Künstlerin Cao Yu über Feminismus

"Vergesst Gender!"

Im Kunstmuseum Wolfsburg wird gerade Kunst von Feministinnen aus aller Welt gezeigt. Cao Yu ist auch dabei, sie ist Chinas provokanteste junge Künstlerin – und will sich nicht Feministin nennen

Die Geschichte der feministischen Kunst in Europa und Nordamerika ist mittlerweile in vielen Ausstellungen erzählt worden. Die Ausstellung "Empowerment" im Kunstmuseum Wolfsburg versucht nun erstmals, alle Teile der Welt mit einzubeziehen. Dabei ist auch die 1988 geborene Cao Yu. Die Künstlerin aus Peking hat in China zahlreiche Preise bekommen, gerade wurde sie in einem WeChat-Index als einflussreichste zeitgenössische Künstlerin Chinas gelistet. Cao Yu arbeitet mit Installation, Video, Fotografie und Performance und ist immer für eine ungewöhnliche Aktion gut. Bei ihrer ersten Ausstellung in der Galerie Urs Meile in Peking blockierte sie einen Durchgang mit einer Installation aus schwarzen BHs, die Leute mussten darauf treten, wenn sie hinein wollten. Sie schmierte Vaseline an die Tür und gab den Menschen signierte Servietten zum Abwischen der Hände, so dass die die Künstlersignatur im Mülleimer landet. Auf ihrer jüngsten Eröffnung stellte sie sich in einem von LED-Lampen erleuchteten Jackett auf ein Podest – eine Künstlerin mit Aura. Was ihr der Feminismus bedeutet, erklärt sie im Zoom-Interview.

Cao Yu, was ist für Sie gute Kunst?

Wenn ich selbst auf Ausstellungen gehe, stehe ich immer an der Tür und schaue mich um. Wenn das Werk mich nicht anzieht, gehe ich gar nicht erst rein. Deshalb denke ich immer darüber nach, warum mich ein Werk nicht anzieht. Ich will Kunstwerke machen, die laut sind. Das Werk soll wie eine Person sein, die mir hilft, laut herauszuschreien was ich sagen will.

Glauben Sie, dass es für Frauen schwieriger ist, als Künstlerin Karriere zu machen als für Männer?

Im alten China gab es sehr wenige weibliche Künstlerinnen. Aber wenn eine Frau genug Talent hat, will sie ihre Kraft nutzen, um andere Leute zu überzeugen. Wenn man Talent hat und hart arbeitet, wird man ein guter Künstler oder eine guter Künstlerin.

Wie sieht die Geschlechterverteilung heute in zeitgenössischen Museen in China aus?

Es stellen viel mehr Männer als Frauen aus. Es ändert sich langsam, aber es gibt immer noch viel mehr männliche Künstler zu sehen.

Wie lässt sich das erklären?

Ich glaube, viele Künstlerinnen nehmen die Familie und die Kinder wichtiger als ihre Karriere. Traditionelle Werte sind immer noch wichtig. Die meisten Leute in China denken, dass Frauen zu Hause sein sollen. Leute sagen auch, dass die Karriere einer Künstlerin vorbei ist, wenn sie Kinder bekommt. Aber ich glaube, das ist eine Entschuldigung. Wenn man wirklich mit Leidenschaft Künstlerin ist, wenn man wirklich den Traum hat, die Kunstwelt zu verändert, dann macht man weiter.

Sie haben zwei Söhne, richtig?

Ja. Und mein erstes Werk "Fountain", das ich noch an der Kunstakademie gemacht habe, begann mit meinem ersten Kind.

In dem Video von 2015 sieht man Ihre nackten Brüste, aus denen Sie Muttermilch herausdrücken, so dass sie hoch in die Luft spritzt. Die Kunstgeschichte kennt "Fountains" von Männern: von Ingres, Duchamp, Bruce Nauman. Jetzt machen Sie erstmals einen weiblichen "Springbrunnen", haben Sie dazu geschrieben.

Als ich mein erstes Kind bekam, hatte ich zu viel Milch, das Stillen war sehr schmerzhaft für mich. Gleichzeitig fühlte ich auch die Kraft meines Körpers. Das wollte ich in dem Video zeigen. Als ich mich auf den Boden legte, zeigten meine Brüste in den Himmel. Ich hatte den ganzen Tag nicht gestillt, die Milch spritzte mit großer Geschwindigkeit heraus und mir in die Augen. Ich musste weinen. Auch weil ich das erste Mal dachte, dass ich gerade voller männlicher Kraft bin, obwohl ich so etwas Weibliches tue. Das hat mich berührt.

Wie ist die Arbeit aufgenommen worden?

Das Werk war Teil meiner Abschlussausstellung für die Kunstakademie in Beijing. Es löste eine große Diskussion aus. Die Universität wollte nicht, dass es gezeigt wird, weil sie wegen meiner Nacktheit Ärger hätten bekommen können. Manche Leute fanden es pornografisch, andere wollten es sofort kaufen. Ich habe in der Ausstellung auch Skulpturen aus meiner Muttermilch gezeigt. Eine Frau schrieb in einem Artikel, dass sie weinen musste, als sie das Video sah und die Muttermilch roch. Jemand schrieb auch, dass diese Ausstellung wie eine Bombe in der chinesischen Kunstszene einschlägt und die Tradition zersprengt – das war kritisch gemeint. 

Gibt es noch andere Künstlerinnen in China, die auf diese Weise mit ihrem Körper arbeiten?

Es gibt andere chinesische Künstlerinnen, die mit dem Körper arbeiten, aber sie sind nicht so provokant.

Haben Sie Vorbilder?

Manche Leute vergleichen mein Werk mit dem von Sarah Lucas oder Tracey Emin. Aber ich glaube, es gibt da Unterschiede. Verzeihen Sie meine Unbescheidenheit, aber ich habe keine Vorbilder. Wenn man zu sehr nach den Werken von anderen schaut, verliert man sich selbst. An der Universität bin ich bei der Prüfung über Kunstgeschichte durchgefallen. Es hat mich nicht interessiert.

Was bedeutet Ihnen das Konzept von Feminismus?

Das ist nicht wichtig für mich. Natürlich bin ich als Künstlerin automatisch von meiner weiblichen Identität beeinflusst. Aber Gender legt nichts fest. In der Ausstellung in Wolfsburg zeige ich die Fotografie "Dragon Head".

Darin sitzen Sie im Herrenanzug aufreizend breitbeinig über einem Waschbecken. Der Wasserhahn ist kaputt, das Wasser spritzt über das Becken hinaus.

Ich sage da: Vergesst Gender! Ich bin mutig, mich kann nichts beeindrucken. Das Wasser lässt sich nicht aufhalten, es wird zu einem großen See werden und am Ende in den Ozean fließen. Das Becken symbolisiert die traditionellen Werte. Sie sind nutzlos. Als Künstler vergisst man alles, die alten Werte, was andere Leute sagen. "Dragon Head" wurde auf einer Webseite gezeigt, die Leute fingen an, sich in den Kommentaren zu streiten und sagten, das sei keine Kunst. Die Webseite hat das Bild heruntergenommen. Viele Leute denken, ich bin Feministin, wenn sie mein Werk zum ersten Mal sehen. Aber ich bin keine Feministin. Manchmal werden Frauen unfair behandelt. Wenn Frauen sich gegen die Tradition wehren wollen, brauchen sie Selbstvertrauen. Ich glaube, alle Probleme sollten die Nahrung für Kunst sein. Wir können Widerstände nutzen, wir können sie umwandeln und produktiv machen.