Ein rauer Wind weht durch die Eichenwälder Yorkshires. Er raschelt durch das am Boden liegende orange-goldene Laub, entlang schroffer Kreidefelswände bis hin zur Küste. Die Wellen schlagen gegen die Klippen. Oben auf der Anhöhe sitzt eine Frau, die nach unten blickt und das Wellenspiel beobachtet. Eine Frau, die Kunstgeschichte schreiben wird.
"Alle meine frühen Erinnerungen handeln von Formen, Gestalten, Texturen", wird sie später sagen. "Ich erinnere mich, wie ich zusammen mit meinem Vater in seinem Auto durch die Landschaft fuhr, und die Hügel waren Skulpturen, die Straßen grenzten Formen ab. Da war dieser Eindruck von physischer Bewegung über die Fülle von Hochmooren, durch die Senken und Hänge von Gipfeln und Tälern, sie mit Geist, Auge und Hand zu fühlen, zu sehen, zu erfassen. Die Struktur der Dinge zu begreifen. Skulptur, Fels, ich und die Landschaft. Dieses Gefühl hat mich nie verlassen, ich, die Bildhauerin, bin die Landschaft."
Das junge Mädchen auf dem Beifahrersitz ist Barbara Hepworth, die 1903 in Wakefield geboren wird und deren Werke gerade in der Fondation Maeght nahe Nizza zu sehen ist. Das Zitat verrät: Aus ihr sollte eine große Künstlerin werden. 1920 begann Hepworth ihr Studium an der Leeds School of Art, welches sie dank eines Stipendiums 1921 am Royal College of Art in London fortführte. Nach Abschluss ihrer offiziellen Ausbildung beschloss sie, ein weiteres Jahr zu bleiben, in der Hoffnung, den Prix de Rome, einen Aufenthalt in der Ewigen Stadt, zu gewinnen. Obwohl dies nicht passierte, erhielt sie ein West Riding Scholarship, das es ihr ermöglichte, ein Jahr ins Ausland zu reisen.
Ein Teil der Londoner Avantgarde
Die Wahl fiel ebenfalls auf Italien. Allerdings nicht auf Rom, sondern auf Florenz, wo sie auch ihren Partner, den Bildhauer John Skeaping, heiratete. Nach der Rückkehr nach England ließ sich das Ehepaar in London nieder und machte sich als freischaffendes Künstler selbständig. Hepworth knüpfte bereits zu Lebzeiten ein florierendes Netzwerk in der Kunstwelt. So heiratete sie nach der Trennung von Skeaping den konstruktivistischen Künstler Ben Nicholson, mit dem sie auch gemeinsame Ausstellungen umsetzte (1932 beispielsweise "Carvings by Barbara Hepworth, Paintings by Ben Nicholson" bei Arthur Tooth & Son’s Gallery). 1930 schloss sich Hepworth der London Group an, einer innovativen Alternative zur Royal Academy, und ein Jahr später der 7&5 Society, einem Treffpunkt verschiedener Avantgardisten.
Gleichzeitig richtet sich ihr Blick zu dieser Zeit auf die internationale Kunst, Richtung Paris. Sie wird Mitglied von Abstraction-Création, gegründet als kosmopolitische Vereinigung von Künstlerinnen und Künstlern. Mitglieder wie Wassily Kandinsky, Alexander Calder, Hans Arp oder Piet Mondrian sicherten Hepworth einen begehrten Platz im Umfeld der europäischen Moderne. Diese Betonung der persönlichen Kontakte schmälert aus heutiger Sicht keineswegs Hepworths Können und Talent. Vielmehr erinnern diese Umstände daran, was damals nötig war, um besonders als Frau wahrgenommen zu werden. Letztendlich war es ihr überzeugendes Werk, das zur Teilnahme an der Biennale in Venedig 1950, der Documenta I (1955) und der Documenta II (1959) in Kassel führte.
Der Weg in die Abstraktion
Die Naturverbundenheit spiegelt sich im gesamten Werk von Barbara Hepworth, auch wenn ihre frühen Werke nicht wirklich eine Landschaft abbilden. Sie sind weitgehend figurativ angelegt, so etwa "Mother and Child" (1934), eine Skulptur, die auch in der Foundatione Maeght zu sehen ist. Hepworth stellt hier eine menschliche Beziehung zwischen zwei grob umrissenen Körpern dar.
