Brian O’Doherty im Interview

"Im Atelier zeigt sich das Geheimnis"

Warum interessieren wir uns für die Werkstätten der Künstler? Der irischstämmige Autor Brian O’Doherty untersucht im Nachfolgeband zu seinem legendären Essay "In der weißen Zelle" den Mythos Atelier

Herr O’Doherty, Ihr Essay "In der weißen Zelle" behandelte die Logik des White Cube, jetzt analysieren Sie die Beziehung von Galerie und Atelier. Woher stammt die Faszination für das Atelier eines Künstlers?
Stuart Davis, ein großartiger, unterschätzter amerikanischer Künstler, sagte einmal zu mir: "Was wäre ein Künstler ohne sein Geheimnis?" Der Ort der Schöpfung – das Hirn des Künstlers – ist ein geheimer Ort, und dessen äußeres Emblem ist das Atelier: Hier materialisiert sich das Geheimnis. Freundlich ausgedrückt: Die Öffentlichkeit wünscht, dem Schöpfungsakt nahe zu sein, teilzuhaben an diesem generativen Mysterium. Anders gesagt: Die Öffentlichkeit – dieses rohe, leicht dumme, manchmal liebenswerte, gelegentlich gefährliche Tier – hat einen Riecher für Geheimnisse, will sie enthüllen, teilen, eifrig in ihre eigenen Missverständnisse übersetzen.

Welche Missverständnisse sind das?
Nun, der Mythos des Ateliers trifft auf ein mächtiges soziales Konstrukt: die öffentliche Vorstellung davon, was Kunst ist. Dieses Zusammentreffen dient auf verschiedenen Ebenen einer sozialen Notwendigkeit – etwa, die potenziell zersetzenden Energien der Kunst zu sozialisieren. Kunst ist heute säkular, der gefährlichen Magie ihrer Ursprünge beraubt. Aber ich glaube, dass etwas von dieser Magie immer überleben wird. Die Anthropologie kann uns heute viel über die Kunst erklären. 

Sie beschreiben, wie sich Künstler ab den 60er-Jahren zunehmend selbstreflexiv mit ihrem Studio auseinandergesetzt haben. Etwa Lucas Samaras, der 1964 die gesamte Einrichtung seines Ateliers in die New Yorker Green Gallery verfrachtete. Was passiert, wenn das Atelier zum Ausstellungsobjekt wird?
Zunächst einmal war Samaras’ Aktion ein großartiger gedanklicher Entwurf der Collage. Heute sind solche Gesten nichts Besonders mehr. Künstler setzen sich mit der Galerie auseinander, die nicht mehr nur als Container verstanden wird, sondern die selbst zu einem ästhetischen Objekt geworden ist, das verändert, attackiert, transformiert werden kann. Die Galerie ist der feste Partner jedes Künstlers, du kannst mit ihm flirten oder ihn hassen, aber du kannst ihn nicht loswerden, egal wie sehr du die Scheidung willst. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ein Kunstwerk ist ästhetisch unstabil, solange es im Atelier ist. Der Künstler kann es immer noch verändern, ja zerstören. In der Galerie wird die Arbeit zum Zweck des Kommerzes und der ästhetischen Untersuchung stabilisiert. Samaras hat diese beiden grundsätzlich verschiedenen Räume übereinandergeblendet.

Welche Rolle spielt Andy Warhol in dieser Entwicklung, dessen Factory ja zugleich Arbeitsstätte und Partyraum war, der das geheime Atelier zu einem quasiöffentlichen Raum gemacht hat?
Die Factory ist ein sehr weites Thema. In meinem Buch erwähne ich zwei extreme Beispiele des Atelierlebens in den 60ern: Warhol und Rauschenberg. Das Atelier des einen war leicht dämonisch, Charles-Manson-artig, das des anderen freundlich, utopisch. Beide waren erstaunliche soziale Gebilde, denken Sie nur daran, was in der Factory an neuen künstlerischen Methoden, an Musik, Film, ja allem generiert wurde. Der Gegenpol ist der Künstler in seiner klösterlichen Zelle. Heute gibt es überall Kollektive, aber sie generieren keine überzeugende Mythologie mehr – die Idee des Kollektiven ist verwelkt. Es gab für kurze Zeit auch den Mythos der Post-studio-Produktion, eine Folge der Konzeptkunst. Aber der bleibende Mythos ist der des individuellen Künstlers, der aus jener elektrisierenden Quelle namens "Kreativität" schöpft.

Aber erleben von Künstlern betriebene Räume und Kollektive nicht gerade eine Renaissance – möglicherweise als Reaktion auf den Kult um den Celebrity-Artist?
Selbst verwaltete Künstlerräume sind in der Regel nur selten so effektiv, wie es beispielweise das P.S.1 in New York war. Sie tendieren eher dazu, Produktionscluster zu sein, in denen alle an einem Strang ziehen, bis Erfolg und Neid sie voneinander entfremden. Aber anfangs sind alle Künstlerräume gut. Und viele von ihnen sind eher mittelfristige Einrichtungen, die den Künstler helfen und dann verschwinden. Was auch gut ist. Celebrity-Artists? Ich glaube, die Öffentlichkeit braucht sie. Der Appetit muss gestillt werden. Wenn ich aus meinem Tagebuch aus den 70er zitieren darf: "In den Spiegel blicken und keine Reflektion sehen." Das wäre eher mein Weg. Aber jeder wie er will.