Film über Kriegsfotografin Anja Niederinghaus

Kampf mit der Kamera

2005 erhielt sie einen Pulitzerpreis, 2014 fiel die Kriegsfotografin Anja Niedringhaus einem Anschlag zum Opfer. Ein allzu betulich inszeniertes Biopic rekapituliert jetzt das Leben einer Idealistin – und wächst an den Frontlinien der Welt schließlich doch über sich selbst hinaus

Eigentlich hatte Anja Niedringhaus mit Mitte 20 ausgesorgt. Als fest angestellte Fotojournalistin bei der European Press Agency hätte sie eine ruhige Kugel im Gesellschaftsressort schieben können. Sie wählte die tägliche Dosis Todesangst, weil sie es nicht fassen konnte, dass es wieder "Krieg mitten in Europa" gab. Gleich am Anfang in Sarajewo wäre sie fast umgekommen. Nur eine kugelsichere Weste rettete sie vor dem Schuss eines Snipers. Nicht, dass es ihr nicht schwerfiel, in den neuen Modus umzuschalten - und das lag nicht an dem fehlenden Strom und Wasser. Sie war "entweder zu früh oder zu spät, zu nah dran oder zu weit weg", sagt sie einmal weinend zu einem befreundeten Fotoreporter in dem etwas martialisch tituliertem Biopic "Die Bilderkriegerin". Man sieht sie unter Schock stehen, sich übergeben angesichts massakrierter Leichen.  

Ausgerechnet in einem ruhigen Park macht sie dann doch noch ihr erstes brauchbares Foto. Eine Familie spielt dort mit einem Hund. Plötzlich läuft die kleine Tochter ins Gebüsch. Eine Mine explodiert und Niedringhaus muss sich entscheiden, ob sie auf das blutverschmierte Kind draufhalten oder lieber abreisen sollte, wie es ihr ihre männlichen Kollegen immer wieder raten. Stattdessen sucht sie den Augenkontakt zu den Eltern, die ihr das Fotografieren erlauben. Das Bild geht um die Welt und seine Urheberin ist für immer infiziert. Der Blick auf die Details abseits des Kriegsgeschehens wird fortan zu ihrem Markenzeichen. 

Der zwischen dokumentarischen Einschüben und spielfilmhafter Handlung oszillierende Film folgt ihr in den Irak und nach Afghanistan, wo sie "die Seele der Menschen findet, die sie fotografiert", so einer ihrer realen Kollegen im Interview. Was man für verklärte Nostalgie halten könnte, erweist sich als ins Schwarze treffende Charakterisierung von Niedringhaus' Handschrift. Wenn sie die Linse als embedded journalist auf von US-Soldaten verhaftete Iraker richtet, einen Jungen in Kabul mit Maschinengewehr in der Hand Kettenkarussell fahren lässt und in den Augen unverschleierter Frauen einen Funken Hoffnung einfängt, dann versteht man sogleich, warum sich die "New York Times" oder "Der Spiegel“" um diese Aufnahmen rissen, bis ihr eine Reise in ein Bergdorf, deren Bewohner zum ersten Mal wählten, zum Verhängnis wurde: Niedringhaus starb bei einem Anschlag mir nur 48 Jahren.       

Der Film sucht lange seine Stimme

Im ersten Teil findet Regisseur Roman Kuhn leider nur konventionelle Genre-Rezepte und erntet nicht gerade darstellerische Höhepunkte. Man wähnt sich in einem unterfinanzierten Hollywood-Kriegsthriller, in dessen Mittelpunkt eine ahnungslose, idealistische Weltverbesserin durch die Schule misogyner Möchtegern-Hemingways gehen muss, um sich mit tollkühnen Aktionen Respekt zu verschaffen und irgendwann desillusioniert zu erkennen, dass ihre Fotos zwar die Öffentlichkeit aufrütteln, aber keineswegs die Macht haben, einen Krieg zu beenden.  

Ihr tagebuchartiges Voiceover wirkt mal deplatziert naturschwärmerisch, mal seltsam selbstzentriert, ganz anders als die gekonnt geschnittenen und kontrastreich eingefärbten Foto-Collagen. Es verwundert auch, dass die Gemeinschaft der Fotoreporter untereinander nicht über Politik redet. Stets geht es nur darum, wer das beste und riskanteste Foto geschossen hat. Die Nachkommen von Robert Capa und Lee Miller – ein Haufen von eitlen Adrenalinjunkies? Es dauert eine Weile, bis das biografische Porträt zu leben beginnt und die Parallelen zum aktuellen Krieg in der Ukraine das Leiden Niedringhaus' an ihrem vergeblichen Tun umso schmerzhafter erscheinen lässt.                                                                                        

Im Vorfeld ihrer letzten Reise wirkt sie ausgebrannt und gleichzeitig nicht in der Lage aufzuhören, und man fragt sich, wie sie sich heute wohl positionieren würde, für Waffenlieferungen oder gegen? Wahrscheinlich hätte sie vor Ort erstmal Verletzten geholfen, wie schon in Sarajewo. Und ihre Arbeit trotz aller Rückschläge auch als eine wehrhafte Geste begriffen. Denn, so Niedringhaus über die Konsequenzen des passiven Zuschauens: "Wenn wir nicht konstant immer wieder über eine eingeschlossene Stadt berichtet hätten, wäre wahrscheinlich heute Sarajewo immer noch belagert."