Georg Baselitz über sein "Parsifal"-Bühnenbild

"Es ist eine andere Welt als das Atelier"

Foto: dpa
Foto: dpa
Der Maler Georg Baselitz im März 2018 in Dresden.

Wagner-Opern fand der Maler Georg Baselitz unerträglich. Jetzt entwirft er ein Bühnenbild für den Münchner "Parsifal"

Herr Baselitz, am 28. Juni feiert Pierre Audis "Parsifal"-Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper Premiere. Sie entwerfen das Bühnenbild und die Kostüme. Dabei mochten Sie Wagner früher gar nicht, stimmt das?
Ich war bei Wagner immer etwas gespalten. Nach ein paar schönen ersten Takten wurden mir seine Opern meist unerträglich in ihrem Pathos. Andererseits kam ich als Sachse, als Deutscher, selbst als Europäer ja kaum vorbei an Wagner. Um mich dieser Überfigur zu stellen, habe ich – unabhängig von der Musik – versucht, diesen Mythos, diesen Mann vom Kopf auf die Füße zu stellen. Ich habe ihn als Frau deklariert und so gemalt und gezeichnet. Man kennt ja von ihm diese markigen Porträts mit Samtbarrett auf dem Kopf. Nur Auguste Renoir hat ihn anders gezeichnet, weicher. In den Bildern erkennt man Renoir, aber Wagner überhaupt nicht. Ich bin dann noch einen Schritt weitergegangen und habe ihn als Frau dargestellt. Und seit dieser Verschiebung funktioniert das mit Wagner.

Wie ist es zur Mitarbeit am "Parsifal" gekommen?
Das ist erst mal herrliche Musik. Schon deswegen konnte ich diesmal nicht Nein sagen. Ich sage diesmal, weil es früher schon Anfragen zu Wagneropern gab. Die Zusage hat viel mit München zu tun, meine Frau und ich sind gerne dort, wir sind große Fans der Staatsoper, haben viele Freunde in München. Jetzt gehe ich also das Risiko ein. Und es war letztlich nicht schwer. Weil ich 1965 diese Heldenbilder gemalt habe, die im vergangenen Jahr auf Tournee waren. Die sind mein Bühnenbild. Es ist auf erschreckende Weise passend. Mir war das vorher nicht klar.

Was sind das für Helden im "Parsifal"?
Das sind alles gebrochene Figuren, mehr oder weniger. Da stimmen sie bei Wagner und mir überein. Nur Kastration kommt bei meinen Helden nicht vor. Sie wissen, der böse Zauberer Klingsor hat Hand an sich gelegt, um von der keuschen Rittergemeinschaft aufgenommen zu werden. Aber das klappt nicht. Was Wagner aus dem mittelalterlichen Parzival-Stoff macht, ist natürlich sehr eigen. Der "Parsifal" – mit abweichender Schreibung – ist eine sehr schwermütige, deutsche, nordische Dichtung. Es gibt nur eine Brechung darin, das ist der zweite Akt, der in einem Zaubergarten spielt, in dem die Blumenmädchen Parsifal zu verführen versuchen. Für diese Szene habe ich eine neue Interpretation gefunden, darauf ist bisher noch niemand gekommen!

Erzählen Sie!
Auf keinen Fall. Ich verrate nichts, sonst will niemand mehr in die Oper kommen.

Im "Parsifal" geht Keuschheit und Enthaltsamkeit über alles. Ganz im Gegensatz zu "Tristan und Isolde", Wagners Hymne an die körperliche Liebe. Begegnen Sie als Künstler, der 1963 mit dem Gemälde "Die große Nacht im Eimer" – Jüngling mit Riesenphallus – einen Skandal auslöste, dem Keuschheitsgebot im "Parsifal" eigentlich mit Skepsis?
Als ich "Die große Nacht im Eimer" malte, war ich ja viel jünger. Und Wagner, als er "Parsifal" schrieb, war ziemlich alt. Ich weiß nicht, wie seine Potenz beschaffen war, aber aus biologischen Gründen kommt der Trieb nun mal irgendwann zum Erliegen. Ich glaube, das erklärt ein bisschen den Stellenwert, den Wagner der Sexualität in seinem letzten Werk beimisst.

