"Bugonia" im Kino

Der böse Spaß an den Gefühlsschwankungen unserer Zeit

Mit der Verschwörungsgroteske "Bugonia" zeigt Regisseur Yorgos Lanthimos, wie aus Entfremdung und Filterblasen reale Gewalt wird. Damit kommt er über den Umweg der Science-Fiction der Realität unheimlich nah

Der inzwischen international gefeierte Regisseur Yorgos Lanthimos zählt zu den Protagonisten der "Greek Weird Wave", die Mitte der 2000er-Jahre anrollte. Berühmt wurde der gebürtige Athener mit der Produktion "Dogtooth" (2009) über ein Elternpaar, das ihren in der Familienvilla isolierten Kindern ein verqueres Weltbild vermittelt. Das wichtigste Mittel, die drei pubertierenden Jugendlichen in der Blase zu halten, ist, neben Abschottung, die Sprache. Beim bizarren Vokabeltraining via Tonband lernen die Kids, dass ein Sessel "Meer" heißen soll und eine kleine gelbe Blume "Zombie". 

Man sollte die Parallelen zu Lanthimos’ neuem Film "Bugonia", der jetzt in die Kinos kommt, nicht überstrapazieren. Aber das isolierte Haus – hier irgendwo in einer ländlichen US-Gegend – und zwei dort wohnende Hinterwäldler, die sich in Verschwörungstheorien hineinsteigern, sind nicht allzu weit vom Setting in "Dogtooth" entfernt. Einmal abgesehen davon, dass Gewalt, soziale Isolation und Manipulation durch Worte in Lanthimos’ absurd-tragikomischem Kino eine Konstante geblieben sind.

"Bugonia" ist das Remake eines Science-Fiction-Reißers, der wiederum aus einer anderen Kino-Glanzzeit stammt, nämlich dem südkoreanischen Genrefilm der frühen 2000er. In diesen Jahren feierten Regisseure wie Bong Joon-ho und Park Chan-Wook erste Erfolge. Berühmt wurde damals auch Joon-Hwan Jang mit "Save The Green Planet!". Darin geht es um einen Verschwörungstheoretiker, der gemeinsam mit seiner Freundin den Boss einer Chemiefirma in ein abgelegenes Haus entführt – in der Überzeugung, in Wahrheit einen außerirdischen Kommandanten gekidnappt zu haben.

Ein "halber echter Lanthimos"

Der Koreaner Joon-Hwan Jang war auch für das amerikanische Remake seines eigenen Films vorgesehen, musste die Regie aus gesundheitlichen Gründen aber abgeben. Eigentlich ist der von Will Tracy geschriebene "Bugonia" also nur ein "halber echter" Lanthimos, der jedoch ins groteske Grundmuster seiner Geschichten passt und dank Emma Stone in der Rolle der entführten CEO Michelle ohnehin an Filme wie "The Favourite", "Poor Things" und "Kinds of Kindness" anschließt. Zum vierten Mal in Folge ist Stone in einem Lanthimos-Spielfilm besetzt – und wie schon in der surrealistischen "Frankenstein"-Abwandlung "Poor Things" war die US-Schauspielerin auch als Produzentin des neuen Films beteiligt.

Im südkoreanischen Original war das Entführungsopfer noch ein Klischee-Boss der knallharten Sorte, der seine Untergebenen wie Dreck behandelt und sie nach seiner Pfeife tanzen lässt. In der Neuverfilmung verkörpert Stone eine weit komplexere Figur. Und die wie ein Supermodel durch die Konzernflure schreitende Michelle hat offenbar sämtliche Kommunikationsstrategien drauf: An ihrem frostig-freundlichen Lächeln prallt jede Widerrede der Angestellten ab. 

Die Businessfrau scheint jede Situation im Griff zu haben. Und selbst, als Michelle in der Auffahrt zu ihrem schicken Bungalow von Teddy (Jesse Plemons) und Don (Aidan Delbis) überfallen wird, weiß sie sämtliche Verteidigungstechniken einzusetzen, bis ihre Angreifer sie dann doch mit einer Betäubungsspritze außer Gefecht setzen. Aus tiefer Bewusstlosigkeit wacht Michelle in einem fremden Keller wieder auf – in Ketten gelegt und mit merkwürdigen Vorstellungen und Aufträgen eines offensichtlich Verrückten konfrontiert.

