Bubble klingt eigentlich harmlos, gemessen an den blutigen Effekten, die soziale Blasen haben können. Je weniger gesellschaftliche Gruppen noch miteinander kommunizieren können, je inkompatibler die Überzeugungen werden, desto größer wird die Kluft, die eine Gesellschaft zu zerreißen droht. Davon und von der Gewalt, die aus Abschottung und Machtungleichheit resultiert, erzählt Yorgos Lanthimos’ neuer Film "Bugonia", der gerade im Wettbewerb der venezianischen Filmfestspiele Premiere feierte.
Der Titel bezeichnete in der Antike und im Mittelalter den sagenhaften Glauben, dass Bienen aus den Kadavern toter Ochsen oder Rinder von selbst entstehen würden. Heute hält man das für Blödsinn, ebenso wie die "Aufgeklärten" Aluhüte oder Wahrsagerei belächeln. Aber findet man sowas noch lustig, wenn das eigene Schicksal von Kidnappern abhängt, die einen für ein Alien halten?
Das ist die Ausgangssituation in "Bugonia", der ganz harmlos mit Blumen und Bienen anfängt. Teddy (Jesse Plemons) und Don züchten die nützlichen Insekten. Die Cousins leben allein in einem abgelegenen Haus auf dem Land, irgendwo in den USA. Teddy füttert den jüngeren Don mit allerlei Verschwörungstheorien. Hinter dem Bienensterben steckten Außerirdische – und diese hätten es auch auf die Menschheit abgesehen.
Die Managerin als Bienenkönigin
Daher entführen die beiden Michelle (Emma Stone), die CEO eines Chemiekonzerns, die als angebliche Abgesandte aus der Andromeda-Galaxie den Kontakt zum König ihres Volkes herstellen könne. Teddy ist beseelt davon, die Menschheit vor dem Untergang zu bewahren. Die toughe Michelle, aus ihrer gewohnten Machtposition in einen finsteren Keller gerissen und an Ketten gelegt, nutzt ihre psychologischen Skills, um wiederum Einfluss auf ihre Peiniger auszuüben.
Zunächst bringt man wenig Sympathie für die Figuren auf. Am meisten noch mit dem retardierten Don, weil er unter dem Einfluss seines manipulativen Cousins steht. Die Figur ist mit dem großartig spielenden Laien Aidan Delbis besetzt und eine grundehrliche Haut. Er ist der einzige, bei dem man echtes Mitleid verspürt.
Das Schicksal der eiskalten und skrupellosen Michelle, die ihre Chemie- und Pharmafirma wie einen Bienenstaat regiert, rührt uns erst an, als sie von Teddy brutal mit Stromstößen gefoltert wird. Michelle soll dazu gezwungen werden, sich als Andromedanerin zu bekennen. Der rhetorisch gewieften Managerin gelingt es, in diesem Dreiergefüge ihre Macht auszubauen. Derweil lernen wir die möglichen Hintergründe von Teddys Radikalisierung kennen, an der Michelles Konzern und die CEO persönlich keineswegs unschuldig sind.
"Die Wurzel des unguten Gefühls ist richtig"
Sehr schnell vergeht einem das Lachen angesichts des Verschwörungswahns, dem besonders Teddy anheimgefallen ist. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Ängste und Notlagen dieser Menschen nicht eingebildet, sondern real sind. Der phänomenale Darsteller Jesse Plemons hat es in Venedig auf den Punkt gebracht: "Die Vorstellung, dass wir manipuliert werden, dass unsere Daten ausspioniert werden, diese bösen Kräfte und diese Art kapitalistischer Maschine versuchen, unser Leben zu kontrollieren – wenn man all diese berechtigten Gefühle hat, wohin soll man da gehen? Eigentlich sprechen nur diese Verschwörungstheoretiker in Podcasts wirklich darüber. Und die Wurzel des unguten Gefühls ist richtig."
In "Bugonia" simuliert Lanthimos nicht die Wirklichkeit, sondern er inszeniert die schwankende Gefühlslage unserer Zeit, die nicht unwesentlich mit Filterblasen, Demokratieabbau, Autokratie und Profitstreben zusammenhängt. Das Drehbuch basiert übrigens auf dem koreanischen Film "Save the Green Planet!" von 2003, dessen Plot man besser nicht googelt, um sich den bösen Spaß an den Twists von "Bugonia" nicht zu verderben.
Nach dem Löwengewinner "Poor Things" und "Kinds of Kindness" – beide ebenfalls mit der wunderbaren Emma Stone, die diesmal auch als Produzentin fungiert – ist Yorgos Lanthimos wieder ein Meisterwerk gelungen. Krasse Horror- und Splatter-Szenen allerdings inklusive; das als kleine Triggerwarnung.