Ausstellung in Turin

Was tun Künstler, wenn Krieg ist?

Eine Gruppenschau im Castello di Rivoli in Turin erforscht, wie Künstler und Künstlerinnen auf Gewalterfahrungen des Krieges reagieren. Das ist manchmal anrührend und erhellend - und manchmal irritierend naiv

Das Motiv des Krieges in der Kunst ist so alt wie die Kriege selbst. Kaum einer aber hat "Die Schrecken des Krieges" so eindringlich in seiner gleichnamigen Grafikfolge eingefangen wie der Spanier Francisco de Goya im frühen 19. Jahrhundert. Immer wieder ist seitdem auf "die unmittelbare Niederschrift seiner eigensten Reaktionen" verwiesen worden, auf sein Bedürfnis, wie er es einmal sagte, "die Menschen für ewig zu mahnen, nie mehr Barbaren zu sein."

Das abgründige Bild, das Goya von der menschlichen Natur zeichnete, hat angesichts nicht enden wollender Kriege nichts an Aktualität verloren. Und so wundert es nicht, dass seine "Desastres" gleich am Anfang der von Carolyn Christov-Bakargiev und Marianna Vecellio kuratierten Ausstellung "Künstler in Kriegszeiten" im Castello di Rivoli in Turin den Ton angeben.

Goya ist einer von 30 zwischen 1746 und 1995 geborenen Künstlerinnen und Künstlern, die von dem Duo exemplarisch ausgewählt wurden, um zu veranschaulichen, welche Spuren traumatische Kriegserfahrungen in der künstlerischen Produktion hinterlassen können. In den Räumen, die den Auswirkungen des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs gewidmet sind, treffen gleich mehrere Perspektiven aufeinander. Allen voran Lee Miller, die Christov-Bakargiev schon 2012 bei ihrer Documenta 13 zeigte, und die ohne den Zweiten Weltkrieg vielleicht "nur" als Model und surrealistische Fotografin in Erinnerung geblieben wäre. Es lag an ihrer Courage, dass es nicht so gekommen ist, ähnlich wie im Fall von Marlene Dietrich, die ihr Leben riskierte, um die US-Army an der Front zu begleiten.

"Ich glaube nicht, dass sie je aus dieser Erfahrung lernen werden"

Seit den Bombardements auf London gingen Millers Berichte und Fotos über den "Blitz" um die Welt. Sie war auch nach dem D-Day eine der wenigen Frauen, die als Kriegskorrespondentin akkreditiert waren. Für die "Vogue", die alle ihre Artikel und Fotos druckte, mochten sie noch so schonungslos die Blutrünstigkeit des Krieges zeigen, wie die Bilder aus dem Konzentrationslager Dachau etwa, in das sie einen Tag nach dessen Befreiung kam. Die Skelette in gestreifter Kluft, die sie dort fotografierte, hängen neben ihrem berühmten Selbstporträt in Hitlers Münchner Privatwohnung.

Hier nahm Miller am Tag von dessen Selbstmord am 30. April 1945 ein Bad, das Kriegsreporter David E. Scherman ablichtete, um anschließend die gleiche Wannen-Pose einzunehmen. In dem Text "Hitleriana", den Miller an die "Vogue" schickte, schrieb sie anschließend: "Kein Deutscher, es sei denn, sie sind Widerstandskämpfer im Untergrund oder Insassen von Konzentrationslagern, findet, dass Hitler irgendetwas falsch gemacht habe, außer den Krieg zu verlieren. Sie sagen nur: Er hätte Frieden schließen sollen, als der Russlandkrieg verloren ging. Ich glaube nicht, dass sie je aus dieser Erfahrung lernen werden, und ich weiß, dass ich sie nie verstehen werde."                             

Millers journalistisch kühlen Blickwinkel konterkarieren die erschütternden Gemälde und Zeichnungen des slowenisch-italienischen Malers Zoran Mušič, der selbst in Dachau wegen Kontakt zu Widerstandsgruppen, Spionageverdacht und der Weigerung, in die SS einzutreten, interniert war. Der spätere mehrfache Documenta-Teilnehmer verewigte kurz vor der Befreiung zeichnerisch die Situation im Lager und kehrte auch noch Jahrzehnte später zu den Schreckensmotiven gestapelter Skelette zurück. Die im Alter alkoholkranke Lee Miller sprach dagegen bis zu ihrem Tod nie wieder über das Gesehene.

Dalí und die Verstrickungen in den Faschismus

Einen weiteren Betrachtungswinkel öffnet das Gemälde "Medusa – Rachel – Pietà" (2017–22) der Künstlerin und Psychoanalytikerin Bracha L. Ettinger. Die in Tel Aviv geborene Tochter polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender machte selbst eine Nahtoderfahrung im Alter von nur 19 Jahren, als sie während des Sechstagekrieges in einem Helikopter abstürzte und einen Gedächtnisverlust erlitt. Es brauchte Jahrzehnte, bis sie das Trauma überwand und ihren intimistischen Stil entwickelte, um von generationenübergreifenden Verletzungen zu erzählen.

