Besuch bei Künstler Barhtélémy Toguo

Der Prophet und der Berg

Der Kunstraum SpaceUn in Tokio holt Kreative mit afrikanischen Wurzeln zu Residencys in die japanische Einsamkeit. Die Erfahrung des Rückzugs schätzt nun auch Barthélémy Toguo. Ein Besuch bei dem Künstler und seinen Götterbildern

Die enge Straße schlängelt sich durch die hohen Zedernwälder an einem klar sprudelnden Zulauf des Yoshino River im Südosten Osakas, so wie die goldenen Lianen des in Kamerun geborenen Barthélémy Toguo seine Aquarellarbeiten umschlingen und durchwuchern. Seit mehreren Wochen lebt er völlig zurückgezogen auf jenem Berg. Er hat von hier oben aus den anbrechenden Frühling erlebt und gesehen, wie die Kirschblüte langsam aus dem Tal emporstieg. 

Er habe, sagt er, eine Hommage an die vielen japanischen Natur-Gottheiten versuchen wollen, die ihn an die animistischen Wesen seiner Kindheit in Kamerun erinnern. So findet sich auf seinen Arbeiten ein Gott des Feuers und ein anderer des Wassers wieder. Eine zweiköpfige, halb männliche, halb weibliche Gottheit entspringt einem blutroten Planeten, eine Schöpferin der Intelligenz streckt den Betrachtenden herausfordernd eine Papyrusrolle entgegen, weitere Schriften in ihrem Arm. Was auf ihnen zu lesen ist, weiß nur der Künstler. 

In Yoshino, so Barthélémy, seien ihm das Elend der Welt und die Schönheit der Natur noch etwas klarer geworden als in seinem Atelier in Sèvres bei Paris oder im Flugzeug, in dem er sonst die meiste Zeit verbringe. Das Licht der Morgensonne, die Kraft des Wassers, das lebensnotwendig und zerstörerisch zugleich sein könne, setzten in ihm Emotionen frei, die sonst in seinem Alltag verborgen blieben. Er würde allen Menschen eine solche Reise in die Natur empfehlen, um endlich zu begreifen, auf welchem Abweg wir uns der Umwelt und damit auch uns selbst gegenüber befinden. 

Ein Ort, der Differenzen feiert 

Aber Barthélémy sucht in der Präfektur Nara nicht nur nach Kontemplation und Erkenntnissen, sondern auch nach einer Verbindung mit der japanischen Kultur. So hat er den 85-jährigen Keramikkünstler Morimoto Osamu aufgesucht, um in seinem Ofen Objekte zu brennen und sie anschließend zu bemalen. Barthélémy, der sich auch als artiste-artisan - also als "Künstler-Handwerker" bezeichnet, schätzt diese Arbeit bei dem deutlich älteren Meister. "Es geht hier um Handwerk; um etwas, das du mit deinen Händen machst und nicht aus der Hand geben kannst. Diese Beziehung zwischen Kunstwerk und Künstler ist etwas sehr Besonderes. Ich könnte nicht anders arbeiten."

Die in der Werkstatt von Marimoto entstandenen Keramiken werden neben den großformatigen Götter-Porträts auf Papier ab dem 18. April unter dem Titel "Beauty of Nature" im SpaceUn in Tokio gezeigt – einem Anfang 2024 initiierten Kunstraum. Gegründet hat ihn die französisch-kamerunische Sammlerin und Mäzenin Edna Dumas gemeinsam mit ihrem Lebenspartner, dem Künstler und Schauspieler Yuta Nakano, und dem Galeriedirektor und Kurator Naoki Nakatani. Und bereits im ersten Jahr seines Bestehens wurden drei namhafte Künstlerinnen und Künstler mit afrikanischen Wurzeln als artist in residence nach Japan eingeladen hat. Der Bildhauer Aliou Diack, die Fotografin Delphine Diallo und der Künstler Serigne Mbaye Camara sind bereits vor Toguo ins entlegene Yoshino gekommen, um anschließend die hier entstandenen Arbeiten im Projektraum im Herzen Tokios auszustellen. 

Die Gründerin Edna Dumas betont, es gehe ihr darum, einen Ort zu schaffen, der die Differenzen feiert und daraus die Kraft der Neugierde aufeinander zieht. "Wir können absolut gegensätzlicher Meinung und unterschiedlicher Herkunft sein, aber wir müssen neugierig und offen für unsere Mitmenschen bleiben und versuchen, diese Gegensätze zu verstehen."

Pioniere und Propheten 

Tokio, so haben die bislang sehr gut besuchten Eröffnungen und angebotenen Talk-Formate gezeigt, ist bereit für diesen Dialog. Aber auch die internationale Sichtbarkeit von SpaceUn nimmt Fahrt auf: So wurden Edna Dumas und ihr Team im Januar 2025 erstmals auch zur Messe 1-54 Contemporary African Art Fair nach Marrakesch eingeladen, gefolgt von einer Einladung zur New Yorker Ausgabe im Mai. 

Auf die Frage, warum sie SpaceUn gegründet habe, antwortet Dumas: Ihr habe ein solcher Ort in ihrer Wahlheimat Tokio gefehlt, und jetzt gebe es ihn einfach. So bescheiden und persönlich ihr Anliegen auch klingen mag, so politisch ist es in seiner Umsetzung: Eine Plattform, die sich allein der Sichtbarmachung bislang unterrepräsentierter afrikanischer Positionen verschrieben hat und dazu den ebenso unerwarteten wie produktiven Austausch mit der Kultur ihres Gastlandes Japan fördert, sucht anderswo seinesgleichen und könnte als Modell Schule machen. 

Denn wer weiß in Deutschland heute noch, dass jener Barthélémy Toguo, der mitten im Interview plötzlich anfängt auf Deutsch zu sprechen, in den 90er-Jahren zwei Jahre lang bei Klaus Rinke an der Kunstakademie Düsseldorf studierte und 2015 mit seinem "Urban Requiem" von Okwui Enwezor zur Venedig-Biennale eingeladen wurde? Jene Arbeit bestand aus einer Sammlung übergroßer Holzstempel mit Claims, die an ungerecht behandelte Minderheiten erinnerten. Zwei Jahre nach Gründung der damals noch kaum bekannten "Black Lives Matter"-Bewegung und fünf Jahre vor der Ermordung George Floyds hatte Toguos "Urban Requiem" durchaus prophetischen Charakter. Zehn Jahre später bleibt abzuwarten, mit welchen Prophezeiungen sich seine japanischen Natur-Gottheiten noch an uns wenden werden.