Südostasien ist ein weites Feld, auf dem die Klischees blühen. Darunter die Südseefantasien von Paul Gauguin, wie sie bis zum 19. Januar im Kunstforum Wien zu sehen sind, allerdings werden Werk und vor allem der Künstler – der in einer Zeit der Sexismus- und Missbrauchs-Debatten in Verruf gekommen ist –, in "Gauguin unexpected" durchaus kritisch betrachtet. Wie ja auch vor zwei Jahren in der Alten Nationalgalerie die Schau "Paul Gauguin – Why Are You Angry?" darlegte, wie illusionär das Ozeanien des Kolonial-Erotikers war. Denn im Berliner Kunsttempel wurde dessen Schaffen mit zeitgenössischer Kunst aus dem Pazifik konfrontiert.
Dort waren auch Arbeiten der Venedig-Biennale-Teilnehmerin Yuki Kihara zu sehen, die 1975 auf Samoa als männlich gelesen geboren wurde und die im Gespräch mit dem Autor darauf hinwies, dass es im vorkolonialen Polynesien nicht nur zwei Geschlechter, sondern viele gab – und dass Gauguins vermeintliche Entdeckung und Darstellung des exotischen Anderen (des "dritten Geschlechts" Māhū in Tahiti) letztlich neokoloniale Stereotypen und Ausbeutung gefördert hätten.
"Das Paradies Ozeanien, wie Gauguin es darstellte, widerspricht meiner Erfahrung als pazifische Inselbewohnerin", sagte Kihara im Monopol-Interview, dennoch habe sie die Bilder immer gemocht, Gauguins "Umgang mit Farbe, die Komposition". Sie habe seinem Werk allerdings ein "Upcycling" verpassen müssen, was zu ihrer Videoarbeit "First Impressions" führte, einer Fernsehshow, die in Samoa tatsächlich über den Sender ging und in der eine queere Fünfergruppe Gauguin-Gemälde launig kommentiert. "Es geht nicht um fachkundige Beurteilungen", erklärte Kihara, sondern eher um eine Sichtbarkeit der lokalen Community, darum, den Fa’afafine und Fa’afatama (samoanische Bezeichnungen für Transpersonen) eine Stimme zu geben.
Es geht um Sichtbarkeit und Stimme
Tahiti tickt anders als Samoa oder die Cook-Inseln, klar. Von den Unterschieden zwischen Kambodscha und Myanmar ganz zu schweigen. Was queeres Leben in Südostasien angeht, müsste man jede einzelne Region anschauen. Das kann keine Ausstellung leisten. Die neue Schau im Schwulen Museum in Berlin-Kreuzberg will das auch gar nicht, sondern nur ein paar Schlaglichter auf LGBTQ-Communities und Kunstproduktion im Kulturraum zwischen Indien und China werfen. Über die guten Nachrichten hinaus, die aus Thailand kommen, wo ab Januar die "Ehe für alle" erlaubt ist. Nun ja, das Land hat einen hervorragenden Ruf als Touristenhochburg zu verlieren, wirtschaftliche Erwägungen spielen in der Queerpolitik keine geringe Rolle. Wie auch immer: In anderen Regionen, das kennt Europa ja auch, sieht es in puncto Gleichstellung und Akzeptanz düster aus.
Wer mit der Überschrift "Young Birds from Strange Mountains" sofort das Vorurteil gleich- oder transgeschlechtlicher "Paradiesvögel" assoziiert, sei auf das so betitelte Gedicht des vietnamesischen Dichters Ngô Xuân Diệu (1916–1985) verwiesen – die eigentliche Klammer der schon aufgrund des riesigen Kulturraums ausgesprochen diversen Schau. Der vietnamesische Dichter konnte seine Homosexualität nicht offen leben und ersann einen gefiederten Stellvertreter.