Neben Pablo Picasso, Dora Maar und Paul Éluard gesellt sich aus der gleichen Generation auch noch Salvador Dalí dazu. Sein Gemälde einer während des Bürgerkriegs verwüsteten spanischen Landschaft war 1943 als Vorstufe für den Bühnenvorhang einer Tanzproduktion entstanden. Ihr Star war die Flamenco-Tänzerin und Republikanerin La Argentinita, und das Stück kreiste um das Künstlercafé Teatro Chinitas in Malaga, das vor der Franco-Ära ein beliebter Treffpunkt war. Das im Kriegswendejahr von Stalingrad entstandene Werk soll Dalí als mitfühlenden Chronisten der spanischen Unterschicht und als Freund von Antifaschisten ausweisen – seltsam nur, dass sich in dem Wandtext keinerlei Hinweise auf seine opportunistischen Verstrickungen in das faschistische Regime finden.

Als junger Mann verkehrte er in linken Kreisen, äußerte aber auch früh Bewunderung für Hitler. Kurz vor seinem Tod ließ Franco fünf militante Regimegegner hinrichten. Dalís Kommentar? "Man müsste noch mehr Leute exekutieren", so der anarchische Provokateur, der Franco immer wieder seine Aufwartung machte. Ob Dalí "nur" ein Kollaborateur oder gläubiger Anhänger war, darüber wird bis heute gestritten.

Wie der Auftrag zum Töten verändert

Seine Nähe zum Faschismus veranlasste seine Surrealisten-Freunde immerhin schon 1939 zu einem Ausschluss aus der Gruppe. André Breton warf ihm außerdem Kommerzialismus vor, und auch die Kunstkritik verachtete bald den Publikumsliebling. Dass Carolyn Christov-Bakargiev und Marianna Vecellio diesen wendigen Selbstvermarkter auf Augenhöhe mit leidgeprüften Kriegsgegnern stellen, mutet erschreckend unsensibel an. Das wäre nicht passiert, wenn sie genau dieses Kapitel der Faszination für das Böse als Stilmittel der Aufmerksamkeit aufgegriffen hätten.

Irritiert steht man auch vor den seltsam harmlosen Zeichnungen von Vietcongs, die mitten im Krieg zwischen 1967 und 1973 entstanden sind und ebenfalls auf der Documenta 13 zu sehen waren. Der von der wohltuenden Kraft der Kunst überzeugte Hồ Chí Minh persönlich animierte die Soldaten dazu, in den Kampfpausen zum Zeichenstift zu greifen, nicht um ihre Traumata zu verarbeiten, sondern um durch die Ablenkung neue Kräfte zu schöpfen. Das Ergebnis sind impressionistische Anti-Goya-Idyllen von lächelnden Kämpfern und Kämpferinnen, die entspannt in Hängematten dösen oder liebevoll ihre Waffen pflegen.

Nach so viel manipulativer Einfalt schaut man erleichtert in Nikita Kadans zweistöckige Installation "Shelter II" (2023) hinein, eine schwarze Höhle, nachempfunden den Keller-Schutzräumen, in denen Ukrainer gerade vor den Bomben Zuflucht suchen und sich die Schreckenszeit vielleicht mit Büchern vertreiben, die in der Installation über ihren Köpfen gestapelt sind. Oder man hört gebannt den von Schlafstörungen geplagten Protagonisten aus Anri Salas Video "Nocturnes" (1999) zu, einem soziophoben Fischzüchter und einem UN-Blauhelm, der davon erzählt, wie ihn der Auftrag zum Töten verändert hat.

Galaxien von entwaffnend wuchtiger Schönheit

Metaphysisch aufrüttelnd auch die Installation "Every Tiger Needs a Horse" (2022–23) des afghanischen Künstlers Rahraw Omarzad, der im Herbst 2021 mithilfe des Castello di Rivoli und der italienischen Regierung aus Afghanistan fliehen konnte. Er hat die sechs großformatigen, schwarz-weißen Leinwände bei einer kontrollierten Explosion auf einem Militärstützpunkt im Piemont "gemalt". Dabei wurden mit Farbe gefüllte Luftballons mit Dynamit geladen.                     

Verwandelt haben sich diese eigentlich der Zerstörung dienenden Kriegsobjekte auf wundersame Weise zu Fluchtwegen in Galaxien von entwaffnend wuchtiger Schönheit. Und auch das mitunter etwas holprig und bewusst lückenhaft gesponnene Netz aus Fotodokumenten des zerbombten Turins, Randgeschichten, Ambivalenzen, Querverbindungen und künstlerischen Heilungsanstrengungen kriegt am Ende die Kurve zu einer kompakt anregenden Reflexion.

Die Schau erzählt von den vielen durch die Kunst sprechenden Individuen, die sich gegenüber dem sie umgebenden Kriegshorror positionieren müssen. Ob mit Angriff, Anklage, Mitlaufen oder Rückzug von den Zumutungen der ewigen Zyklen der Historie.