Die Wahl der Materialien behält den Bezug zur Natur allerdings bei, und auch die künstlerische Praxis passt dazu – das direct carving. Die skulpturale Form entsteht durch das beherzte Herausarbeiten aus Holz oder Stein, anstatt sie zunächst in Ton zu modellieren. Hepworth selbst ist ein lebendiger Teil des Entstehungsprozesses. Sie sagt: "Du kannst meiner Meinung nach keine Skulptur erschaffen, ohne deinen Körper einzubeziehen. Du bewegst dich und du fühlst und du atmest und berührst." "Mother and Child" markiert eine Wende in ihrer Kunst hin zu abstrakteren Formen.
Ihre Überzeugung: Ungegenständliches kann ein Katalysator für sozialen Wandel sein und unter der Flagge der "konstruktiven Kunst" gegen die vorherrschende faschistische Politik der 1930er-Jahre kämpfen. "Die Sprache der Farben und Formen ist universell und nicht nur einer bestimmten Klasse vorbehalten ... Es ist ein Gedanke, der jedem Menschen dasselbe Leben, dieselbe Entfaltung, dieselbe universelle Freiheit schenkt", schreibt Hepworth 1937.
Konturen fließen im Rhythmus des Meeres
Diese Träume brachen mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges im Herbst 1939 zusammen. Barbara Hepworth und Ben Nicholson beschließen, London zu verlassen und in den Südwesten Englands, ins ländliche Cornwall zu ziehen. Auch hier streifen schroffe Winde die Küste, und glasklares Wasser läuft an Höhlenwänden entlang - so ähnlich wie in ihrer ersten Heimat Yorkshire.
Dieser Einfluss der Landschaft zeigt sich deutlich in Hepworths Werk. Ihre abstrakten Skulpturen sind aus Holz, Stein oder Gips geschaffen, die Innenflächen oft in Weiß-, Gelb- oder Blauschattierungen gehalten. Sie nehmen organische Formen und fluide Linien auf, eine sanfte Haptik. Auch wenn es heute ein wenig kitschig klingen mag: Es ist, als ob die Konturen im Rhythmus des Meeres fließen.
Beim Betrachten der Exponate in den beeindruckenden Ausstellungsräumen der Foundatione Maeght streicht jeder Luftzug der vorbeigehenden Besucherinnen über die Kanten und Rundungen aus Marmor. Man kann Hepworth vor sich sehen, wie sie sich in ihrem Atelier, einem ehemaligen Tanzsaal mit großen Spiegeln, durch den Raum bewegt. Nicht allein, sondern mit ihren Skulpturen. Sie stellte sie auf speziell angefertigte Sockel mit Gummirädern und tanzte mit ihnen buchstäblich durch das Studio.
Bis zum Mond und noch weiter
Die rasanten technologischen Fortschritte der 1960er-Jahre zeigten sich vor allem in der Luft- und Raumfahrt. Warum sollte all das nicht auch die Künste beeinflussen? Nach der ersten Mondlandung 1969 tauchte der Erdtrabant immer wieder als Motiv in Hepworths Werk auf; in etlichen Siebdrucken und Lithografien, beispielsweise unter dem Titel "Moon Play". Auch seine Komplizin, die Sonne, hat ihre Auftritte, wie in der grafischen Arbeit "Sun Setting". Ein Zusammenspiel der Gestirne, das Hepworths künstlerische Arbeit mit technischen Einflüssen vereint. Ihre Skulpturen, wie "Cone and Sphere" (1973), ähneln alltäglichen und gleichzeitig galaktischen Formen, fast wie Mondlandschaften.
Am Ende führt das Werk der Künstlerin jedoch wieder zurück auf die weiten Wiesen und Küsten Yorkshires. "Vielleicht formt sich das, was man sagen möchte, bereits in der Kindheit, und man verbringt den Rest seines Lebens damit, es auszudrücken. Ich weiß, dass alles, was ich in meinen frühen Lebensjahren in Yorkshire empfunden habe, auch heute noch dynamisch und beständig in meinem Leben präsent ist", so formulierte sie es selbst.
Ihre Skulpturen nehmen die Betrachter mit auf eine Reise in diese Kulisse - sogar, wenn sie vor dem beeindruckenden Mittelmeer-Panorama der Fondation Maeght ausgestellt sind. Diese Kunst ist mehr als schick und zeitlos in ihrer Erscheinung. Sie zeigt einen Weg, das menschliche Wirken in und mit der Umwelt besser zu verstehen und nachzufühlen. Sie ermutigt, in die "echte Welt" zu gehen. Vielleicht jetzt im Herbst ein paar Kastanien sammeln? Eine kleine Ähnlichkeit zu Barbara Hepworths Holzskulpturen ist auf jeden Fall vorhanden.