Neben den Rittern, dem leidenden Gralskönig Amfortas, dem "reinen Toren" Parsifal und Klingsor gibt es nur eine einzige Frauenfigur: Kundry irrlichtert zwischen Teufelin, Verführerin und sich aufopfernder Dienerin. Wie sehen Sie diese Frauenfigur?
Gehen Sie davon aus: Alle, die im Stück vorkommen, sind sehr alt, sozusagen am Sterben. Sie sind nicht nur Akteure in einer alten Geschichte, sie sind selber alt. Das gilt auch für Kundry. Ihr Job ist es, immer und immer wieder die Ritter zu verführen. Eine interessante Aufgabe, die Kundry darzustellen, denn ihr Darstellungsspektrum ist sehr weit. Meine Interpretation dieser Figur ist ein bisschen anders als sonst. Und ich habe mir im Vorfeld sehr, sehr viele Inszenierungen als DVDs angeschaut. Mehr sage ich zur Kundry in unserer Inszenierung aber nicht.

Sie haben ja schon Erfahrung als Bühnenbildner. 1993 haben sie Harrison Birtwistles Oper "Punch and Judy" in Amsterdam ausgestattet, 2013 György Ligetis "Le Grand Macabre" am Chemnitzer Opernhaus. Auf was für Schwierigkeiten stößt ein Künstler, der als Bühnenbildner arbeitet?
Sie müssen mit anderen zusammenarbeiten – und es werden viele Leute für eine Oper gebraucht! Ohne Kooperationsfähigkeit kann man's gleich lassen. Man kann zwar Ideen einbringen, aber die müssen umsetzbar sein, und es muss den Ideen auch zugestimmt werden. Es ist eine andere Welt als das Atelier, darauf muss man sich einstellen. Ich habe an den Opernhäusern allerdings nur gute Erfahrungen mit den Teams gemacht.

Sie haben eben von früheren "Parsifal"-Produktionen erzählt, die Sie sich angeschaut haben. Finden Sie da immer alles gut?
Ganz bestimmt nicht. Von der Regie wird die Geschichte ja zunehmend in die Neuzeit gerückt. Eine Kundry, die wie Frau Merkel aussieht, ein Klingsor wie Donald Trump, das kommt bestimmt auch noch! Mir liegen solche Aktualisierungen ganz fern. Ich bin überhaupt nicht beschränkt in meinem Verständnis für Bühne und Oper, muss aber sagen, dass ich in meiner Studentenzeit in Berlin sehr geprägt wurde vom Theater Bertolt Brechts. Diese fantastische Einfachheit habe ich nie vergessen. Brecht hat die reinen Theatermittel benutzt. Heute soll immer alles großes Kino sein. Hollywood. Ich mag das nicht.

Würde Sie das Inszenieren auch reizen? Ihr Freund Jonathan Meese hat zwar schlechte Erfahrungen gemacht – in Bayreuth wurde er als "Parsifal"-Regisseur abgesetzt – aber vielleicht wollen Sie ja Ihr Glück als Regisseur versuchen.
Nein! Kein Interesse! Und zum Fall Jonathan Meese kann ich nichts sagen. Nur so viel: Im Opernbetrieb geht es immer auch darum, dass die Kasse stimmt. Deshalb werden Künstler eingeladen – oder auch ausgeladen. Das mag auch bei meinem Engagement in München ausschlaggebend gewesen sein. Aber mir ist das einerlei. Mir geht es nicht ums Geld, ich arbeite einfach gern.

Sind Sie dann durch mit Musiktheater? Oder gibt es noch Träume?
Leider hat Ligeti, den ich sehr verehre, nur eine Oper geschrieben. Aber sein Landsmann György Kurtág, auch ein toller Komponist, hat Samuel Becketts "Endspiel" vertont. Die Oper wird bald an der Mailänder Scala uraufgeführt, leider bin ich dafür nicht angefragt worden. Dabei würde mich so etwas brennend interessieren. Gerade in Verbindung mit Beckett.

Eine Skizze von Baselitz zum "Parsifal"-Bühnenbild