Was, wenn dich deine Kidnapper für ein Alien halten?

Der Titel "Bugonia" bezeichnete in der Antike und im Mittelalter den sagenhaften Glauben, dass Bienen aus den Kadavern toter Ochsen oder Rinder von selbst entstehen würden. Heute hält man das für Blödsinn, ebenso wie die "Aufgeklärten" Aluhüte oder Wahrsagerei belächeln. Aber findet man sowas noch lustig, wenn das eigene Schicksal von Kidnappern abhängt, die einen für ein Alien halten?

Ganz idyllisch-harmlos, mit Blumen und Bienen hebt die Geschichte an. Zwei Cousins, die allein im heruntergekommenen Farmhaus leben, züchten die fleißigen Insekten. Teddy füttert den jüngeren Don mit allerlei Verschwörungstheorien. Hinter dem Bienensterben steckten Außerirdische – und diese hätten es auch auf die Menschheit abgesehen, behauptet Teddy, der sich als Paketpacker bei der Chemiefirma verdingt und der auch das Mittel zur Weltrettung kennt: Michelle sei in Wahrheit eine Abgesandte aus der Andromeda-Galaxie und könnte einen Kontakt zum König der Andromedaner herstellen. 

Um den Druck auf die Aliens zu erhöhen, muss die Verbindung nach Teddys irrer Logik allerdings erstmal gekappt werden. Michelles Haare werden abrasiert, um ihre Kommunikation mit dem Mutterschiff zu unterbinden. Außerdem wird die Entführte täglich mit einem Antihistaminikum eingeschmiert, was ihre Alien-DNA schwächen soll. Teddy ist beseelt davon, die Menschheit vor dem Untergang zu bewahren. Die toughe Michelle, aus ihrer gewohnten Machtposition in den finsteren Kerker gerissen, nutzt ihre psychologischen Skills, um wiederum Einfluss auf ihre Peiniger auszuüben.

Von der Chefetage zum Opfer und wieder zurück

Zunächst bringt man wenig Sympathien mit den Figuren auf. Am meisten noch mit dem retardierten Don, weil er unter dem Einfluss seines manipulativen Cousins steht. Don, mit dem großartig spielenden Laien Aidan Delbis besetzt, ist eine ehrliche Haut – und der Einzige, bei dem man echtes Mitleid spürt. 

Die Figur der Michelle erlebt die größte Transformation in diesem Drama. Zunächst ist sie die kühl-herzlose Managerin, die in der Chemie- und Pharmafirma wie in einem Bienenstaat regiert. Als sie dann haarlos und gefesselt im Verlies hockt, wird sie zunehmend zum bedauernswerten Opfer. (Aber aus dieser Rolle windet sie sich geschickt auch wieder heraus, die Rolle bleibt ambivalent bis zum Schluss.) 

Besonders schlimm wird ihr mitgespielt, als Teddy sie brutal mit Stromstößen traktiert. Michelle soll dazu gezwungen werden, sich glaubhaft als Andromedanerin zu bekennen. Der rhetorisch gewieften Managerin gelingt es später aber doch, in diesem Dreiergefüge ihre Macht auszubauen. Derweil lernen wir die möglichen Hintergründe von Teddys Radikalisierung kennen, an der Michelles Konzern und die CEO persönlich keineswegs unschuldig sind.

Ein "Fundus überlieferter Bilder"

Es geht in "Bugonia" um Filterblasen, die Schattenseiten sozialer Netzwerke, um die Macht von Konzernen und Umweltzerstörung. Der Film behandelt Themen, die uns eigentlich unter den Nägeln brennen. Der Filmhistoriker und Kurator Lars Henrik Gass hat Yorgos Lanthimos (und vielen anderen Regisseuren aus dem Arthouse-Kollegenkreis von Ruben Östlund bis zu Greta Gerwig) dagegen vorgeworfen, dass seine Filme sich wenig für soziale Realitäten und mehr für selbstreferenzielles Spiel mit Kino-Elementen interessierten.

