Ukrainischer Fotokünstler

Boris Mikhailov fürchtet um Archiv

Boris Mikhailov ist einer der bedeutendsten Fotografen der ehemaligen Sowjetunion. Jetzt fürchtet der ukrainische Künstler um seine in der Ukraine verbliebenen Arbeiten

Seit mehreren Jahrzehnten pendelt Mikhailov gemeinsam mit seiner Frau Vita zwischen Berlin und seiner Geburtstadt Charkiw im Nordosten der Ukraine, wo sich auch Teile seines Archivs befinden. Diese könnten nun zerstört sein. Boris Mikhailov, der 2015 den Goslaer Kaissering erhielt, hält sich derzeit mit seiner Frau in Berlin auf, wohin auch mehrere Familienmitglieder des Paars geflohen sein sollen.

Der 84-jährige Künstler, seit 2008 Mitglied der Akademie der Bildenden Künste Berlin, befand sich nach Angaben von "Artnet News" gerade in den Vorbereitungen zu seiner Retrospektive "Boris Mikhailov: Ukrainian Diary", die diesen Monat am Maison Européen de la Photographie (MEP) in Paris eröffnet hat, als er von der möglichen Zerstörung seines Apartments in Charkiw erfuhr.

Das Paar war aufgrund der Covid-Pandemie zuletzt 2019 in der ukrainischen Stadt, die nur 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt. "Sie haben erfahren, dass die Gegend in Charkiw, in der ihre Wohnung liegt, bombadiert und womöglich zerstört wurde", zitiert das Online-Magazin den Direktor des Pariser Ausstellungshauses, Simon Baker. "Sie haben keine Ahnung, in welchem Zustand sich das Apartment befindet und was mit ihren Arbeiten und Materialien passiert ist. Sie machen sich große Sorgen." Der Künstler selbst hat sich gegenüber "Artnet News" nicht geäußert. 

Boris Mikhailov spricht sich seit dem Einmarsch russischer Soldaten in die Ukraine im Februar dieses Jahres gegen den Angriffskrieg aus. In einem Interview mit der französischen Tageszeitung "Le Monde" sagte er: "Die Tränen der Ukraine begleiten uns. Was passiert, ist sehr ernst, es dringt in das Leben ein und zermürbt alles." Während der Berlin Art Week nahm er an einer Benefiz-Schau für die Ukraine teil. Die Ausstellung "Ukrainian Diary" ist die größte Retrospektive des Fotokünstlers seit mehreren Jahren und stellt seinen Arbeiten die dreier jüngerer Fotografinnen und Fotografen gegenüber, denen des Duos Elsa & Johanna und des Künstler Antony Cairns, die vom MEP eingeladen wurden, sich künstlerisch mit seinem Oeuvre auseinanderzusetzen.

In den 1960er-Jahren begann Boris Mikhailov seine fotografische Praxis. Als Arbeiter in der UdSSR bekam er von seinen Vorgesetzten eine Kamera, um die Arbeit in der staatlichen Fabrik zu dokumentieren, wurde jedoch entlassen, als er beim Entwickeln von Aktfotografien seiner Frau erwischt wurde. In der Folge begann er, als Amateurfotograf subversive dokumentarische Aufnahmen des Alltags und der Repression in der damaligen Sowietunion zu machen, die sich von den Propagandabildern der Regierungsführung abhoben, bevor er sich 1971 mit sieben weiteren in Charkiw ansässigen Fotografen zur Avantgarde-Gruppe "Vremya" zusammentat.

Udo Kittelmann, der damalige Direktor der Berliner Neuen Nationalgalerie, lobte Mikhailov in seiner Laudatio zur Verleihung des Kaiserrings 2015 dafür, "auf konsequenteste Art die Bedingungen menschlicher Existenz festzuhalten". Die Schau in Paris zeigt rund 800 Werke des Künstlers in unterschiedlichen Medien, entstanden ab den 1960er-Jahren, die das Leben in Charkiw während der Zeit der Sowjetunion und nach ihrem Fall zeigen.