TV-Serie "Babylon Berlin"

Eine Lehrstunde zum Thema toxische Männlichkeit

In der ARD startet die dritte Staffel "Babylon Berlin". Auf rauschende Partys lässt die deutsche Erfolgsserie Katerstimmung folgen - und zeigt die "Goldenen Zwanziger" als Blütezeit des Sexismus 

Der Tanztempel von Babylon hat ein Leck. Vom Dach tropft es auf die Tanzfläche des Nachtclubs Moka Efti, der als sündiges Zentrum der Realitätsflucht eine wichtige Rolle in den ersten beiden Staffeln der Serie "Babylon Berlin" gespielt hat. Jetzt ist der Ballsaal leer und feucht. Die Besitzer vermuten Sabotage. Irgendjemand will die lukrative Feierindustrie des Unterweltbosses namens "Der Armenier" zum Erliegen bringen. Überhaupt, es wird weniger getanzt in der gar nicht mehr so goldenen Stadt am Ende der "Goldenen 1920er". Es dauert bis zum Ende der vierten Folge, bis Kriminalassistentin Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) mal wieder feiern geht - dann aber mit Koks, Kuss und inmitten einer glamourösen queeren Tänzerinnenschaft, von der auch heutige Berliner Nachtschwärmer träumen. 

Die neuen Folgen der deutschen Erfolgsproduktion "Babylon Berlin" (Regie: Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten), die ab dem morgigen Freitag auf Sky zu sehen sind, beginnen mit Katerstimmung. Nachdem die zweite Staffel in einem überdrehten Western-Duell auf einem Gold-Zug endete, wird die Action in Saison Nummer drei von Melancholie und der Ahnung einer nahenden Katastrophe gedämpft. Am Berliner Horizont von 1929 zieht die Weltwirtschaftskrise herauf, die Nazis hetzen ihre Schlägertrupps auf die liberale "Lügenpresse", und auch im Staatsapparat sorgt man bereits dafür, dass Verbrechen der NSDAP den Kommunisten angehängt werden. 

Der kriegstraumatisierte Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch) wird in dieser ungemütlichen Gemengelage - Vorlage ist Volker Kutschers Roman "Der stumme Tod" - ans Set eines Spielfilms im Studio Babelsberg gerufen. Dort wurde die Hauptdarstellerin von einem Scheinwerfer erschlagen. Ein Unfall ist unwahrscheinlich, auch wenn die zwielichtigen Produzenten aus Versicherungsgründen darauf bestehen. Dieser Handlungsstrang führt geradewegs in die Mediengeschichte (Geburtsstunde des Tonfilms) und die Opulenz der Filmproduktionen in der Weimarer Republik. Aber die Serie scheint gar nicht besonders interessiert daran, den Zauber zu zeigen, die das neue Filmerlebnis beim Publikum entfaltete. Die Tanz-und-Gesangsszenen, die am Set aufgeführt werden, sind recht schnell und routiniert abgehakt. Ein neuer Dark-Chanson-Hit á la "Zu Asche, zu Staub" aus den ersten Staffeln ist auch nicht in Sicht. Die neuen Folgen brauchen die Berliner Glitzerfassade vor allem, um in die Abgründe dahinter zu schauen. 

Vortasten in die dunklen Ecken der Psyche 

Das Herunterregeln des Action-Pegels erlaubt einen eingehenderen Blick auf die Figuren. Man tastet sich langsam tiefer in die dunklen Ecken der Psyche von Kommissar Gereon Rath vor, dessen Bruder vielleicht oder vielleicht auch nicht im ersten Weltkrieg gefallen ist und der nun mit dessen Vielleicht-Witwe zusammenlebt. Die Kriminalassistentin Charlotte Ritter bekommt den Sexismus ihrer männlichen Kollegen zu spüren - den man damals natürlich noch nicht so genannt hat. Überhaupt weht das Thema Emanzipation durch das historische Berlin. Beim Wohnung aufräumen singen Charlotte und ihre kleine Schwester Toni mit Inbrunst Claire Waldoffs Ermächtigungs-Hymne "Raus mit den Männern aus dem Reichstag" von 1926: "Wat die Männer können, können wir schon lange. Und vielleicht 'ne janze Ecke mehr."

Mit so vollmundigem feministischen Bekenntnis lädt "Babylon Berlin" geradezu ein, sich die Geschlechterbilder der Serie noch einmal genauer anzuschauen. Es ist viel darüber gesagt worden, dass man jenseits aller Räuberpistolen von der Produktion etwas über das Sterben einer Demokratie lernen kann. Aber vor allem ist der Ausflug in die 1920er-Jahre eine Lehrstunde zum Thema toxische Männlichkeit. Das Ensemble wird von Männerfiguren dominiert, die die Macht unter sich aufteilen, soldatischen Drill und autoaggressives Verhalten verinnerlicht haben und Frauen vor allem als ständig verfügbare Sex-Häschen oder Versorgerinnen wahrnehmen. "Babylon Berlin" hat so viel mit der Gewaltgeschichte männlicher Körper zu tun, dass man augenblicklich wieder Klaus Theweleits Analyse "Männerfantasien" zu Hand nehmen will, die gerade in neuer Auflage erschienen ist und den Männertypus untersucht, der im 20. den Aufstieg des Faschismus ermöglichte. 

Klischee-Abbau bei der "neuen Frau" 

Dass "Babylon Berlin" diesen Typ reproduziert, kann man auf das historische Setting der Serie schieben. War nun mal so. Aber gerade bei der Darstellung der "neuen Frau", die die 20er-Jahre bevölkert, würde man sich 100 Jahre später ein wenig Klischee-Abbau wünschen. 

Die weiblichen Figuren auf dem Bildschirm werden überwiegend über ihr Verhältnis zu Männern definiert. Wenn eine ihre unglückliche Beziehung verlässt, landet sie übergangslos beim nächsten, noch mächtigeren Mann. Charlotte Ritter, die in Volker Kutschers Romanen einfach Jura-Studentin und Teilzeit-Stenotypistin ist, wurde in den ersten Staffeln der Serie ein Nebenjob als Escort-Girl verpasst. Als sei eine Frau mit einem hochgeschlossenen Beruf bei Tageslicht nicht aufregend genug für eine Hauptrolle. Auch in den neuen Folgen muss sich wieder berufsbedingt bei einer okkulten Zeremonie in knappe Fummel werfen - was ihren männlichen Kollegen erspart bleibt.

Zum Ende der halben dritten Staffel keimt jedoch Hoffnung auf eine nicht-sexualisierte neue Protagonistin auf, die dem Sündenpfuhl Babylon außerordentlich gut täte. Man will ja beim Fernsehen auch was lernen.