In seinem Essay "Objektverlust. Film in der narzisstischen Gesellschaft" diagnostiziert Gass einen Blick, der "nicht mehr mit Neugier oder Erkenntnisinteresse auf eine äußere Wirklichkeit (schaut), sondern auf einen Fundus überlieferter Bilder, die ihrer historischen und gesellschaftlichen Bedeutung entleert wurden", zurückgreife.


In "Poor Things" spielt Emma Stone eine Art "Frankenstein"-Geschöpf namens Bella, das sich im England des 19. Jahrhunderts neu erfindet und zum Inbegriff der modernen, emanzipierten Frau heranreift. In der Art, wie Lanthimos gesellschaftliche Realitäten (hier: Misogynie und Empowerment) ins Extrem treibe und surrealistisch überforme, zeigt sich laut Gass wiederum die Entfremdung von sozialen Realitäten.

Die Wurzel des unguten Gefühls ist richtig

Seine Kritik an Teilen des Gegenwartskinos ist nicht unberechtigt, wobei sich das Spektrum des Mediums Film schon immer zwischen trockenem Realismus und saftiger Fantastik ausspannte (Alfred Hitchcock: "Meine Filme sind kein Stück Leben, sondern ein Stück Kuchen"). Anhand von Gass’ These vom Objektverlust wäre darüber hinaus zu diskutieren, ob delirierende Fiktion nicht doch – wenn auch quasi durch die Brust ins Auge zielend – Wahrheiten ausspricht. Ohnehin könnte "Bugonia" (den der Autor bei Erscheinen seines Buchs im März 2025 noch nicht kannte) eine Ausnahme darstellen, weil er über die Verschwörungstheoretiker eine Realität zweiter Ordnung behandelt.

Die Sache mit den Filterblasen ist verzwickt, wenn man bedenkt, dass die darunter liegenden Ängste und Notlagen der Menschen nicht eingebildet, sondern real sind. Der phänomenale Darsteller Jesse Plemons hat es in Venedig, wo "Bugonia" während der Filmfestspiele 2025 im Wettbewerb lief, auf den Punkt gebracht: "Die Vorstellung, dass wir manipuliert werden, dass unsere Daten ausspioniert werden, diese bösen Kräfte und diese Art kapitalistischer Maschine versuchen, unser Leben zu kontrollieren – wenn man all diese berechtigten Gefühle hat, wohin soll man da gehen? Eigentlich sprechen nur diese Verschwörungstheoretiker in Podcasts wirklich darüber. Und die Wurzel des unguten Gefühls ist richtig." 

Von einer Rückbindung unserer Emotionen und Aktionen an Prinzipien der Aufklärung hat sich die Menschheit ein Stück weit entfernt, das spricht auch aus diesen Sätzen des US-Schauspielers. Vielleicht meint Lars Henrik Gass – in Bezug aufs Kino – mit "Objektverlust" etwas Ähnliches.

Böser Spaß an den Plot-Twists

In "Bugonia" simuliert Yorgos Lanthimos nicht die Wirklichkeit, sondern er inszeniert die schwankende Gefühlslage unserer Zeit, die nicht unwesentlich mit Filterblasen, Demokratieabbau, Autokratie und Profitstreben zusammenhängt. Bei aller hinreißenden Inszenierungskunst, die der griechische Regisseur aufbietet, lässt sich der Vorwurf des Ausbeuterischen nicht ganz entkräften. 

Will Tracys Drehbuch und Lanthimos' Regie nutzen die gegenwärtige, von Fake News und Krisenstimmung geprägte Situation natürlich nach Kräften – für eine atemlose Story mit einer kräftigen Dosis bösem Humor. Den Plot des koreanischen Vorgängers "Save the Green Planet!", dem "Bugonia" weitgehend folgt, sollte man besser nicht googeln, um sich den bösen Spaß an den Plot-Twists nicht zu verderben.