Britta Thie in Hamburg

Gelungen gegen alle Widerstände

Streaming boomt, Filmproduktionen laufen auf Hochtouren. Doch was passiert mit den Welten, die dafür erschaffen werden? Die Künstlerin Britta Thie spürt dieser Frage jetzt in einer Ausstellung in Hamburg nach

Streaming-Dienste sind fester Bestandteil unseres Alltags geworden, und mit ihnen hat sich die Film- und Serienlandschaft radikal verändert. "Immer schneller, immer mehr" lautet das Motto einer regelrechten Fließbandproduktion, die nicht nur Inhalte, sondern ganze Welten im Akkord erschafft und wieder verschwinden lässt. 

126 Milliarden Euro könnte der Umsatz im Segment Video-Streaming laut Statista im Jahr 2027 erreichen. Doch das explosive Wachstum bringt Schattenseiten mit sich, denen die Künstlerin Britta Thie in ihrer Ausstellung in den Deichtorhallen in Hamburg auf eindrückliche Weise nachspürt.

Im Auditorium, das mit seiner Teppich-Auslegeware und den Akustik-Panelen in etwa so viel Eleganz versprüht wie ein 90er-Jahre-Gemeinschaftsbüro, gelingt ihr der Coup, die Problematik des Raumes zu Gunsten ihres Werkes zu nutzen. Die schrabbelige Ästhetik greift sie in den recycelten Filmkulissen auf, die hier als Ausstellungsarchitektur dienen und das passende Setting für ihre hyperrealistischen Malereien bieten. Darin porträtiert Thie technisches Equipment: Displays, Monitore, Beleuchtungstechnik oder den Technik-Notfallkoffer – die stillen Begleiter eines jeden Sets. In ihren Bildern werden sie zu einer "Ahnengalerie aus Tech", wie sie selbst sagt.

Die unsichtbare Arbeit hinter der Kamera

Mit geradezu liebevollem Blick fängt die Künstlerin die Wesenhaftigkeit der Geräte ein. Fast meint man, ihre Müdigkeit beim Nachtdreh oder ihre Langeweile beim Warten zu erkennen. "Die Headshots der Geräte stellen quasi ein Spiegelcast des menschlichen Ensembles dar", sagt Britta Thie. Indem sie das Equipment zum Protagonisten macht, lenkt sie den Blick auf die unsichtbare Arbeit hinter der Kamera.

Ein besonders drastisches Beispiel für das kurzlebige Geschäft der Streaming-Industrie ist die Netflix-Produktion "Conquest". 55 Millionen Dollar investierte der Anbieter in die Science-Fiction-Serie – nur um sie nach Drehschluss einzustampfen. Mit ihr verschwanden nicht nur die Kulissen, sondern auch die Hoffnungen der Beteiligten. Doch es braucht nicht immer einen derart spektakulären Flop, um sich der Vergänglichkeit dieser Branche bewusst zu werden. "Es hat mich fasziniert zu hören, dass Filmkulissen nach dem Dreh oft sofort eingelagert oder zerstört werden", erzählt Thie. "Dieser Winterschlaf-Zustand hat etwas Poetisches. Dass man riesigen Aufwand betreibt, um ein Set zu bauen, das dann zerstört wird oder auf einem prop graveyard landet."

Für die Deichtorhallen hat Thie Kulissen von unterschiedlichen Filmsets, die gerade erst abgebaut wurden, vor der Zerstörung gerettet und ihnen ein zweites Leben gegeben. Staubige Fußspuren und angeheftete Notizen erzählen von ihrer vorherigen Nutzung, verschiedene Welten überlagern sich nun in einem einzigen Raum. Thie spielt mit der Idee, dass sich die Ausstellung weiterentwickeln könnte – dass immer neue Fragmente dazukommen, wie ein wachsendes Archiv der Mediengeschichte.

Ihre durchdachte Hängung gleicht der Choreografie eines Filmdrehs. Die Positionierung der Bilder entspricht der realen Situation der Geräte während der Aufnahme, innerhalb der Installationen entstehen spannungsreiche Blickachsen, Ein- und Durchsichten. Durch die rasterartigen Schatten, die das Tageslicht der deckenhohen Fenster auf den Boden wirft, verstärkt sich dieser Eindruck. Sogar die Baugerüste vor den Deichtorhallen, passen dazu – sie betonen den Eindruck des Provisorischen und Temporären umso mehr.

Was wir sehen, ist immer nur Schein

Doch so konzeptuell die Entscheidung für die Kulissen ist, so konsequent ist auch Thies Entscheidung, sich den Motiven in fotorealistischer Malerei zu nähern. "Es geht um digitale Bildwelten, die sehr slick sind und am Ende auf HD-Screens ausgespielt werden, die wir nebenbei konsumieren", sagt sie. Durch den langwierigen Malprozess der Motive, die sie vor Ort mit dem Handy fotografiert hat, hebelt sie die Schnelllebigkeit der Filmbranche aus. Und findet einen interessanten Weg, die Scheinwelt mit einer Illusion zu entlarven.

So meint man beim Blick hinter die Kulissen, die Partitur des Filmdrehs offengelegt zu bekommen. Und muss sich doch eingestehen, dass die Malerei genauso trügerisch daherkommt. Denn letztlich ist es nichts weiter als Farbe auf Leinwand. "Ceci n’est pas une pipe", stellte schon René Magritte fest – was wir sehen, ist immer nur Schein.

Bei Britta Thie klingen die Doppeldeutigkeit und die ihr eingeschriebene Reflexion der Medien bereits im Titel der latent ironischen und im selben Zug liebevoll-nachdenklichen Ausstellung an. "Studio" meint einerseits das Künstler-Atelier und andererseits die Filmfabriken. An beiden Orten werden Illusionen erschaffen. Und obwohl, oder gerade weil wir dies wissen, lassen wir uns immer wieder darauf ein.