Was ist mit diesem Ort? Da kann man bei der Abreise schon fast hinter Dessau sein, diese Frage lässt einen nicht los. Mystischer Ort, sagen die Leute. Sehnsuchtsort. Gegensätzlicher Ort, sagen sie und meinen damit die Belle-Époque-Bauten neben Brutalismus-Kästen.
Alles richtig und alles falsch. Man muss hier vielleicht esoterischer rangehen. In diesem Tal im Salzburger Land, in das der Kaiser eine Bahnstrecke legen ließ. Die endet in einem Ort, der mit seinen Radonquellen zur Fruchtbarkeit verhelfen möchte. Da ist irgendwas. Irgendeine Energie, die in einen hineingeht, und dann ist sie da und wirkt bei allen ähnlich. Sie wühlt auf, sie lässt nicht los.
Man sieht Zeichen überall. Zufälle gibt es nicht. Aber vielleicht muss man auch viel pragmatischer rangehen. Denn dieser Ort hat neben einem wunderschönen Bergpanorama einfach eine Menge Leerstand. Verwaiste Hotels, Ladengeschäfte, Schaufenster. Und da will man gleich was machen, sich verwirklichen oder diesen Ort retten.
Die Gleichung ist aufgegangen
Ähnlich entstand auch das Festival Sommer. Frische. Kunst, das gerade das 15. Jahr seines Bestehens feiert. Eine Ausstellung, zwischenzeitlich eine Künstlerresidenz, seit 2022 auch eine Kunstmesse. Künstlerische Zwischennutzung in den Leerständen sollte den Tourismus wieder ankurbeln. Richard Floridas Gleichung – ganz grob: Erst kommt die Kunst, dann das Geld – hatte man hier in dem 4000-Menschen-Dorf offenbar verinnerlicht. Und was soll man sagen: Es ist aufgegangen. Zumindest ein bisschen.
Im alten Grand Hotel de l’Europe kauften Städter kleine Wohnungen, junge Kreative mit ein bisschen Geldhintergrund bezogen Ateliers an der Kaiser-Wilhelm-Promenade, das Designhotel The Comodo machte auf, und Berliner Partypeople arbeiten in den diversen Saisons in den diversen Hotels, um am Berg ihre Wunden zu lecken.
Im Zentrum des Ortes gibt es jetzt eine Pizzeria, nebenan wurden gleich zwei Gebäude, die lange Zeit hinter Brettern und Bauzaun im Koma lagen, von BWM-Architekten zu Hotels renoviert. Und ein Phallus-artiger Turm wurde auch noch darauf gesetzt.
Das Monte-Carlo der Alpen ist es dann doch noch nicht
Kommt man also nach 13 Jahren mal wieder her, sieht man gleich: Hier hat sich wirklich was getan. Und auf der anderen Seite überhaupt nicht. Noch immer wartet Bad Gastein auf den großen Knall, endlich wieder das Monte-Carlo der Alpen zu werden. Oder ein Ort mit einem Zentrum, in dem das Kongresshaus von Architekt Gerhard Garstenauer nicht verfallen daliegt, sondern endlich wieder aufsperren kann.
Man sei dran, ließ der Bürgermeister wissen. Man sei in Gesprächen mit dem Besitzer, der seit Jahren viele seiner Gebäude im Ort verfallen lässt. Aus Gründen, über die immer spekuliert wird. Die von Kränkung oder Rache handeln und immer verrückter werden, je mehr Versionen der Geschichte man hört. Die haben dann mit Hitlers Zahnärztin zu tun oder mit männlichem Ego.
Bad Gastein ist also ein irrer Ort, und so passt dieses Kunstformat ganz wunderbar hier her. Andrea von Goetz, Kunstberaterin, -sammlerin und -komplizin, wie sie sich mal nannte, hat es sich ausgedacht und in den letzten Jahren mit ortsansässigen Hoteliers immer weiterentwickelt. Sie hat Künstlerinnen und Künstler eingeladen, hier zu arbeiten, in einem Kraftwerk gleich am berühmten Wasserfall, der mitten durch den Ort kracht. Für ein Projekt wurden Flaggen von Erwin Wurm oder Olaf Nicolai aufgestellt. Olaf Holzapfel hat eine Skulptur auf den Berg gestellt und Lars Eidinger seine Fotos in ein leerstehendes Hotel gehängt.