Der junge Vogel weiß nicht, warum er singt, "seine wogenden Melodien" lassen weder die Früchte reifen noch die Blumen erblühen. Der Gesang "bringt keine Ernte", und doch singt das Tier ohne Unterlass. Die Zeilen lesen sich wie eine heimliche Ode an die Queerness wie ans "interesselose Wohlgefallen" (Kant) an der Kunst. Und so erzeugt das Gedicht einen überzeitlichen Resonanzraum, der queere Kulturschaffende über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg verbindet. "Wissen der Vorfahren" und "Spirituelle Wege" bilden denn auch zwei Kapitel der Ausstellung, die außerdem mit Überschriften wie "Verkörperte Versprechen" und "Tropische Technologien" gegliedert ist.
"Alles nur wegen einer Katoey"
Die thailändische Künstlerin und Designerin Eda Phanlert Sriprom lässt in einer Museumsecke einen Riesenphallus aufragen, komplett mit zwei Testikeln im Hockerformat davor. Das mit Polyester gefüllte Organ wurde aus rotvioletten buddhistischen Mönchskutten zusammengenäht. Sriprom, Transfrau und Gründerin der in Berlin ansässigen EdaEditions, verbindet in der Skulptur Sexualität mit Religion, was weniger provokativ gemeint ist, als es zunächst wirken mag. "Ich halte den Buddhismus für eine wirklich universelle Kunst", hat Phanlert Sriprom in einem Interview des Magazins "Le Mile" erklärt, Buddha sei für sie "ein wahrer Künstler" – umso bedauerlicher sei es, wenn Religion zum Werkzeug benutzt würde, "das die Menschen trennt, statt sie zu vereinen".
Trotz des beschränkten Raums ist die Schau um das Riesenthema "Queerness in Südostasien" erstaunlich breit gefächert, nicht zuletzt dank eines "Strange Mountains Archivs" mit einer Fülle an Materialien. Darunter ein Stummfilm aus dem Jahr 1954, der 2023 beim International Queer Film Festival im HKW wiederaufgeführt wurde: der älteste erhaltene thailändische Film, in dem eine "Katoey" vorkommt, wie sowohl Transgender als auch feminin auftretende Männer in diesem Kulturkreis genannt wurden. In "Alles nur wegen einer Katoey" buhlen mehrere Männer in einem "Gentlemen's Club" um eine Schöne, deren Attraktivität schließlich eine Schlägerei auslöst.
Zurzeit sorgt man sich am Schwulen Museum übrigens um das hauseigene Archiv. Es steht zu befürchten, dass infolge der Haushaltskürzungen des Senats eine wichtige IT-Stelle in dem Bereich gestrichen werden muss. "Ohne die notwendige IT-Unterstützung droht der Verlust wertvoller Daten, und die Online-Sichtbarkeit unserer Bestände wird stark eingeschränkt", gab das Museum auf seinem Facebook-Kanal bekannt. Auch das Jugendbildungsprojekt "Queer Outreach" der Institution ist von budgetbedingter Abwicklung bedroht. Vor dem Aus stehen auch andere queere Projekte, weil die Stadt die Fördergelder zusammenstreicht; vor allem Jugendzentren stehen auf der Kippe. Eine Katastrophe, gerade angesichts wachsender Homo- und Transfeindlichkeit. Farewell, Regenbogenstadt?
Fotoserien und Videoinstallationen aus queeren Perspektiven
Die "Young Birds" treiben’s immerhin noch ziemlich bunt. "Bongkar Pasang" heißt eine Soft-Skulptur der aus Yogyakarta stammenden Künstlerin Tamarra. Ein aus rotem Bast geflochtener und mit einer Holzmaske und Glöckchen verzierter Umhang, der auf Transgender-Schamanen in der Bugis-Kultur in Südsulawesi anspielt, denen ihre Götter die Macht verliehen haben sollen, den König zu beraten. Die Volksgruppe der Bugis kannte fünf soziale Geschlechter: "Makkunrai" (feminine Frau), "Calabai" (weiblicher Mann), "Calalai" (männliche Frau), "Oroané" (maskuliner Mann) und "Bissu", den männliche und weibliche Energien verkörpernden Menschen, der mit den Göttern sprach. In den Selbstporträts der Fotoserie "Uri-uri Ludruk" verkörpert die in verschiedenen Kostümierungen auftretende Tamarra Figuren der Bissu-Gemeinschaft.
