Berlinale-Film "Ich bin dein Mensch"

Das emotionale System ist absturzgefährdet

Die Berlinale findet in diesen Tagen nun doch als Open-Air-Event mit Publikum statt. Einen Höhepunkt bildet der neue Film von Maria Schrader: In "Ich bin dein Mensch" muss eine labile Anthropologin einen Liebesroboter testen

Merkwürdige Dating-Party: Auf dem Parkett scheinen sich nur Turniertanzpaare zu tummeln, und auch sonst herrscht in diesem Club viel Perfektion und wenig Wohlfühlatmosphäre. Alma (Maren Eggert) wird an einen der Tische geführt, an dem Tom (Dan Stevens) sitzt, der sofort ein Kompliment wagt  – "Deine Augen sind wie zwei Bergseen, in denen ich versinken möchte" –, im Anschluss Rilkes "Herbsttag"-Gedicht mit sympathischer britischer Einfärbung zitiert und wie aus der Pistole geschossen komplizierte Multiplikationen ausführt. Warum Alma ihrem eventuell baldigen Lover Rechenaufgaben stellt, wird klar, als Tom komisch anfängt zu stottern und für einen Systemneustart in die Werkstatt zurück muss. "Aber morgen ist alles konfiguriert, und sie können Tom mit nach Hause nehmen", wird Alma versichert, die sich als Teilnehmerin einer Studie mit künstlicher Intelligenz und artifizellem Sexappeal entpuppt. Drei Wochen lang darf, soll, muss die Menschenfrau in ihrer Berliner Wohnung einen Maschinenmann austesten. Sie wird sich wundern, vor allem über sich selbst.

Mit "Ich bin dein Mensch" hat Maria Schrader, einem breiten Publikum auch als Schauspielerin bekannt, ihren dritten Film als Regisseurin gedreht. Gerade war sie mit der Miniserie "Unorthodox" für einen Golden Globe nominiert. Auf einer Berlinale wird die RomCom zwischen Frau und Roboter zum heimlichen Eröffnungsfilm eines Festivals ohne Publikum. Und das nicht nur, weil Schraders Wettbewerbsfilm am ersten Berlinale-Tag gleich oben auf der Streamingliste stand. Nein, es handelt sich um ein hochaktuelles Thema: Weil wir Covid und die Kontaktbeschränkungen ohne Computerhilfe kaum überstanden hätten. Sexy Roboter gibt’s zwar noch nicht flächendeckend, aber allzu utopisch wirkt Toms Retortenexistenz auch nicht mehr.

Science-Fiction? Alma nimmt das Experiment wohl vor allem als Dystopie wahr. Die Wissenschaftlerin arbeitet als Keilschrift-Expertin am Berliner Pergamonmuseum. Als Versuchskaninchen hat sie sich nur deshalb zur Verfügung gestellt, weil sie sich Vorteile für ihr Projekt erhoffen kann: In der persischen Keilschrift – das wollen Alma und ihr Team belegen – wurden vor mehreren tausend Jahren nicht nur Handelslisten verfasst, sondern auch Gedichte geschrieben. Während Alma nun also die Seele in alten Lettern sucht, scheint sie ihrem Gefühlsleben weitgehend den Saft abgedreht zu haben. Maren Eggert, die Alma zunächst mit bitterer Ironie und stets skeptischem Blick spielt, dann den Breakdown performt und allmählich emotional aufblüht, ist ein Geschenk für den Film.

Der Apparat ist näher an der Natur als der Humanoid

Wie Alma den für ihre Bedürfnisse programmierten Tom behandelt, den sie erstmal in die Rumpelkammer schiebt und als "Ausstülpung meines Ichs" bezeichnet, so hat sie mutmaßlich auch die echten Männer in ihrem Leben abserviert. Und was ist mit ihrem dementen Vater, der mehr schlecht als recht allein in seiner Stadtrand-Wohnung vegetiert? Ist ihr alter Herr auch nur noch eine Maschine mit Aussetzern, die aus Gewohnheit noch gewartet wird? Alma kümmert sich, doch ein bisschen mehr Wärme könnte sie schon aufbringen. Es ist eine nicht gänzlich lieblose, aber eine von Stress und Routine doch ausgelaugte Welt, in die Tom hineinplatzt. Perfekt, mit einem gewissen Hannibal-Lecter-Augenaufschlag, spielt Dan Stevens den gut vernetzten Alleskönner, der Almas Leben aus den Angeln hebt. Denn der Rechenkünstler ist nicht berechenbar. Und das System Alma ist absturzgefährdeter, als es der ach so kontrollierten Anthropologin lieb sein kann.

"Ich bin dein Mensch" – stimmt die Behauptung denn? Natürlich, weil offenbar auch eine Maschine "A real Mentsh" (jiddisch-denglisch) sein kann, und weil die Protagonistin erstmal ihr eigenes Menschsein entdecken muss – und das Glück, das im Kopf entsteht und nicht automatisch bei der Bettgymnastik.

Auf dem Weg zu einem ganz neuen Erkenntnis-Datensatz gelingen Schrader extrem witzige Szenen, zum Beispiel ein Hausbesuch der von Sandra Hüller gespielten Supervisorin beim ungleichen Paar oder ein misslingender Versuch der sturzbetrunkenen Alma, Tom als Sexmaschine herabzuwürdigen. Fürs Cineastenherz taugt eine Liebesszene nachts im Pergamonmuseum oder der Blick auf Tom, wie er im Wald inmitten eines Rehrudels steht. Die Tiere können ihn nicht riechen. Der Apparat ist näher an der Natur als der Humanoid. Seit C3PO in "Star Wars" und dem süßen David in Spielbergs "A.I. – Künstliche Intelligenz" ist der liebenswerte Roboter ja kein brandneues Modell mehr.

Dennoch: Auf unterhaltsame Weise dreht Schrader (die gemeinsam mit Jan Schomburg auch das Drehbuch schrieb) Konventionen und vermeintliche Gewissheiten um. Auch ist es toll zu sehen, wie sich zwei Fremde eine gemeinsame Biografie basteln, inklusive erster Kuss im Dänemarkurlaub vor drei Jahrzehnten. Nichts anderes – Geschichten und Gefühle synthetisieren – ist eine zentrale Aufgabe des Kinos. "Ich bin dein Mensch", bei dem nur hin und wieder die unvermeidlichen Corona-Bedingungen und AHA-Regeln beim Dreh letzten Sommer störend auffallen, ist zwar kein Meisterwerk wie Schraders Spielfilmvorgänger "Vor der Morgenröte" (2016), aber doch eine Komödie mit Tiefgang und Zukunftsperspektive. Was die reine Filmauswahl angeht – allein im Wettbewerb sind darunter vier Filme aus Deutschland – könnte es doch eine gute Berlinale werden: Im Sommer dann hoffentlich, mit Publikum.