Balance des Vertrauens

 

Glich die Venedig-Biennale vor zwei Jahren noch einem überhitzten Kunstmarkt, der die Art Basel zu einer Art Nebenschauplatz zu machen drohte, hat die Messe wieder ihre alte Vormachtstellung als zentraler Motor des Markts zurückgewonnen. Mit Stil, schweizerischer Gründlichkeit und dem Standortvorteil seines Bankensystems hat sie sich in den vergangenen 40 Jahren ein einzigartiges Klientel aus wohlhabenden Sammlern und guten Galeristen aufgebaut. Diese Strukturen waren trotz Einbußen solide genug, um dem derzeitigen wirtschaftlichen Druck standzuhalten.
Viele internationale Topgalerien sind dieses Jahr nur auf zwei Messen vertreten – der Art Basel und der Frieze in London. Im vergangenen Jahr war die Teilnahme an fünf Messen die Regel, heute steht selbst bei Galerien wie Sadie Coles HQ wahrscheinlich nicht einmal mehr Miami auf dem Programm. 1100 Galerien hatten sich um die 300 Ausstellerplätze in Basel beworben, mehr als jemals zuvor. 99 Prozent der Teilnehmer hatten hier schon 2008 ausgestellt.


Die Gewichte auf dem Kunstmarkt verschieben sich. Die Überraschung dabei ist, dass die Sieger von vorges­tern die Gewinner von heute sind. Unter den Auktionshäusern gehen zum Beispiel traditionsreiche europäische Institutionen mit starker Kundenbindung gestärkt aus der Krise hervor. Die Berliner Villa Grisebach etwa setzte bei ihren diesjährigen Frühjahrsauktionen 12,25 Millionen Euro um, was einem zweistelligen Umsatzrückgang entsprach – und die Erwartungen trotzdem übertraf.
Auch Häuser wie Lempertz und Van Ham in Köln oder Ketterer in München, von denen die Gesamtumsätze noch nicht vorliegen, konnten in diesem Frühjahr trotz Einbußen überraschend gute Ergebnisse vorweisen. Das Wiener Dorotheum, das im März eine zweite Repräsentanz in Rom eröffnet hat, rechnet sogar mit einer Umsatzsteigerung im zweistelligen Prozentbereich. Bei den Weltmarktführern Sotheby’s, Christie’s und Phillips de Pury hingegen, die das Gros des Auktionsbooms auf sich vereint hatten, sehen die Ergebnisse verheerend aus. Der Vergleich der Resultate der New Yorker Frühjahrsauktionen im Mai 2008 mit den diesjährigen zeigt, dass der Gesamtumsatz der drei Häuser seit vergangenem Jahr um fast 80 Prozent gefallen ist – von für den gesunden Menschenverstand immer noch schwer fassbaren 838 Millionen auf 180 Millionen Dollar.


Vieles spricht dafür, dass sich die Umsätze auf diesem Level einpendeln werden. Lag die Rückgangsrate der drei Häuser bei den Auktionen im November nach dem Crash noch bei 43,6 Prozent, ist das Taxieren im Frühjahr besser gelungen. Nur 23,8 Prozent der Lose wurden nicht verkauft – eine Zahl, die ein, wenn auch fragiles, Gefühl von erneuter Stabilität suggeriert.
Was die Auktionen in diesem Prozess eingebüßt haben, ist ihre Barometerfunktion. Belebte ein Rekordpreis bisher die Aufmerksamkeit für einen Künstler und stellte oft eine sich selbst erfüllende Prophezeiung für den Wert eines Werks dar, geben nun wieder Museumsausstellungen verstärkt den Ton für das Preisniveau an, wie man unter anderem an dem von einer MoMA-Retrospektive beflügelten New Yorker Preisrekord für Martin Kippenberger erkennen konnte. Die Liste der 20 teuersten bei den Frühjahrsauktionen versteigerten Künstler verzeichnet gleich ganze zwölf Neuzugänge, allesamt intellektuelle Schwergewichte oder museale Klassiker. Neben Kippenberger sind John Baldessari darunter, Cy Twombly und Dan Flavin, aber auch Alexander Calder oder Piero Manzoni. Auktionshelden vergangener Tage wie Takashi Murakami sind ganz aus der Liste gefallen, Damien Hirst ist auf den 20. Platz abgestürzt.


Die Auktionshäuser sind sich dieser Veränderung bewusst. Phillips de Pury zum Beispiel macht für seine Londoner Gegenwartskunstauktionen Ende Juni nicht mit Anselm Reyle oder Jonathan Meese Werbung, den Sammlerlieblingen vergangener Tage, sondern mit der Skulptur „Stahlfrau Nr. 7“ (Taxe 300 000 bis 500 000 Pfund) von Thomas Schütte, dessen klassisch anmutende Positionen vielfach in Museen ausgestellt werden, zurzeit etwa in einer Werkschau am Münchner Haus der Kunst.
Anders als der Handel mit Aktien und Immobilien beruht der Handel mit Kunst auf einer Ökonomie des Glaubens, nicht auf konkreten Materialwerten. Das macht ihn genauso anfällig für Spekulationen, birgt aber auch andere Möglichkeiten der Korrektur. Die Marktüberhitzung der vergangenen Jahre und die Finanzkrise im Herbst hatten die so prekäre wie essenzielle Vertrauensbalance zwischen Künstlern, Sammlern, Händlern und Auktionatoren ins Wanken gebracht. Die gute Nachricht des ersten Halbjahrs 2009 heißt, dass – auch wenn das Marktvolumen wesentlich nach unten skaliert wurde – diese Balance wieder funktioniert.