Neu im Kino: "Big Time"

Achtung, Genie!

Der Dokumentarfilm "Big Time" möchte den dänischen Architekten Bjarke Ingels als sympathisch verspieltes Innovationsmonster porträtieren, zeigt aber einen von sich selbst besoffenen Kreativen in Ego-Schlacht-Modus

Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt hatte der 2005 in Kopenhagen gegründeten Bjarke Ingels Group vor zwei Jahren die monografische Ausstellung "Hot to Cold" gewidmet. Sie sortierte die Projekte des Büros, darunter auch das Google-Hauptquartier, nach Klimazonen und ließ damit keinen Zweifel daran, dass die Dänen längst den ganzen Globus mit ihrer "Architektur 2.0" bespielen.

Im gleichen Jahr zeichnete die Gruppe auch für den Londoner Serpentine Pavillon aus Glasfaser und Holz verantwortlich. Zu den Vorgängern zählten Zaha Hadid, Jean Nouvel, Frank Gehry und das japanische Architektenbüro Sanaa. Dann ging es steil bergauf nach New York mit dem Folgeauftrag in der Tasche, den Neubau des "Two World Trade Center" in Angriff zu nehmen. Kein Wunder also, dass der namensgebende Bjarke Ingels und seine Partner ins Visier eines Dokumentarfilmers geraten sind, wobei Regisseur Kaspar Astrup Schröder für die Letzteren keinerlei Interesse zeigt und dem eigentlichen Objekt seiner Begierde mehr als nur einen roten Teppich ausrollt.

Der 1974 geborene Däne hat mit BIG den Aufstieg in Meilenstiefeln geschafft. Ästhetische Raffinessen stehen bei Ingels eher im Hintergrund, was zählt, ist Nachhaltigkeit und eine mit sanftem Hedonismus angereicherte Benutzerfreundlichkeit. Glaubt man seiner Mutter, hat alles mit dem Zeichnen von Comics angefangen. Das Wunderkind, das nie Hausaufgaben zu machen brauchte, habe nie an ein Architekturstudium gedacht, bis ihm die Eltern ohne Ankündigung einen Studienplatz besorgten - so die Legende.

Immerhin, seit seinem ersten umgesetzten Entwurf, einem Vereinsheim für einen Schwimmklub in Kopenhagen, schließt sich ein preisgekröntes Projekt an das nächste an. Darunter finden sich Museumsbauten, ein Kraftwerk mit einer Ski-Piste auf dem Dach, Wohnkomplexe und inzwischen auch mehrere Hochhäuser. Während in der Zentrale in Kopenhagen Hunderte von Mitarbeitern an Computern werkeln, ist der Chef, der gerne in den angestrengt eloquenten Fluss seiner philosophischen Maxime banale Weisheiten wie "Abstrakte Ideen real werden zu sehen, nur darum geht es" einstreut, natürlich längst mit einer Dependance nach New York gezogen.

Man folgt hier dem rastlosen Macher beim Joggen am Flussufer oder im Taxi, wo er im Stau stecken bleibt und lieber zu Fuß läuft, die Gebäude um ihn herum im Eiltempo studierend. Gelegentlich steigt er auch aufs Fahrrad, um Investoren zu treffen. Der mit bescheidener Geigenmusik unterlegte Film nimmt die Herausforderung an und springt mit Ingels zwischen den Austragungsorten seiner Projekte hin und her. Wenn er nicht bei einer Einweihung den Mitgliedern des dänischen Königshauses begegnet, auf riesigen Baustellen herumspaziert, über den Druck zu Kompromissen sinniert oder in Talkshows sein Image eines "Rockstars der Branche" schärft, zerbricht er sich den Kopf über die neusten Umsatzzahlen und spricht mit energiegeladener Begeisterung über seine Pläne und Ideen, die er natürlich längst als Comic veröffentlicht hat.

Dass Kaspar Astrup Schröder seine fünfjährigen Beobachtungen mit maximaler Bewunderung garnieren möchte, spürt man in jeder Einstellung, allemal wenn die Kamera über die Silhouette von Manhattan allzu häufig visionär schweift oder im Flug über imposante Architekturen gleitet, die ihr Urheber aus dem Off kommentiert. Die Platzierung von Ingels im "Time Magazine" als einen der 100 einflussreichsten Menschen der Welt wird ebenso zitiert wie Rem Koolhaas' Einschätzung, der jüngere Kollege spiele in der gleichen Liga wie die Jungs aus dem Silicon Valley.

Die Stilisierung zum getriebenen Genie, dem die Beschränkung des 24-Stunden-Tages zu eng ist, ermüdet spätestens in der zweiten Hälfte. Das hat offenbar auch Schröder gemerkt. Als nach einer Gehirnerschütterung die Möglichkeit eines Gehirntumors im Raum steht, begleitet er Ingels ins Krankenhaus zum MRT. Einige Kopf-Scans später sieht man den geknickten Patienten den Befund auf einer Bank lesen. Auf dem Dach einer Baustelle lauscht man dann dem Gespräch mit seiner Freundin zu und erfährt, dass keine Lebensgefahr besteht.

Leider kommt man nach diesen dramaturgisch wertvollen Nebenwegen nicht umhin, die inszeniert wirkenden Momente als kalkulierte Einblicke in die Privatsphäre eines Überfliegers zu sehen, der menschlich rüberkommen soll. Zu allem Überfluss wird die Botschaft, Erfolg sei nicht alles, weiterverfolgt und im Finale droht gar eine hollywoodreife Hochzeit. Da kommt man nicht umhin, die zu Beginn noch halbwegs informative Dokumentation in einen eitlen PR-Streifen abgleiten zu sehen. Das ist beruhigend, denn sonst wäre die chronisch ausgestellte Hyperbegabung und unvermeidliche Perfektion, selbst in der Darstellung des Privatlebens, kaum zu ertragen gewesen.