Das Musikvideo "Love Bang!" in einer abgedunkelten Kabine wirft uns zunächst in die Gegenwart, hinter der doch wieder Historisches hervorlugt. In wechselnden Kostümen singen drei junge Ladys ein Medley aus Titeln von Fleetwood Mac oder Nancy Sinatra in vietnamesischer Sprache. Eine Performerin schreitet im Revuekostüm die Treppe eines Rohbaus in Pnom Penh herab, ein junger mit einer Wasserpistole bewaffneter Mann spielt Soldat in einer Dünenlandschaft.
Geschichte und (vietnamesisches) Trauma spielen also doch hinein bei der Videoarbeit der in San Francisco lebenden Künstlerin und Kulturaktivistin Việt Lê, die mittels Popkultur verdrängte persönliche und kollektive Erinnerungen hervorholen will. Zentrale Schlagwörter der Gegenwartskunst sind "Care" und "Heilung" – "Love Bang!" macht keine Ausnahme. Es heißt, dass Verweise auf die vietnamesische Muttergöttin-Religion Đạo Mẫu eingeflossen seien, mit der sich Việt Lê nach eigener Aussage aus queerer Perspektive auseinandergesetzt habe.
Eine bunte Schau mit Cowboy-Installation und vielstimmigen Gesängen
Dass es auch bei Oat Montien aus Bangkok um spirituelle Heilung geht, sieht man seiner Installation "American Dream Revisited" zunächst nicht an. Von der Museumsdecke hängt ein Seil, an das Cowboyklamotten geknüpft sind. Das dazugehörige, in der kalifornischen Mojave-Wüste gedrehte Video zeigt, wie ein Mann einen anderen fesselt.
Mit "Death Valley" sind Montiens Zeilen an seinen verstorbenen Vater überschrieben, der Brief hängt gegenüber dem erotischen Bondage-Video an der Wand. "Ich habe diese Kunst gemacht, um mich von Dir zu verabschieden", schreibt der Künstler an "Pa". BDSM als Bewältigungsstrategie.
Jenem Vogel vom seltsamen Berg, den der Dichter Ngô Xuân Diệu singen lässt, schmerzt der Hals. Doch er kann nicht anders, muss "seine Kehle und sein Herz sprengen, um so schön zu singen, wie er nur kann". Ein bisschen überstrapaziert mag sich auch das Publikum fühlen, zumal die Werke selten selbsterklärend sind und die knappen Kommentare dann wenig weiterhelfen. Da droht die Vielstimmigkeit in Kopfbrummen überzugehen. Auf die Soundscape-Installation ("I dream of sounds and found us entangled"), die sich hier selbst zur Fahrstuhlmusik degradiert, hätte das asiatische Kuratorenkollektiv besser verzichtet.
Das Schwule Museum ist Ort der Emanzipation und Diversität
Klar wird aber auch: Ohne das Schwule Museum als queeres Kompetenzzentrum und Ausstellungsort wäre Berlin arm dran. Ende 2025 feiert die Institution das 40. Jubiläum. Mit dem reifen Alter erklärt sich auch das Attribut "schwul", denn 1985 hing die Museumsgründung noch mit der Emanzipationsbewegung homosexueller Männer zusammen – inzwischen hat sich das Spektrum deutlich erweitert.
Mit dem Standortwechsel von Kreuzberg nach Tiergarten hieß es auf der Website im Frühjahr 2013 denn auch: "Das Schwule Museum wird verstärkt zu einem Ort, der über die Diversität von sexuellen Identitäten und Geschlechterkonzepten informiert". Für den Herbst ist eine Jubiläumsausstellung geplant, in deren Mittelpunkt Interviews mit Menschen stehen sollen, die das Museum vor 40 Jahren gegründet haben. Alle anderen sind zu Spenden aufgerufen, denn die Gespräche, die im ersten Halbjahr idealerweise auf Video dokumentiert werden sollen, sind mit Aufwendungen für Honorare, Technik, Schnitt, Postproduktion verbunden.
Geburtstag kostet, Kultur sowieso. Da unterscheidet sich Berlin nicht von Samoa, Spree-Athen nicht von der Südsee.