Bex Wade, Ihre Ausstellung "I Know Who I Am By Being With You" in London blickt auf Ihre Arbeiten aus dem queeren Nachtleben im New York der frühen 2010er-Jahre zurück. Wie haben Sie diese Nächte damals erlebt?
Ich kam damals nach New York, ohne zu wissen, wie dringend ich diesen Ort brauchte. Ich suchte nach einer Freiheit, die ich kaum hätte benennen können, und fand sie auf den Tanzflächen der Stadt. Diese Nächte waren wie Schutzräume: Körper, Licht, Schweiß und Bewegung verschmolzen zu einem Ort, an dem alles möglich schien. Menschen konnten sich neu erfinden, ihre Identität frei gestalten. Jeder Abend war eine Überraschung – ich wusste nie, wen ich treffen oder fotografieren würde. Meist war ich allein unterwegs. Ich hörte von einer Party, schnappte meine Kamera und tauchte ein. Facebook gab es zwar schon, aber Instagram noch nicht – vieles lief über Mund-zu-Mund-Propaganda. Diese Atmosphäre der Unmittelbarkeit hat die Bilder geprägt. Es ging nicht um Selbstdarstellung, nicht um Likes oder Follower, sondern um das echte Erleben, um Gemeinschaft und Ausdruck. Und genau diese Freiheit – auf der Tanzfläche wie in mir selbst – ist in den Fotografien spürbar geblieben.
Wie kann man diese Arbeiten verstehen: als Akt der Zugehörigkeit, Tagebuch, Archiv, politische Geste?
Vielleicht begann es als eine Art Tagebuch – eine Möglichkeit, mir selbst zu sagen: Schau, was du erlebst. Die Bilder waren nie für ein Publikum gedacht, sie waren nur für mich. Gleichzeitig entstand ein Zeugnis für eine Zeit, eine Gemeinschaft, ein Gefühl von Freiheit. Das Persönliche und das Politische lassen sich dabei kaum trennen. Was damals intuitiv entstand, wird heute stärker politisch gelesen. Vielleicht ist das eine Qualität von Zeit selbst: dass sie Bedeutungen verschiebt oder neu auflädt. Eine bewusste Entscheidung, ein Archiv zu schaffen, gab es nie. Es passierte organisch. Ich war einfach da, voller Aufregung über die Körper, das Licht, die Energie. Weil ich Fotografie nie klassisch studiert habe, merkt man vielleicht: Mich interessierten weniger technische Regeln als Beziehungen, Intimitäten – und die flüchtige Möglichkeit, jemanden wirklich zu sehen und selbst gesehen zu werden.
Was unterschied für Sie die queeren Clubnächte in New York von jenen in Brighton oder Bristol, die Sie zuvor dokumentiert hatten?
In Brighton und Bristol waren die Clubs stark vom Mainstream geprägt. Ich hatte immer das Gefühl, da fehlt etwas – dieses wirkliche Erforschen von Identität, das Queerness für mich ausmacht. In New York war es anders: Die Tanzflächen waren Räume der Transformation. Man konnte buchstäblich sein, wer man sein wollte. Eine Nacht im Bloody Mary war dafür ein Schlüsselmoment. Alles war Performance, Mode, Freiheit – Kostüme, die ich so noch nie gesehen hatte, Körper, die sich neu erfanden. Ich habe dort begriffen, dass Identität etwas ist, das wir aktiv gestalten können, immer wieder. Diese Nächte haben mir ein neues Verständnis von Queerness eröffnet – und letztlich auch von mir selbst.

Bex Wade "Hot Rabbit Pride", 2012
Wie war es, Ihre frühen Arbeiten über ein Jahrzehnt später wiederzusehen?
Es war ein sehr zärtliches Wiedersehen. Ich wusste immer, dass diese Bilder irgendwann gezeigt werden müssen – aber ich hatte das Gefühl, die Zeit musste erst reif dafür sein. Heute wirken die Fotografien noch kraftvoller als damals, vielleicht weil sie in einer Welt entstanden sind, die noch nicht von ständiger Sichtbarkeit geprägt war. Viele Menschen haben mir gesagt, wie sehr wir heute solche Bilder brauchen: Bilder, die Freude, Stärke und Gemeinschaft zeigen, gerade in Zeiten, in denen queere und trans Leben wieder verstärkt angegriffen werden. Wenn es also bedeutet, zurückzublicken, um Kraft für die Zukunft zu finden, dann ist das genau der richtige Moment für diese Arbeiten.
Ihre Kamera war nicht distanziert, sondern mittendrin. Was macht das mit den Bildern, wenn man aus einer Position der Zugehörigkeit fotografiert?
