischsten Künstler des 20. Jahrhunderts“.

Die Liebe zu Prototypen wird beim Blättern in „Bilder-Finder – Bild-Erfinder“ augenfällig. Vielleicht hätte der Titel „Ideenfinder“ besser gepasst, denn die Arbeiten sind häufig nur „Belegexemplare für Ideen“, wie Timm Ulrichs einmal sagte. Land-Art, Body-Art, Collage, konkrete Poesie, Lichtarbeiten – im Bauchladen des selbst ernannten „Totalkünstlers“ ist alles im Angebot. Er hat Spielzeug ins Riesenhafte vergrößert, Assemblagen aus Pattex-Tuben gemacht (und damit das Werkzeug zum Gegenstand), einem Betonklotz Antenne und Netzanschluss verpasst (als Vorwegnahme von Isa Genzkens berühmtem „Weltempfänger“) und Magnetplatten im Kreis so aneinandergelehnt, dass sie sich durch ihre Abstoßungskräfte selbst halten.

In dem Band wird Ulrichs mit Collagen-und Stempelarbeiten vom Beginn der 60er auch als Pionier der seriellen Kunst vorgestellt. Aber bei ihm ist das Serielle kein Statement, keine Notwendigkeit wie kurz darauf etwa bei Peter Roehr, der der Ansicht war, ein Künstler könne im Fließbandzeitalter eben nur so vorgehen. Ulrichs hingegen – und dies ist die Kehrseite seiner Produktivität – hat kein Thema, keinen Stil, nichts, das aufeinander aufbaut und sich zu einem Werk verdichtet. Er langweilt sich wahrscheinlich schon, wenn er einen Geistesblitz das erste Mal in Material überführt.

Aber was, wenn weder das Einzelwerk noch das Gesamtwerk ohne Dringlichkeit ist? Dann ist das Medium Buch tatsächlich der beste Container für den Drang nach Selbstüberbietung.

Timm Ulrichs: „Bilder-Finder – Bild-Erfinder“. Kerber Verlag, zwei Bände, 288 Seiten, 44 Euro