"Gerne mal die Augen schließen"
Nun ist das Wasserwerk grundsaniert und zeigt zum 15. Geburtstag eine Ausstellung der Künstlerinnen und Künstler der letzten Jahre. Jorinde Voigt ist dabei, Gerwald Rockenschaub und der Wiener Clemens Wolf, der gerade auch eine Kooperation mit Monopol hat. Toll sind Ulrike Theusners psychedelischen Post-Post-Impressionismus-Pastellstrich-Zeichnungen. Im September auch bei Eigen+Art in Berlin unbedingt anschauen.
Dazu hat man andere Kreative eingeladen, am Berg zu zeigen: Theresa Hattinger hat Skiwarnschilder gesammelt und aufgestellt. "Slow" und "Langsam" steht da. Soll zur Entschleunigung aufrufen. Und sicherheitshalber wurde bei der Besichtigung auch noch eine Achtsamkeitsübung angeleitet, mit beiden Beinen verwurzelt auf den Beinen stehend. "Gerne mal die Augen schließen. Wie fühlt sich das heute Morgen an?".
Anschließend hat die Berliner Gruppe Pegasus Product im Wald ein modernes Kasper-Theater aufgeführt. Darin geht es um windige Maskendeals und Spendengalas, und eine Faust trägt "Faust" vor.
Kunst als Klassenfahrt
Man muss sich die Sommer.Frische.Kunst wie eine Klassenfahrt vorstellen. Es treffen sich dort lauter lustige Leute, die sich erst einmal in Künstlerin, Verkaufende und Konsumentin aufteilen. Man geht mit ihnen spazieren, schwimmen, brunchen, trinken und Kunst gucken. Man kommt ins Gespräch über Kommanditgesellschaften, Reinigungsfirmen, LSD, Wiener Modedesigner und Münchner Lederhosen.
Zum Beispiel bei der Eröffnung des Projekts Gastein74. Drei junge, vom Ort angetane Männer haben zu den Plänen des Architekten Gerhard Garstenauer, des Grafikers Otl Aicher (Olympia '72) und des Architekten Kurt Ackermann geforscht, die in den 70ern auf Initiative des Bürgermeisters ein neues Bad Gastein planten.
Garstenauer baute das Kongresshaus, das Felsenbad und ein paar Wohnhäuser. Ersteres wurde aufgrund der Ölkrise viel teurer als geplant, und weitere Teile der Planung wurden nie veröffentlicht, umgesetzt oder weitergeführt. Wie schön wäre es, könnte man nun in das Kongresszentrum gehen und die Sofas sehen, die Garstenauer für dieses Projekt gestaltet hat, die breite Treppe, von der hier geschwärmt wird. Aber geht nicht. Der Besitzer habe konkrete Vorstellungen für das Gebäude. Die Frage sei, wann sie umgesetzt würden, heißt es auf dem Podium. Jetzt sei erstmal jeden Freitag Cocktailparty auf dem Platz davor.
"Sehr gute Verkäufe"
Dann beginnt der nächste Programmpunkt: Eröffnung der Positions Art Fair. Die Berliner Messe, wurde in diesem Jahr nach Bad Gastein geladen, und das war wirklich eine gute Idee. Auf zwei Etagen im leerstehenden Hotel Astoria haben Galerien die Räume bezogen. Zeller van Almsick aus Wien zeigt eine lustig-bedrohliche Arbeit von Xenia Lesniewski, bei der aus einem Laptop Qualm und Feuer zu kommen scheinen. Die Malerin Friederike Just zeigt zwischen rosa Vorhängen und geblümter Chaiselongue freundliche Fratzen, und in der "Academy"-Sektion sind unter anderem die absolut umwerfenden Wolfsbilder von Alanna Dongowski zu sehen und zu kaufen.
Kaufinteresse scheint es hier auch zu geben. Heinrich Carstens von der Positions sagt zumindest, Bad Gastein sei eine attraktive Alternative zum White Cube, "mit viel Austausch und sehr kunstinteressierten Gästen in lockerer, entspannter und entschleunigter Atmosphäre. Alle treffen sich mehrmals über ein langes Wochenende. Das Ergebnis: Sehr gute Verkäufe."
Nur, was das ist mit diesem Ort und seiner Energie, darauf kommt man nicht. Vielleicht ist irgendwas im Wasser drin. Man sollte wirklich unbedingt mal hinfahren und sich das anschauen.