Ich war Teil der Szene, habe auf denselben Tanzflächen getanzt, dieselben Räume geteilt. Das verändert alles. Es geht um Nähe, um Vertrauen, um gegenseitiges Erkennen – und immer um Konsens. Ich habe großen Wert darauf gelegt, dass die Menschen wussten, dass ich fotografiere, dass sie einverstanden waren. Es ging nicht darum, jemanden "einzufangen", sondern darum, gemeinsam einen Moment zu schaffen. Das macht die Bilder intimer, weil sie aus einer echten Verbindung heraus entstehen. Aber es macht sie auch verletzlicher. Wenn diese Nähe fehlt, wird ein Bild schnell zum Übergriff. Für mich ist Fotografie immer auch eine Frage von Verantwortung: Wie kann ich Menschen zeigen, ohne ihre Selbstbestimmung zu verletzen? Wie kann ich das Vertrauen, das sie mir entgegenbringen, bewahren?
In der Kunsttheorie wird viel über den male gaze gesprochen, zuletzt vermehrt auch über den female gaze. Aber was ist eigentlich mit dem queer gaze?
Das ist schwer zu erklären, weil ich ihn lebe. Ich bin der queer gaze. Ich kann gar nicht anders sehen. Aber wenn ich versuchen müsste, ihn zu beschreiben: Ein queer gaze bedeutet für mich, mit Fürsorge und Konsens zu arbeiten. Ein Blick, der Menschen nicht nur zeigt, sondern sie hält. Und ich spüre es sofort, ob ein Bild von einer queeren Person gemacht wurde, besonders bei trans Körpern. Der queer gaze hält Vielschichtigkeit aus, Kontraste, Übergänge. Er will nichts konform machen. Er performt nicht. Er ist politisch, poetisch, wütend, freudig, authentisch. Wie Wildblumen, die selbst im Beton einen Weg finden: Wo kein Platz ist, schaffen wir Platz. Und genau das sieht man, glaube ich, in meinen Bildern.

Bex Wade "I Didn’t Want To Leave", 2010
Viele Ihrer Bilder zeigen Momente von Nähe, Freude und Gemeinschaft. Aber was ist mit Erschöpfung, Angst, Zweifel – finden diese Zustände auch den Weg in Ihre Arbeit?
Auf jeden Fall. Man kann Freude und Erschöpfung, Kraft und Verletzlichkeit oft gar nicht voneinander trennen. Gerade auf der Tanzfläche war das spürbar: Die Menschen suchten dort nicht nur Gemeinschaft, sondern auch einen Schutzraum vor dem, was draußen passierte. Manche meiner Lieblingsaufnahmen sind stille Momente – eine Schulter, an die sich jemand lehnt, ein verlorener Blick, ein leerer, klebriger dancefloor am Ende einer langen Nacht. Auch das sind Dokumente von Queerness: nicht nur das Strahlen, sondern das Müdewerden, das Kämpfen, das Durchhalten. Vielleicht sieht man Angst oder Zweifel nicht immer direkt im Bild. Aber oft zeigen sich solche Gefühle in dem, was fehlt – etwa in der Abwesenheit von Menschen, die an einem Abend nicht auftauchen. Und natürlich spiegelt sich auch meine eigene Erschöpfung in den Bildern wider. Gerade bei der Arbeit an diesem Archiv wurde mir das nochmal bewusst.
Sie haben einmal gesagt: "Sichtbarkeit bedeutet nicht Sicherheit." Wie navigieren Sie heute das Spannungsfeld zwischen Sichtbarkeit und Schutz – gerade im aktuellen Klima wachsender Transfeindlichkeit?
Das ist eine ständige Gratwanderung. Um Veränderungen anzustoßen, müssen wir sichtbar sein – aber Sichtbarkeit birgt eben auch Risiken, gerade für trans und queere Menschen. Für mich bedeutet das, achtsam zu entscheiden, wo und wie Bilder entstehen und veröffentlicht werden. Ich arbeite nur mit Publikationen zusammen, denen ich vertraue, lade meine Bilder nicht in Bildagenturen hoch und sorge dafür, dass die Menschen, die ich fotografiere, selbst bestimmen können, ob sie gezeigt werden wollen. Auch bei meiner Ausstellung haben wir bewusst auf ein sicheres Umfeld geachtet: Die Gästeliste wird von jemandem aus der Community betreut. Mir ist wichtig, dass meine Arbeit empowernd wirkt, nicht ausstellt oder exponiert. Vielleicht geht es am Ende darum, Verantwortung nicht nur für das Bild zu übernehmen – sondern auch für den Raum, in dem es existiert.
Wenn Sie eine Vision formulieren müssten: Welche Zukunft wünschen Sie sich für queere Bilder, queere Körper und queere Räume?
Das ist gerade eine schwierige Frage, weil queere und trans Menschen oft keine Kontrolle über ihre eigene Zukunft haben – weil andere über sie bestimmen wollen. Aber wenn ich es in einem Satz zusammenfassen müsste: Ich wünsche mir eine Zukunft, die expansiv ist und nicht nur reaktiv. Eine Zukunft, die von uns erzählt wird, von innen heraus: durch queere Menschen, für queere Menschen. Ich wünsche mir ein lebendiges, atmendes Archiv, in dem wir unsere eigenen Geschichten bewahren und feiern. Vielleicht dauert es noch lange, bis wir keine separaten Räume mehr brauchen – aber solange das so ist, will ich, dass diese Räume von Hoffnung, Liebe und Freude getragen werden.