Historische Fotos von liebenden Männern

Stolz ohne Vorurteil

Wem dieser Anblick nicht den Atem raubt, der hat kein Herz: In ihrem Bildband "Loving. Männer, die sich lieben" präsentieren die Sammler Hugh Nini und Neal Treadwell 350 historische Fotos, die mit Liebe gemacht sind

Männer die Zigarren rauchen oder Hüte tragen. Anzugträger, Herren im Hemd, in Uniform oder Badehosen. Am Strand, auf einem Schiffsdeck, auf Dachterrassen und in Fotostudios. Gelebte Normalität aus 100 Jahren Fotografiegeschichte haben die Sammler Hugh Nini und Neal Treadwell von Flohmärkten und aus Nachlässen zusammengetragen. Was aus den zwischen 1850 und 1950 entstandenen Privatfotos hervorsticht – das Momentum dieser Bilder - ist die Zärtlichkeit zwischen den Männern, die im neuen Buch "Loving. Männer, die sich lieben" (uff, jetzt ist es raus) paarweise auftreten.

Das Irre an diesem Medium ist, das sich das fotografische Bild keinen Deut um das Davor und Danach schert. Ein Foto bewahrt den reinen, von Vergangenheit und Zukunftsaussicht kaum beschwerten Augenblick. Und angesichts der Zuneigung und Wärme dieser Männer zueinander erscheint es auch nachrangig, darüber zu spekulieren, ob sie bisexuell oder schwul sind, ob es (insbesondere bei Matrosen, Soldaten oder Landarbeitern) mangels weiblicher Liebesobjekte angefangen hat zu knistern, ob es "nur eine Phase" ist, wie sich das viele Eltern von Homosexuellen in der Regel wünschen, oder einfach nur eine Männerfreundschaft mit Streicheleinheiten, was ja auch eine schöne Sache ist. Kurzum und mit Erich Fried: Es ist was es ist / sagt die Liebe.

Dass es sich durchweg um Liebespaare und nicht bloß Männerfreundschaften handelt, davon ist das Ehepaar Nini/Treadwell allerdings überzeugt. In 20 Jahren trugen die New Yorker rund 2800 Fotografien aus aller Welt zusammen. Und sie fanden schnell heraus, dass es ein untrügliches Distinktionsmerkmal gibt: die Augen. Ohne Liebesblick taugte ein Bild nicht für die Sammlung.

Ein herzbewegender Sinn hinter den Bildern

Doch wo bleibt das Heteronormative? Und was ist mit Frauen, die sich unter Ausschluss der Männlichkeit lieben? Wer "Loving" mangelnde Ausgewogenheit in Liebesdingen vorwirft, dem fehlt schon mal der Sinn für die formale Kraft von Bildvergleichen. Hier geht es um Zeichen der Zuneigung, die vor allem schwule Männer verbergen "müssten", was sie aber offenbar nicht wollen oder können. Als Zeichensammlung erinnert es an die Praxis des Künstlers Peter Piller, der Archivbilder in sinnfreie Kategorien wie "In Löcher gucken" oder "Auto berühren" sortiert hat. Nur: bei den "Männern, die sich lieben" steht ein herzbewegender Sinn dahinter. Die 350 Bilder sind der Existenzbeweis von Formen der Liebe, die im Zeitraum der Aufnahmen und in vielen Regionen noch heute tabuisiert sind und/oder drakonisch bestraft werden.

Doch ob homo oder hetero: Die Sehnsucht ist immer gleich. Dass sie aber trotz eines repressiven Umfelds Erfüllung findet, dass zwei sich umarmen und damit das Unmögliche möglich machen, verleiht "Loving" Allgemeingültigkeit: Liebe als Utopie, die längst gelebt wird.

Das Buch ist mehr als ein Bilderfundus. Es lohnt sich, den Bildband von vorne nach hinten durchzublättern, weil die Autoren in der Bildabfolge mittels thematischer Gruppen und qua Überschneidungen, was Gesten, Hintergründe und Kompositionsmerkmale anbetrifft, eine fesselnde Dramaturgie realisieren. Dass diesem überzeitlichen Bogen die Chronologie weicht, zeigt sich an den Sprüngen im Material (Daguerreotypie, Negativfilm oder anderes), im Erhaltungszustand der Abzüge und in der bläulichen bis bräunlichen Tönung der Schwarzweißbilder – besonders auf vielteiligen Doppelseiten.

Oft triumphiert der Stolz der Verliebten geradezu über die verwitterten Bildoberflächen. Die Ferrotypie mit den beiden Zigarrenrauchern vor einem Studio-Gebirgspanorama (undatiert, aber sicher 19. Jahrhundert) zeigt diesen unsterblichen Blick, hier direkt in die Kamera. Auf dem finalen abgedruckten Bild (undatiert, schätzungsweise 1940er) ist der Blick ganz verschwunden, so innig küssen sich die beiden Männer im Sonnenschein. Am Ende reibt man sich die Augen, dass es so etwas Schönes wie diese Bildersammlung gibt.